Ernährung Ernährung: «Iss den Teller leer!»
Halle/MZ. - Und daraus ergibt sich einer der beiden Hauptgründe für den Zusammenhang zwischen autoritärem Erziehungsstil und Übergewicht: Müssen Kinder essen, was sie nicht essen wollen, lehnen sie innerlich mehr und mehr diese Nahrungsmittel ab. Weichen sie dann auf Pommes und Schoko aus, zeichnen sich langfristig Fettpölsterchen unterm Kinderpulli ab.
"Mach deinen Teller leer!" - "Du darfst erst spielen gehen, wenn du dein Gemüse aufgegessen hast!" Probleme gibt es auch, wenn Eltern versuchen, die Größe der Portion mit derartigen Drohungen zu bestimmen. Um zu tun wie befohlen, müssen die Kinder dann häufig ihre eigene Sättigungsgrenze missachten - und nehmen sie irgendwann gar nicht mehr wahr. Gewichtsprobleme auf Lebenszeit sind programmiert.
Eltern, die mit Strenge das Essen ihres Nachwuchses regeln, meinen es gut. "Dahinter steckt die Sorge, die Kinder könnten zu wenig lebensnotwendige Nährstoffe zu sich nehmen", sagt Dr. Mathilde Kersting, stellvertretende Leiterin des Forschungsinstitutes für Kinderernährung. Doch diese Angst sei meist unbegründet. "Eltern haben oft eine überzogene Vorstellung davon, wie viel Obst und Gemüse ein Kind braucht." So genügten einem Dreijährigen ein großer Apfel und zwei Möhren, also etwa 300 Gramm Obst und Gemüse am Tag.
"Eltern dürfen ihren Kindern ruhig vertrauen", beruhigt Kersting. "Die Kinder wissen sehr gut, wann sie genug gegessen haben." Als Beispiel führt sie das Stillen an: "Das Baby wendet sich von der Brust ab, wenn es satt ist." Bekomme es dagegen die Flasche, erwarteten viele Mütter, dass sie leergetrunken werde.
15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben Übergewicht, das sind fast zwei Millionen Drei- bis 17-Jährige, wie aus einer Studie des Robert-Koch-Institutes hervorgeht. Die Folgen von Übergewicht können im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegend sein: Frühzeitiger Verschleiß der Gelenke, Bluthochdruck, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen - um nur einige Stichworte zu nennen. Auch die psychischen Folgen sind erheblich: Dicke Kinder werden oft gehänselt und zu Außenseitern degradiert.
Überrascht waren Forscher von der Universität in Boston (USA) um Studienleiter Dr. Kyung E. Rhee von dem Ergebnis ihrer Studie eigentlich nicht, stimmt es doch mit anderen Untersuchungen überein: Ein autoritärer Erziehungsstil erzielt im allgemeinen relativ schlechte Ergebnisse. "Die Gefahren sind bekannt", sagt Josef Zimmermann, Leiter der katholischen Erziehungs-und Familienberatungsstelle Köln. "Zu streng erzogene Kinder laufen Gefahr, eine Dienerhaltung einzunehmen und Mitläufer zu werden. Oder sie gehen in die offene Opposition und entgleiten den Eltern." Nicht zu streng sein, heißt sicher nicht: den Kindern alles zu erlauben.
Auch Kinder von übermäßig freizügigen Eltern können dick werden - ihr Übergewichts-Risiko, so das Ergebnis der Bostoner Untersuchung, ist in dem Fall zweimal höher. Die Kinder sind zwar oft selbstbewusst, verfügen aber über wenig Selbstdisziplin - und das bedeutet: Wenn's schmeckt, wird gegessen, was das Zeug hält.
Interessant ist natürlich die Frage: Wer bekommt am wenigsten Gewichtsprobleme? Es sind die Jungen und Mädchen, deren Eltern zwar Regeln setzen, ihre Kinder dennoch miteinbeziehen, ihre Meinungen und Bedürfnisse ernst nehmen, sensibel sind und viel emotionale Wärme schenken. "Diese Kinder erreichen ein hohes Maß an Reife und Selbstdisziplin", so Dr. Kyung E. Rhee. Ein Erziehungsstil, den der Erziehungsberater Zimmermann mit "kooperativ" beschreibt: "Eltern sollten den Rahmen festlegen und dem Kind innerhalb dieses Rahmens eine größtmögliche Freiheit geben." Zum Beispiel so: "Ich stelle alles auf den Tisch: Gemüse, Beilage, manchmal Fisch oder Fleisch". Das Kind darf sich dann frei auswählen, was ihm schmeckt, und die Mengen selbst bestimmen.