Ernährung Ernährung: Die Müllmänner des Darms
Bonn/Aachen/dpa. - Der Name klingt abwertend und führt sogar in die Irre: Ballaststoffe sind keine überflüssigen Bestandteile der täglichen Kost, sondern erfüllen im Körper wichtige Funktionen. Dennoch ist die Ernährung der Bundesbürger zu ballaststoffarm - mit der Folge, dass ein Drittel der Deutschen unter Verstopfung leidet und zu Abführmitteln greift. Wer dagegen ausreichend Vollkornprodukte, Obst und Gemüse in seinen Speiseplan einbaut, kann seinen Darm ohne Tabletten auf Trab bringen.
«Ballaststoffe sind ein Sammelbegriff für pflanzliche Inhaltsstoffe wie Zellulose, Hemizellulosen, Pektin und Lignin, die im Vertrauungstrakt nicht abgebaut und unverdaut ausgeschieden werden», sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn. Als Bestandteil der pflanzlichen Zellwände üben sie dort eine Stütz- und Gerüstfunktion aus.
Die Fasersubstanzen, wie Ballaststoffe heute vorwiegend genannt werden, sind kein einheitlicher Stoff, sondern bestehen aus einer Reihe chemischer Verbindungen. Meist gehören sie zur Gruppe der Kohlenhydrate und sind aus vielen, zum Teil unterschiedlichen Zuckereinheiten aufgebaut. Sie tragen auch die Bezeichnung «nicht verwertbare Kohlenhydrate».
Aber es ist ein Trugschluss zu meinen, «nicht verwertbare» Ballaststoffe seien für die Ernährung belanglos. «Im Gegenteil, sie sind gesundheitsfördernd», erläutert Sven-David Müller von der Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen. «Pflanzenfasern regen die Tätigkeit des Dickdarms an und verhindern Verstopfung. Sie können als Müllmänner des Darms bezeichnet werden», sagt Antje Gahl.
«Besonders ballaststoffreich sind Vollkornprodukte, Beerenfrüchte und Kohlgemüse», erklärt Müller. Je fester ein pflanzliches Lebensmittel sei, desto mehr Fasersubstanzen enthalte es. Diese kommen beispielsweise in Vollkornbrot weitaus öfter vor als in Weißbrot, in Rettich mehr als in Gurke. Die Ballaststoffe aus Getreide oder Obst und Gemüse sind nach Aussage der Experten unterschiedlich zusammengesetzt und haben im Körper auch verschiedenartige Wirkungen.
Wasserunlösliche Fasern wie Zellulose, Hemizellulosen und Lignin - sie kommen überwiegend in Getreideprodukten vor - binden Gahl zufolge im Dickdarm Wasser, quellen auf und vergrößern so die Darmfüllung. Die Darmmuskulatur werde angeregt, die Nahrungsreste schneller abzutransportieren. Abführmittel sind somit überflüssig, und Hämorrhoiden können verhindert werden.
Wasserlösliche Ballaststoffe wie Pektin - hauptsächlich in Obst und Gemüse - haben nach Aussage von Müller einen positiven Effekt auf den Cholesterinspiegel. Denn sie werden an cholesterinreiche Gallensäure gebunden und dann ausgeschieden. Das vermindere den Cholesteringehalt im Blut und beuge somit einer Arterienverkalkung vor.
Eine ballaststoffreiche Kost begünstigt laut Müller auch den Blutzuckerspiegel - und hält letztlich schlank. «Wir hätten nicht so viel Übergewicht, wenn ballaststoffreich gegessen würde», sagt Müller. Denn ein Mehr an Nahrungsfasern sättige schneller. Ein Essen mit reichlich Pflanzenfasern - also genügend Vollkornprodukten, Gemüse und Obst - enthalte weniger Fett, Cholesterin, Zucker und Kalorien, so Müller.
Der Darmflora mit ihren Bakterien kommt eine wichtige Rolle zu, um den Menschen gesund zu erhalten. «Fasersubstanzen geben dem Körper zwar keine Energie, aber die im Dickdarm angesiedelten nützlichen Bakterien brauchen sie als Nahrung», erklärt Müller. Nur bei reichlicher Ballaststoffzufuhr können sie sich schnell vermehren.
Je löslicher Ballaststoffe seien, desto schneller und vollständiger werden sie abgebaut und zu kurzkettigen Fettsäuren fermentiert, erläutert Gerhard Rechkemmer von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe. In dieser Form sind sie für einen funktionierenden Stoffwechsel unentbehrlich. Je nach Schnelligkeit des Abbaus werden unterschiedliche Darmabschnitte beeinflusst: Langsam fermentierbare Ballaststoffe wie Zellulose oder Weizenkleie wirken sich eher auf untere, schnell umgewandelte wie Pektin dagegen eher auf obere Bereiche aus.
Ob bestimmte Ballaststoffe Darmkrebs vorbeugen ist zwar in der Diskussion, aber am Menschen noch wenig erforscht. So sollen in erster Linie die unverdaulichen Bestandteile des Korns vor der aggressiven Tumorart schützen. Finnischen Wissenschaftlern zufolge können vor allem Inhaltsstoffe aus dem Ballaststoff-Komplex des Roggens vor Erkrankungen schützen.
Doch Bundesbürger greifen bei einem trägen Darm eher zur chemischen Keule als auf eine ballaststoffreiche Kost zu achten. Die durchschnittliche Tagesaufnahme liegt nur bei rund 20 Gramm, sagt Antje Gahl. Empfehlenswert seien mindestens 30 Gramm, besser jedoch noch mehr. Die tägliche Dosis sollte zur Hälfte aus Getreideprodukten wie Brot oder Flocken stammen sowie aus Obst und Gemüse.
Die Tagesration wird Gahl zufolge schon mit drei Scheiben Roggenvollkornbrot, zwei Scheiben Knäckebrot, zwei bis drei großen Kartoffeln, zwei großen Möhren und einem mittelgroßen ungeschälten Apfel erreicht. Dazu morgens Müsli oder Joghurt mit etwas Weizenkleie, Leinsamen oder Getreideflocken und zwischendurch ein paar Trockenfrüchte: Das hält jeden Darm in Schwung.