"Das ist kein Todesurteil" Hilfe nach der Krebs-Diagnose: "Das ist kein Todesurteil"

Halle (Saale) - Die Rückenschmerzen plagen Michael Schwarzwald seit Jahren. Auch sein Magen macht von Zeit zu Zeit Probleme. Er hat dann ein unangenehmes Völlegefühl. Kann kaum etwas essen. Das geht immer zwei, drei Wochen so. Danach ist wieder alles normal. Die Ärzte halten das für ein Stress-Symptom.
Im Dezember 2017 spürt Michael Schwarzwald wieder diesen Druck im Bauchraum, hat keinen Appetit. Dieses Mal hält der Zustand ungewöhnlich lange an. Der 37-Jährige verliert Gewicht. „Über die ersten Kilo, die verschwanden, habe ich mich noch gefreut“, erzählt er. Aber er nimmt immer weiter ab. Gut 25 Kilogramm verliert er bis Mai 2018. Wiegt nur noch 70 Kilogramm. Das macht ihm doch Sorgen.
Diagnose: bösartiger Tumor - Heilung ausgeschlossen
Nun wollen auch seine Ärzte der Sache genauer auf den Grund gehen. Bei einer Computertomographie entdecken sie eine Auffälligkeit am rechten Leberlappen. Die Untersuchung der Gewebeprobe zeigt: Es handelt sich um eine Metastase. Ihr Durchmesser beträgt 15 Zentimeter. Den Primärtumor finden die Mediziner trotz modernster Untersuchungsmethoden nicht.
Das ist beim sogenannten CUP- Syndrom (Krebs mit unbekannten Primärtumor) nichts Ungewöhnliches. Aber es gibt weitere Metastasen in den Knochen. Die Diagnose, die am Ende steht, will Michael Schwarzwald nicht akzeptieren: Adenokarzinom G3. Das heißt, es handelt sich um einen bösartigen Tumor, der sich aus Drüsengewebe entwickelt hat. Und zwar in einem sehr fortgeschrittenem Stadium. Heilung ausgeschlossen.
In der Klinik wird dem Hallenser gesagt, er solle die Zeit, die ihm noch bleibt, mit seiner kleinen Tochter genießen. Das einzige, was die Ärzte noch für ihn tun könnten, sei eine Chemotherapie, um das Krebswachstum zu bremsen. Dann könnten aus ein paar Monaten Überlebenszeit vielleicht ein, zwei Jahre werden.
Zweitmeinung lässt neue Hoffnung schöpfen
Michael Schwarzwalds Tochter Laura ist zu dem Zeitpunkt gerade mal zweieinhalb Jahre alt. Und der Papa möchte schon noch bei ihrer Einschulung und anderen Ereignissen ihres Lebens dabei sein. Er dringt auf eine Zweitmeinung. Bei einer weiteren Biopsie stellt sich heraus: Es ist kein Adenokarzinom G3, sondern ein neuroendokriner Tumor, einer, der, vereinfacht gesagt, aus hormonbildenden Zellen entsteht.
Der Hallenser schöpft neue Hoffnung. Denn eine solche Geschwulst lässt sich relativ gut behandeln. In seinem Fall ist sogar eine orale Chemotherapie möglich, das heißt, die entsprechenden Medikamente werden dem Körper nicht mittels Infusion, sondern in Form von Tabletten zugeführt. Die kann er zu Hause einnehmen.
Anfangs geht es ihm dabei schlecht. Ihm ist übel, er fühlt sich schlapp. Doch nachdem die Onkologin die Medikamente neu eingestellt hat, hat Michael Schwarzwald keine Einschränken mehr. Er nimmt wieder zu. Fühlt sich fit. Und er geht nach rund sechs Wochen wieder zur Arbeit. Auch wenn die Ärzte zu einer längeren Krankschreibung raten.
„Zu Hause“, so sagt er, „hätte ich angefangen zu googeln. Und nachdem, was da es da alles zu lesen gibt, festgestellt, dass ich eigentlich in zwei, drei Monaten tot sein müsste.“ Nein, er habe eine Aufgabe gebraucht. „Und darum war es für mich wichtig, relativ schnell wieder ins Berufsleben einzusteigen.“
Michael Schwarzwald ist Produktionsplaner in einem großen Unternehmen, das Eigenmarken für verschiedene Supermarktketten produziert. Es ist, wie er berichtet, ein sehr verständnisvoller Arbeitgeber, der ihm zum Beispiel, was die Arbeitszeiten anbelangt, sehr entgegenkommt.
