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Häufige Todesursache Häufige Todesursache: Wenn Kinder Schlaganfälle bekommen

Von Nina C. Zimmermann 15.08.2014, 12:37
Beim Verdacht auf Schlaganfall muss es schnell gehen - Rettungsdienst und Notarzt sind gefragt, egal, wie alt der Patient ist.
Beim Verdacht auf Schlaganfall muss es schnell gehen - Rettungsdienst und Notarzt sind gefragt, egal, wie alt der Patient ist. Foto: Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe/Christoph Pueschner Lizenz

Manchmal klingelt das Telefon von Marco Vollers auch mitten in der Nacht. Völlig aufgelöste Eltern sprechen ihm dann auf die Mailbox, weil sie weder ein noch aus wissen. Weil sie für ihr Kind die Diagnose „Schlaganfall“ bekommen haben. Weil sie sich fragen: Kann mein Kind wieder gesund werden? Was kann ich tun, damit es meinem Kind wieder gut geht? Wird es dauerhaft etwas davontragen?

Marco Vollers ist Schlaganfall-Kinderlotse, nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe der bislang einzige bundesweit. Er ist Ansprechpartner für Familien aus ganz Deutschland, deren Kind einen Schlaganfall erlitten hat. „Für die Eltern kommt das in der Regel unvorbereitet“, sagt Vollers, der eine therapeutische Abteilung im Neurologischen Reha-Zentrum Friedeforst in Bremen leitet. „Auch die Ärzte wissen oft nicht, was sie zu den Eltern sagen sollen.“

Schlaganfall ist kein reines Altersphänomen

Seine Aufgabe sei es dann, zuzuhören, nachzufragen und zu beraten. „Im Prinzip führe ich erstmal psychotherapeutische Gespräche“, erläutert der diplomierte Musiktherapeut. Wie ist die Familie aufgestellt? Wo und wie lebt sie? Welche Therapien braucht das Kind jetzt? Welche Reha-Einrichtung ist die richtige?

Dass schon Kinder betroffen sind, mag verwundern. Tatsächlich aber ist der Schlaganfall kein reines Altersphänomen - er kann zu jeder Zeit, sogar schon im Mutterleib, vorkommen. Aktuellen Berechnungen zufolge ereignen sich etwa 270.000 Schlaganfälle jährlich in Deutschland. Unter den Patienten sind pro Jahr etwa 300 bis 500 Kinder, rund ein Drittel davon Neugeborene.

Oft erst spät, wenn überhaupt, diagnostiziert

Damit ist der Schlaganfall unter Kindern ein vergleichsweise seltenes Ereignis - aber ein einschneidendes, wie Prof. Maja Steinlin von der Medizinischen Universitätskinderklinik Inselspital in Bern mit einer Co-Autorin in einem Fachartikel erläutert. Er gehöre zu den zehn häufigsten Todesursachen im Kindesalter und sei mit einer hohen Sterblichkeit verbunden. Einer der Gründe dafür dürfte sein, dass er oft erst sehr spät, wenn überhaupt, diagnostiziert wird.

„Ereignet sich der Schlaganfall pränatal, also vor der Geburt, bemerkt man ihn in der Regel erstmal gar nicht“, sagt Prof. Martin Staudt von der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP). „Erst einige Monate später stellen die Eltern dann vielleicht fest, dass das Kind eine Hand weniger bewegen kann.“ Auch wenn sich der Schlaganfall während der Geburt ereignet, sei das nicht unbedingt zu bemerken. Oder nur dadurch, dass das Kind schwer beeinträchtigt ist. „Je älter das Kind ist, desto eher kommt es akut zu halbseitigen Lähmungen und anderen, dem Schlaganfall bei Erwachsenen ähnlichen Symptomen.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite, in welchem Alter ein Schlaganfall bei Kindern am häufigsten auftritt und welche Symptome Eltern alarmieren sollten.

Neben der Neugeborenenphase tritt er laut Steinlin und Co. am häufigsten bei Kindern im Vorschulalter auf. Rund 80 Prozent zeigten halbseitige Lähmungen, die auch das Gesicht betreffen und das Sprechvermögen beeinträchtigen können. Wann immer Eltern solche plötzlichen Veränderungen bemerken, sei das sofort ein Fall für den Notarzt, betont Kinderarzt Staudt. Kopfschmerzen, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen sind weitere mögliche Anzeichen. „Das Problem beim Kind ist, dass die meisten Symptome auch andere, häufigere Erkrankungen als Ursache haben können“, fügt er hinzu. Daher komme die Diagnose oft erst so spät oder sogar zu spät.

