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Endlich schwindelfrei Endlich schwindelfrei: Operation bei Spezialist in Halle beendet langes Leiden

Von Bärbel Böttcher 29.08.2019, 08:00
Schaukeln - das war für Nadine John vor kurzen noch unmöglich. Sie litt durch eine Erkrankung unter starkem Schwindel. 
Schaukeln - das war für Nadine John vor kurzen noch unmöglich. Sie litt durch eine Erkrankung unter starkem Schwindel.  Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Was passiert da nur in meinem Kopf? Warum nimmt das kein Ende? Warum wird das im Gegenteil immer schlimmer? Es sind diese Fragen, die Nadine John jahrelang quälen. Die heute 36-Jährige leidet unter Autophonie. Das heißt, sie nimmt ihre eigene Stimme übermäßig laut wahr. Was oft zu starken Kopfschmerzen führt. „Mich hat das wahnsinnig gemacht“, sagt die junge Frau, die in Oldenburger (Niedersachsen) zu Hause ist. Doch nicht nur das.

Ganz laut vernimmt sie auch ihre Schritte. Und wenn sie ruhig in ihrem Lesesessel sitzt und in einem Buch blättert, hört sie, wie die Augen auf den Zeilen hin- und herwandern. „Es klang, als würden Stühle gerückt“, erzählt Nadine John. Nachts wacht sie oft von den Geräuschen auf, die das Atmen verursacht. Eigentlich jedes Körpergeräusch wird verstärkt.

Hinzu kommt eine starke Lärmempfindlichkeit. Geräusche von Außen, etwa ein vorbeifahrender Zug, lösen Schwindelgefühle und Übelkeit aus. So wie zunehmend auch körperliche Anstrengung. Wenn die Grundschullehrern mit ihrer Klasse herumtollt, dann spürt sie bald extremen Schwankschwindel aus. „Ich hatte das Gefühl, bei bewegter See auf einem Boot zu stehen“, beschreibt sie ihre Empfindung. „Danach hat es zehn, 15 Minuten gedauert, bis ich wieder einigermaßen normal laufen konnte.“ Schließlich hört sie auch schlechter.

Mediziner ratlos: Beschwerden nehmen zu

Nadine John wird von Arzt zu Arzt geschickt. Untersuchung auf Untersuchung folgt. Doch am Ende sind die Mediziner jedes Mal ratlos. Keiner kann sich auf die etwas skurril anmutenden Symptome einen Reim machen. Sie passen irgendwie nicht zusammen. Es werden psychische Ursachen ins Spiel gebracht. Das lässt die Geplagte jedoch nicht gelten. Sie versucht es mit Yoga und autogenem Training. Denn es heißt, die Probleme könnten auch vom Stress im Beruf ausgelöst werden. Doch alles Üben hilft nichts. Das Leiden nimmt eher zu.

Eine Ohrenärztin überweist die junge Frau schließlich in eine auf Schwindel spezialisierte Ambulanz in Münster. Nach den Untersuchungen denkt sie, jetzt werde ich gleich wieder den Satz zu hören kriegen: Ich kann Ihnen leider nicht helfen. Doch diesmal ist alles anders. „Ich habe da eine Idee, ich weiß, was Ihnen fehlt“, sagt ihr der Arzt. Hinter Nadine Johns Beschwerden steckt eine sogenannte Bogengangdehiszenz, eine sehr seltene Erkrankung des Innenohrs. Der Facharzt eröffnet ihr auch, dass das nur durch eine Operation zu beheben sei.

Professor Dr. Stefan Plontke in Halle ist ein Spezialist

Und dass es dafür eigentlich nur einen Fachmann gebe: Professor Dr. Stefan Plontke, Direktor der halleschen Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Er und sein Team sind auf die Diagnose und die Behandlung solch seltener Erkrankungen spezialisiert.

Bei einer Bogengangdehiszenz weisen die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans im Ohr Lücken auf. Vereinfacht gesagt sorgen diese Bogengänge gemeinsam mit den Augen dafür, dass der Mensch auch bei schnellen Kopfbewegungen die Balance behält. „Doch wenn ihre knöcherne Struktur Lücken hat, lastet Hirndruck direkt auf dem Gleichgewichtsorgan und es kommt zu diesen ganz eigenartigen Symptomen“, erklärt Stefan Plontke.

Diagnose Autophonie: Operation oder mit der Krankheit leben

„Ich war froh“, sagt Nadine John, „dass es endlich eine Diagnose gab. Dass mal jemand gesagt hat, Du spinnst nicht.“ Über die Operation muss sie erst einmal nachdenken. Doch die Alternative heißt, mit der Krankheit zu leben. Das ist für sie keine. „Vielleicht wird alles noch schlimmer. Und kann ich dann noch meinen Beruf ausüben?“, fragt sie sich.

Die Arbeit mit den Kindern, die sie eigentlich liebt, bringt die Lehrerin schon jetzt manchmal an ihre Grenzen. Vor allem wenn sie freitags in einer sehr lebhaften Klasse unterrichtet und gegen einen steigenden Lärmpegel ankämpfen muss. „Da hatte ich manchmal das Gefühl, ich kippe um.“ Sie braucht dann das ganze Wochenende, um sich zu erholen.

Auch das Familienleben leidet. „Ich war schlecht gelaunt, immer gestresst und sehr angespannt“, sagt sie. „Und wahrscheinlich nicht immer sehr nett zu meinen eigenen Kinder.“ Mattis und Erik, acht und elf Jahre alt, spüren, dass ihre Mutter schnell genervt ist. So kann es nicht weitergehen. Sie entschließt sich zur Operation in Halle. Im Februar schließt Stefan Plontke, die Lücke, die in einem der Bogengänge des rechten Ohres entstanden war. „Seit der OP habe ich ein völlig neues Lebensgefühl“, sagt Nadine John.

Erst im Nachhinein wird ihr bewusst, dass sie im Laufe der Jahre auf immer mehr verzichtet hat. Zum Beispiel auf den geliebten Jazztanz. Das sei eines Tages eben wegen des Schwindels nicht mehr gegangen. Inzwischen tanzt Nadine John wieder. Inzwischen kann sie auch mit Mattis und Erik wieder auf dem Trampolin herumspringen, was die beiden sehr genießen. Sie hat das Fahrradfahren neu gelernt und treibt auch wieder anderen Sport. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, an denen sie ihr neues Leben spürt: So kann sie sich wieder bücken um die Schuhe zuzubinden, ohne dass sich im Kopf ein Karussell anfängt zu drehen.

Wobei Nadine John einräumt, dass das alles nicht von heute auf morgen möglich war, dass ihr Körper Zeit brauchte, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Professor Plontke habe ihr damals gesagt, dass das Joggen dabei helfe. „Unmöglich“, habe ich gedacht. „Vor der Operation musste ich schon nach wenigen Metern anhalten und mich irgendwo festhalten, weil alles schwankte.“ Also habe sie es gelassen. Und nun sollte sie wieder loslaufen?

Joggen ohne Nebenwirkung

Die sportliche Frau probiert es aus. „Ich bin gelaufen und gelaufen. Es passierte nichts. Ich bin weiter gelaufen: Es passierte noch immer nichts“, erzählt sie. Sie haben umgehend ihren Mann angerufen und berichtet: Ich kann joggen und ich stehe. Kein Schwindel. Keine Übelkeit. „Es war ein Glücksgefühl“, sagt Nadine John. Das hält bis heute an. Und sie hofft, dass es so bleibt. (mz)