Abwarten und beobachten: „Ich bin optimistisch, dass ..“
Die Therapie schlägt bei dem Hallenser gut an. Der Tumor wird kleiner. Im Dezember 2018 beschließt er gemeinsam mit seiner Ärztin, dem Körper eine Pause zu gönnen. Abwarten und beobachten heißt nun die Devise. Regelmäßig wird sein Blut kontrolliert. Nach der jüngsten Untersuchung erfährt er, dass der Tumormarker wieder steigt. „Wahrscheinlich steht mir eine neue Chemotherapie oder etwas Anderes bevor“, sagt er.
Angst verspüre er nicht. Schließlich habe die Onkologin ihm versichert, dass es gerade bei seiner Krebsart noch viele Therapiemöglichkeiten gibt, dass noch viele Register gezogen werden könnten. „Ich bin optimistisch, dass ich locker noch zehn, 15 Jahre habe. Und ich bin überzeugt, dass die medizinische Forschung dann Wege gefunden hat, so dass ich vom palliativen Patienten, als solcher gelte ich jetzt, zum heilbaren Patienten umgestuft werden kann“, unterstreicht er.
Michael Schwarzwald verliert seinen Mut nicht. Als die Diagnose gestellt wurde, da habe er aber schon gedacht, dass in seinem Leben bisher alles zu gut gelaufen sei, beruflich wie privat. Er sei befördert worden, habe seine langjährige Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt, mit seinem Mann ein Kind adoptiert.
„Alles hat gepasst. Deswegen dachte ich, das ist vielleicht ein Zeichen: Achtung, so geht es nicht immer weiter“, erzählt er. Natürlich habe er auch Wut gespürt: Warum gerade ich, wo ich doch immer sportlich unterwegs war und nie getrunken habe. „Aber ich habe relativ schnell für mich erkannt, dass mich das nicht weiterbringt. Ich kann meine Situation nicht ändern, ich kann nur das Beste daraus machen“, sagt er.
Krebsgesellschaft gibt Tipps und hilft mit psychologischer Beratung
Rat und Hilfe findet Michael Schwarzwald bei der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft. Den Tipp, dort mal anzurufen, erhält er von einer Schwester, die seine Chemotherapie betreut. Er folgt ihm und bereut es nicht. Sie unterstützt ihn bei bürokratischen Angelegenheiten - etwa bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Hier bekommt er psychologische Beratung, kann sich mal alles von der Seele reden. Die Krebsgesellschaft vermittelt ihm eine passende Sportgruppe, in der er bis heute trainiert.
Was Michael Schwarzwald besonders hervorhebt: Die Berater nehmen sich Zeit, die Befunde aus dem Medizinerdeutsch in eine für Patienten verständliche Sprache zu übersetzen. Zeit, die im Krankenhaus oft fehlt. Und es gefällt ihm, dass er hier auf jüngere Leute trifft, die das Gleiche wie er durchmachen.
Hilfreicher Austausch mit Betroffenen und deren Angehörigen
Dieser Junge-Leute-Treff, so erzählt Diplomsozialarbeiterin Sabine Schleh, wurde erst in diesem Jahr ins Leben gerufen. Regelmäßig kommen dabei nicht nur von der Krankheit Betroffene, sondern auch deren Angehörigen zusammen. Ziel sei der Austausch zwischen Familien in ähnlichen Situationen - über die Krankheit selbst, aber auch über andere Themen.
Da geht es etwas um Fragen, die die Ausbildung, das Berufsleben oder die Kinder betreffen. Natürlich gebe es auch die klassischen Selbsthilfegruppen. „Aber“, so sagt Sabine Schleh, „es ist schwierig, Jüngere in diese zu integrieren.“ Die Menschen, die sich dort treffen, seien im höheren Alter. Sie hätten andere Probleme.
Wie sag’ ich es dem Kinde?
„Der Junge-Leute-Treff ist ein ganz tolles Projekt“, sagt denn auch Michael Schwarzwald. Er erzählt von einem anderen jungen Paar mit Kind, das daran teilnimmt. Der Austausch mit ihm habe besonders seinem Mann, der sich während der Chemotherapie aufopferungsvoll um ihn und gleichzeitig die Tochter gekümmert habe, gutgetan.
Rat erhofft sich der Vater von der Krebsgesellschaft auch in einer anderen Angelegenheit. Noch sei die jetzt vierjährige Laura zu klein, um zu realisieren, dass Papa Krebs hat. Bald aber stehe die Frage: Wie sag’ ich es meinem Kinde? Dabei blitzt wieder sein Optimismus auf. „Ich hoffe, dass mein Kind in einem Zeitalter aufwächst, wo es zwar weiß, es gibt diesen Krebs, aber gleichzeitig klar ist: Das ist kein Todesurteil.“ (mz)