Besteht der Verdacht auf einen Schlaganfall, muss das Kind Steinlin zufolge in jedem Fall mit einem bildgebenden Verfahren untersucht werden, am besten per Magnetresonanztomographie. Damit lässt sich der Auslöser eindeutig ermitteln, und davon hängt die Behandlung ab.

Schlaganfall durch Blutung im Gehirn

Zum einen kann der Schlaganfall auf einer Blutung im Gehirn beruhen. Dazu komme es, wenn ein fehlgebildetes Blutgefäßes reißt und ausströmendes Blut Hirngewebe verdrängt, erläutert Staudt. „Das führt schnell zu neurologischen Ausfällen, und es geht Hirngewebe zugrunde.“ In der Regel werde das Kind operiert, um die Blutung zu stoppen, und anschließend auf der Intensivstation überwacht.

Zum anderen könne es sein, dass ein Gefäß zu wenig durchblutet wird und dann verstopft, sagt Staudt. Davon besonders gefährdet seien Kinder mit Herzfehlern oder bestimmten seltenen Bluterkrankungen. „Die Zeit um die Geburt herum ist in dieser Hinsicht besonders gefährlich, weil die Blutgerinnung dann besonders aktiv ist, sich Blutgerinnsel bilden und ein Gefäß verstopfen können.“ In diesem Fall wird das Kind meist auf der Intensivstation beobachtet, ob sich der Druck in seinem Schädel durch eine Schwellung erhöht. Manchmal muss dann ein Stück vom Schädelknochen entfernt werden.

Vorübergehende oder dauerhafte Folgen

Je nachdem, wo im Hirn sich der Schlaganfall ereignet hat, kann er unterschiedliche Folgen haben: vorübergehende oder dauerhafte Sprach-, Sinnes-, motorische oder kognitive Störungen zählt Staudt als Beispiele auf. Im Idealfall kommt das Kind direkt im Anschluss an die akute Behandlung in eine neuropädiatrische Reha-Klinik. „Nicht selten führen wir das gefühlt erste Prognosegespräch“, sagt Staudt, der Chefarzt einer neurologischen Reha-Kinderklinik in Bayern ist. Denn die Eltern stünden meist noch zu sehr neben sich, wenn sie auf Intensivstation über den Schlaganfall ihres Kindes, die Folgen und die Perspektiven aufgeklärt werden.

Spätestens an diesem Punkt sollte auch der Schlaganfall-Kinderlotse Marco Vollers zurate gezogen werden. „Ich höre von Eltern immer wieder die Frage: „Hat eine neurologische Reha für mein Kind Sinn?““, erzählt er. „Eine stationäre Reha ist enorm wichtig für die Weiterentwicklung des Kindes und enorm wichtig, um die Kompensationsstrategien im Gehirn zu fördern“, betont er. Das bedeutet: Mit gezielter Krankengymnastik, Ergo- und Logopädie lassen sich Hirnareale so trainieren, dass sie mit der Zeit die Funktion der durch den Schlaganfall verloren gegangenen Areale übernehmen können.

„Die Familie muss sich darauf einstellen, dass der Schlaganfall ein Wendepunkt in ihrem Leben ist, und es nie wieder sein wird wie vorher.“ Das Kind werde sein Leben lang mit den Folgen der Erkrankung zu tun haben. Aber mit der richtigen Förderung und wenn die Familien wissen, an wen sie sich wenden können, lässt sich viel gewinnen. Marco Vollers jedenfalls hat den Auftrag, sich um seine Schützlinge bis zu deren vollendeten 18. Lebensjahr zu kümmern. (dpa/tmn)

Mehr Informationen:

Der Diplom-Musiktherapeut Marco Vollers ist Schlaganfall-Kinderlotse und leitet eine therapeutische Abteilung im Neurologischen Reha-Zentrum Friedeforst in Bremen.
Der Diplom-Musiktherapeut Marco Vollers ist Schlaganfall-Kinderlotse und leitet eine therapeutische Abteilung im Neurologischen Reha-Zentrum Friedeforst in Bremen.
Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Lizenz
Ist bei einem Kind die Blutgerinnung gestört ist, können sich Gerinnsel bilden und ein Gefäß verstopfen - es besteht erhöhte Schlaganfallgefahr.
Ist bei einem Kind die Blutgerinnung gestört ist, können sich Gerinnsel bilden und ein Gefäß verstopfen - es besteht erhöhte Schlaganfallgefahr.
dpa-tmn Lizenz
Prof. Dr. Martin Staudt, Chefarzt der Klinik für Neuropädiatrie in Vogtareuth.
Prof. Dr. Martin Staudt, Chefarzt der Klinik für Neuropädiatrie in Vogtareuth.
dpa-tmn Lizenz