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Querschnittsgelähmt nach Hubschrauberabsturz Klinik Bergmannstrost Halle: Querschnitzgelähmt nach Hubschrauberabsturz - Aufrechter Gang als Therapie

Von Bärbel Böttcher 19.09.2019, 08:00
Alexander Sturm trainiert im Bergmannstrost mit dem Exoskelett.
Alexander Sturm trainiert im Bergmannstrost mit dem Exoskelett. Andreas Stedtler,

Halle (Saale) - Hört Alexander Sturm einen Hubschrauber über sich kreisen, dann spürt er hin und wieder noch ein wenig Sehnsucht. Es ist ein Kollege, der da fliegt. Dabei würde er den Steuerknüppel viel lieber selbst in der Hand halten. Doch seit dem verhängnisvollen Tag im Jahr 2010 muss der heute 56-jährige Pilot am Boden bleiben. Damals stürzt sein Hubschrauber noch in der Startphase ab. Ein technischer Defekt ist schuld. Alexander Sturm zieht sich durch den harten Aufprall Berstungsbrüche im 12. Brust- und im 1. Lendenwirbel zu. Also etwa auf Höhe des Bauchnabels. Knochensplitter dringen ins Rückenmark ein.

Die Diagnose lautet später: inkomplette Querschnittlähmung. Das heißt, das Rückenmark, das im Spinalkanal der Wirbelsäule verläuft, wurde nicht vollständig durchtrennt. Wenige Restfunktionen an Motorik und Sensorik sind noch vorhanden.

Sturm lobt Geduld und Ausdauer von Ärzten und Pflegekräften im Bergmannstrost Halle

Der Pilot wird zuerst in Jena intensivmedizinisch versorgt und dann in das BG Klinikum Bergmannstrost nach Halle verlegt. Es dauert Monate, bis die körperlichen Verletzungen verheilt sind. Genausolange braucht der Kopf, um zu begreifen, was geschehen ist. „Zu wissen, ich kann nie wieder laufen und vor allem nie wieder in meinem Traumjob arbeiten, das war Horror“, sagt Alexander Sturm. Er baut nicht gern auf die Unterstützung anderer, sondern ist gewohnt, alles selbst zu regeln. Doch nun ist er auf die Hilfe von Ärzten und Pflegekräften angewiesen. Es sei ihm schwer gefallen, sie auch anzunehmen.

In dieser Zeit macht er es besonders den Pflegekräften nicht immer leicht. Alexander Sturm reagiert gelinde gesagt brummig, wenn sie ihn im Bett drehen wollen. Allein kann er das nicht. Doch vor allem nachts möchte er in Ruhe gelassen werden. Einfach schlafen.

Die Sache mit dem Dekubitus, das ist ein Druckgeschwür, welches durch langes regungsloses Liegen entstehen kann, begreift der Patient erst, als ihm Bilder von Wunden gezeigt werden, die so entstehen können. Und er resümiert: „Es war die Geduld und Ausdauer von Ärzten und Pflegekräften, die mir geholfen haben, mein Schicksal anzunehmen, wieder zum alten Alex zu werden.“ Freundlich, aufgeschlossen, hilfsbereit.

Teil seiner Therapie im Bergmannstrost: Erfolg als Bogenschütze

Zudem findet er im Bergmannstrost Kontakt zu anderen Patienten. „Anfangs war ich quasi in meinem Bett gefangen“, erzählt Alexander Sturm. „Erst als ich mobilisiert wurde, und auf der Station rumrollen konnte, habe ich gesehen, dass es noch ganz andere Querschnittpatienten gibt, nämlich solche, die gar nichts mehr können weil ihre Wirbelsäulenverletzung viel höher als bei mir liegt.“ Dagegen fühlt er sich wie ein Hochleistungssportler. Hüftaufwärts ist alles beweglich.

Und das macht sich Alexander Sturm bald zunutze. Er wird zum Bogenschützen. Diese Sportart ist im Bergmannstrost Teil seiner Therapie. Der Patient findet daran gefallen. Und bleibt dabei. Später, als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, sucht er sich in seiner Heimatstadt Ludwigsfelde (Brandenburg) einen entsprechenden Verein, betreibt nun tatsächlich Leistungssport. Er nimmt sogar erfolgreich an Deutschen Meisterschaften teil. Gleichzeitig schafft er sich einen neuen Freundeskreis. Neben seinem alten. „Das wäre ohne den Unfall nicht passiert.“ Er begreift mit der Zeit: Das Leben geht weiter. Wenn auch anders als bisher.

Das Team im Bergmannstrost um Dr. Klaus Röhl, Chefarzt des Zentrums für Rückenmarkverletzte und der Klinik für Orthopädie, und Dr. Daniel Kuhn der die Therapieabteilung - es ist die größte in Mitteldeutschland - leitet, werden in den Monaten des Klinikaufenthaltes so etwas wie eine Familie für ihn. Und zweimal im Jahr kommt er zum Familientreffen. Für vier Wochen trainiert er dann quasi den aufrechten Gang. Im Exoskelett, einem Gerät, das ursprünglich für die militärische Nutzung entwickelt wurde.

