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Ernährung und Übergewicht Ernährung und Übergewicht: Ab wann ist ein Kind zu dick?

Von Larissa Kessner 28.09.2007, 06:17
Genüßlich beißt eine junge Frau in Berlin in eine dick bestrichenes Butterbrot. Der 28.09.2007 ist der «Tag des Deutschen Butterbrotes». (Foto: dpa)
Genüßlich beißt eine junge Frau in Berlin in eine dick bestrichenes Butterbrot. Der 28.09.2007 ist der «Tag des Deutschen Butterbrotes». (Foto: dpa) dpa

Berlin/ddp. - Die Normalwerte,an denen sich deutsche Experten bislang orientiert haben, waren immerschon umstritten. Deshalb schlägt das RKI vor, ein neues Bezugssystemzu entwickeln.

Stefan ist zehn und zu dick. Das jedenfalls behaupten seineMitschüler. Stefans Mutter sieht das freilich ganz anders. Wer legtfest, ob ein Kind Übergewicht hat? Für Erwachsene gibt esmittlerweile klare Grenzwerte: Wer einen Body-Mass-Index (BMI) vonmehr als 25 hat, gilt laut der Weltgesundheitsorganisation WHO alsübergewichtig. Der BMI lässt sich errechnen, indem das Körpergewichtin Kilogramm durch das Quadrat der Körpergröße in Metern geteiltwird. Der BMI ist ein indirektes Maß für den Fettanteil im Körper: jehöher der Index, desto mehr Fettmasse.

Zahlreiche Studien zeigen, dass mit zunehmendem Körperfettanteilauch das Risiko für Folgekrankheiten ansteigt. Bei Kindern allerdingszeigen sich die Zusammenhänge zwischen dem BMI und demKrankheitsrisiko nicht so deutlich. Zum einen treten die meistenschädlichen Auswirkungen von Übergewicht erst in viel späteren Jahrenauf. Zum anderen ist es ganz natürlich, dass der BMI im Laufe derkindlichen Entwicklung zuerst leicht abfällt und mit steigendem Alterdeutlich zunimmt. Deshalb ist es für Kinderärzte viel schwererfestzulegen, welches Gewicht in welchem Alter noch als ungefährlicheinzustufen ist.

Bislang gelten die von Katrin Kromeyer-Hauschild gesammeltenBMI-Werte als bestes Bezugssystem. Die Ernährungswissenschaftlerinvon der Universität Jena legte 2001 zusammen mit Kollegen einDiagramm mit Normwerten für jedes Alter an und berechnete sogenanntePerzentilkurven. Demnach ist ein zehnjähriger Junge erst dannübergewichtig, wenn er dicker als 90 Prozent seiner männlichenAltersgenossen ist.

Dieses Bezugssystem hat jedoch eine Schwäche: Es basiert auf 17Einzelstudien aus verschiedenen Regionen Deutschlands, die zwischen1985 bis 1998 zum Teil mit unterschiedlichen Messmethodendurchgeführt wurden. Die Daten lassen sich deshalb streng genommennicht auf die Gesamtbevölkerung übertragen. Im Mai 2007veröffentlichte das RKI erstmals BMI-Werte, die repräsentativ fürKinder und Jugendliche in Deutschland sind.

Es wäre also sinnvoll, anhand dieser Daten festzulegen, welchesGewicht in welchem Alter normal ist. Doch genau davor warnenWissenschaftler. Denn das, was Medien gerne als «Adipositasepidemie»beschreiben, ist auch in Deutschland bereits in vollem Gange. DerAnteil fettleibiger Kinder hat in den letzten 10 bis 20 Jahrenzugenommen. Der zehnjährige Stefan, der nach dem alten Bezugssystemvon Kromeyer-Hauschild noch als übergewichtig galt, würde nach denneuen Daten nicht mehr zu den dicksten zehn Prozent seinerAltersgruppe zählen. Rein statistisch wäre er also normalgewichtig.

«Anhand der aktuellen RKI-Studie Normalwerte festzulegen, würdedas Übergewichtsproblem in Deutschland verniedlichen», sagtKinderarzt Thomas Reinehr von der Universität Witten-Herdecke. AlsSprecher der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinder- undJugendalter (AGA) steht er einer Änderung der bisherigen Normalwerteskeptisch gegenüber: «Referenzsysteme umzustellen führt immer zugroßer Verwirrung.»

Bärbel-Maria Kurth vom RKI schlägt hingegen eine neue Lösung vor:Sie will nicht nur die Normalwerte mit den neuen Daten aktualisieren,sondern gleichzeitig auch die Grenzen für Übergewicht anpassen. Dabeimöchte sie sich an den anerkannten Grenzwerten für Erwachseneorientieren. Kurth hat sich deshalb die BMI-Werte von Jugendlichenkurz vor der Volljährigkeit angeschaut: Derzeit haben etwa 15 Prozentder Deutschen im Alter von 17,9 Jahren einen BMI über 25. Das heißtumgekehrt, dass 85 Prozent der Altersgruppe nicht übergewichtig sind.Diese Prozentzahl soll von nun an auch bei jüngeren Kindern dieÜbergewichtsgrenze bestimmen: Wenn 85 Prozent der Zehnjährigen einenBMI unter 20 haben, gelten alle Gleichaltrigen mit einem BMI über 20als übergewichtig. Demnach würde auch der zehnjährige Stefan miteinem BMI von 21 wieder in die Kategorie «zu dick» fallen.

«Diese Lösung wäre ein guter Kompromiss», meint Kurth. Auchinternationale Expertengruppen empfehlen, bei der Definition vonÜbergewicht an die anerkannten Grenzwerte für Erwachsene«anzudocken». Am besten wäre natürlich eine Definition, die nicht nurvon statistischen Normwerten ausgeht, sondern das Risiko fürgesundheitliche Folgeschäden einbezieht. Das ist bei Kindernallerdings bislang nicht möglich. «Die entsprechenden Langzeitstudiensind noch nicht abgeschlossen», betont Kurth.

Für Stefan selbst hat es freilich kaum Auswirkungen, wie dieDiskussion um die Bezugssysteme ausgeht. Denn hält sich sein Arzt andie Empfehlungen der AGA, sollte er das Kind nicht nur wiegen undvermessen. Zu einer guten Diagnose gehört beispielsweise auch, denBlutdruck des Patienten zu überprüfen, nach der Gewichtsentwicklungin den vorangegangenen Jahren und nach relevanten Erkrankungen in derFamilie zu fragen. Erst dann kann der Arzt entscheiden, ob etwas zutun ist.