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Gesundheit Gesundheit: Gegen den Gruppenzwang

04.12.2002, 09:52
Alkohol im Büro. (Foto:dpa)
Alkohol im Büro. (Foto:dpa) Stolt

Hamburg/Unna/dpa. - Die Versuchung lauert am Ausgang: «Weihnachts-Glühwein» bietet ein Hamburger Restaurant seinen Gästen an, praktisch abgefüllt in Pappbechern, «hier im Stehen oder für den Weg ins Büro». Wenn Weihnachten naht, wird den Deutschen der Alkoholkonsum besonders leicht gemacht. Und gerade in den gefühlsseligen Wochen vor dem Fest geben viele den Verlockungen gerne nach. Wer das «Gläschen in Ehren» bei der Weihnachtsfeier im Betrieb ablehnt, muss schiefe Blicke und spitze Bemerkungen fürchten - und trinkt entgegen seiner Überzeugung vielleicht doch mit.

«Das Wichtigste ist, dass man selber für sich klar hat, nicht trinken zu wollen», sagt Christa Merfert-Diete, Referentin für Prävention bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren in Hamm (Nordrhein-Westfalen). Das eigene Empfinden sollte wichtiger sein als das Empfinden der Gruppe. Ein Problem hätten vor allem die Menschen, die unbedingt trinken wollten: «Die haben das Gefühl, das der, der nicht trinkt, etwas von ihnen erfährt, was er nicht erfahren sollte», meint die Suchtexpertin. Deshalb bestehe stets der Wunsch, dass alle mittrinken.

Gründe für eine auch nur gelegentliche Abstinenz gibt es dagegen genug: Einige Menschen vertragen keinen Alkohol oder sind vielleicht mit dem Auto unterwegs. Und andere können sich einfach auch ohne Alkohol bestens vergnügen. «Spaß zu haben ohne Alkohol, das ist in dieser Gesellschaft aber selten geworden», sagt Christa Merfert-Diete.

Als Folge sagen viele nicht «Nein», weil sie Tratsch und negative Konsequenzen befürchten: Eine «abstinente» berufstätige Frau befürchtet womöglich, als schwanger zu gelten und so ihre Karrierechancen zu gefährden. Andere wollen keine «Feiglinge» oder «Spielverderber» sein oder befürchten, durch den Verzicht in den Verdacht zu geraten, in Wahrheit ein Alkoholproblem zu haben.

Die Ablehnung von Alkohol werde nur für den zum Problem, der sich gesellschaftlichen Zwängen unterwirft, sagt Wolfram Siebeck, Experte für Lebensart und Kochkunst bei der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitung «Die Zeit». In brenzligen Situationen rät er zur Dickfälligkeit: «Sollen die Leute doch denken, man sei schwanger oder abhängig oder feige - was ist schon dabei?»

Doch die Meinung der Umwelt zu ignorieren, fällt vielen nicht leicht. «Das hat mit einer Portion Selbstbewusstsein zu tun, daran muss man arbeiten», meint Marianne Montag, Stil- und Imageberaterin aus Unna (Nordrhein-Westfalen). In ihren Seminaren über Etikette und Benimm werde sie immer häufiger gefragt, wie man einer trinkfreudigen Umgebung den eigenen Verzicht auf Alkoholisches höflich vermittelt. Es gebe nur die Möglichkeit, freundlich und nett abzulehnen, sagt sie. Den Alkohol in einem unbeobachteten Moment in einem Blumenkübel verschwinden zu lassen, sei dagegen keine gute Methode: «Wenn das jemand sieht, hat man erst recht ein Problem», warnt die Expertin.

Vieles hänge aber auch davon ab, wie der Einladende oder der Kreis der Gäste reagiere. Ein höflicher Gastgeber respektiere ganz einfach die Entscheidung desjenigen, der nicht trinken wolle. «Dann kommt es erst gar nicht zu der aufdringlichen Phase, in der man gedrängt wird, doch ein Glas zu trinken», sagt Montag. Vielen Deutschen fehle es aber an der nötigen Sensibilität um zu akzeptieren, dass jemand nicht mittrinken wolle, sagt Suchtexpertin Merfert-Diete. Im Zweifel rät sie zur Vermeidung unangenehmer Situationen: «Ehe ich zu einer Veranstaltung gehe und weiß, dass es heikel wird, sage ich lieber ab.»