Muskeln werden durch Exoskelett reaktiviert

Soldaten, die schwere Lasten tragen, sollten dadurch in ihrer Mobilität nicht beeinträchtigt werden. Heute dient es auch der Medizin. Alexander Sturms Körper wird in dieses äußere Skelett eingespannt und dank spezieller Elektromotoren in die Lage versetzt, aufzustehen, aufrecht zu gehen und zu laufen. „Das ist anstrengend“, erzählt er. Nach einer Stunde sei sein T-Shirt durchgeschwitzt. Aber das Training helfe ihm, Muskeln zu reaktivieren, die in der ersten Phase der Erkrankung stillgelegt worden seien. Weil er da viel gelegen habe. Dann gehe es mit dem Muskelabbau ganz schnell.

Seit 2012 steckt er nun regelmäßig im Exoskelett. Und es ist Muskelkraft zurückgekommen. So kann er inzwischen das rechte Bein, in dem bei dem inkomplett Querschnittgelähmten von Anfang an eine gewisse Restaktivität der Muskeln vorhanden war, ein wenig beugen und strecken. Auch die linke Seite hat sich verbessert. „Aber das Exoskelett heilt nicht“, sagt er. Es sei ein Hilfsmittel. „Die entsprechenden Nervenwege sind immer vorhanden gewesen. Sie waren nur nicht aktiviert.“

Physiotherapeut: Exoskelett ersetzt nicht den Rollstuhl

Damit spricht er dem Physiotherapeuten Daniel Kuhn aus dem Herzen. „Das Exoskelett ist ein Therapiegerät“, betont er. „Es ersetzt den Rollstuhl nicht.“ Alltagstauglichkeit sei ferne Zukunftsmusik. Es helfe jedoch Therapieziele zu erreichen. So könnten Spastiken und Phantomschmerzen reduziert sowie der Kreislauf und die Magen-Darmfunktion angekurbelt werden. Darüber hinaus schätzten es einige Patienten, anderen mal wieder - im wahrsten Sinne des Wortes - auf Augenhöhe zu begegnen. Letzteres spielt für Alexander Sturm nur eine untergeordnete Rolle. Klar findet es der 1,90-Mann schön, mal wieder Größe zu zeigen. Aber vorrangig sei das Training, wodurch sich sein körperliches Wohlbefinden stark verbessere. An dem Modell des Exoskeletts, für das sich das Bergmannstrost entschieden hat, schätzt er besonders, dass es variabel einstellbar ist. Das heißt, vorhandene Restfunktionen können genutzt werden. Entsprechende Beinmuskeln werden weniger unterstützt.

Allerdings ist das Exoskelett, nicht für jeden Querschnittgelähmten das geeignete Therapiegerät. Chefarzt Klaus Röhl erklärt, dass die Lähmungshöhe dabei eine Rolle spielt. „Je höher die Verletzung an der Wirbelsäule liegt, desto größer ist letztlich das Maß des Funktionsverlustes“, sagt er. Ein Teil der Patienten sei so hoch gelähmt, dass eine Exoskelett-Therapie nicht in Frage komme. Denn dafür sei die Kontrolle des Rumpfes erforderlich. Außerdem müssten Hände und Schultern voll funktionsfähig sein. „Wenn das nicht geht, ist es ein Problem, diese doch recht moderne Form der Therapie anzuwenden“, betont Klaus Röhl. Daniel Kuhn fügt hinzu, dass Patienten zudem eine bestimmte Größe und ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten dürften und dass ihre Haut gesund sein müsse.

Hilfe für andere

Insofern hat Alexander Sturm Glück im Unglück. Seine Wirbelsäulenverletzung liegt relativ tief. Auch alle anderen Anforderungen erfüllt er. So kann er - neben anderen Therapien - das Exoskelett nutzen, um seine wiedererlangte Selbstständigkeit zu erhalten. Auch mit Hubschraubern hat er es wieder zu tun. Zwar ist der Pilot berentet. Aber stundenweise arbeitet er in seiner alten Firma, sorgt etwa dafür, dass die Wartungsintervalle der Luftfahrzeuge eingehalten werden. Und von Zeit zu Zeit besucht er Freunde, die einen Flugsimulator für Hubschrauber betreiben. Dort hält er dann auch wieder einen Steuerknüppel in der Hand.

Zudem hilft er in der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten anderen Betroffenen, mit ihrem Schicksal zu leben. Getreu dem Motto: „Die Welt dreht sich nicht nur um mich und meine Verletzung. Andere sind auch noch da. Denen geht es viel schlechter.“ (mz)