1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Gesundheit
  6. >
  7. Schulsport: Bewegung in der Schule: Wie Schüler fitter werden

EIL

Schulsport Bewegung in der Schule: Wie Schüler fitter werden

Von Alexander Schierholz 15.06.2016, 17:29
Hände hoch! Nach fünf Minuten Sport-Einlage im Deutsch-Unterricht lernt die 6/4 gleich nochmal so gut.
Hände hoch! Nach fünf Minuten Sport-Einlage im Deutsch-Unterricht lernt die 6/4 gleich nochmal so gut. Andreas Stedtler

Quedlinburg - Nach 45 Minuten Deutsch heißt es „Sport frei!“ in Klasse 6/4. Nico und Josy stellen sich vor die Tafel. Die beiden Vorturner hüpfen in die Luft, strecken ihre Arme in schneller Folge nach rechts, nach links, nach oben, immer wieder, fünf Minuten lang. 13 andere Mädchen und Jungen machen mit.

Kleine Bilder und Beschreibungen auf Plakaten zeigen die Übungen - auf Englisch. Die Plakate hat die Klasse im Englisch-Unterricht erarbeitet.

Alltag im Quedlinburger GutsMuths-Gymnasium. Bewegung gehört zum Konzept des Gymnasiums, das seit 2008 von der Landesvereinigung für Gesundheit als „Gesunde Schule“ zertifiziert ist.

Wie richtig sie mit dem Schwerpunkt liegen, merken Schulleiter Dirk Gärtner und seine Lehrer-Kollegen immer dann, wenn die neuen fünften Klassen an das Gymnasium kommen, in dem an zwei Standorten mehr als 600 Schüler lernen.

„Ein Viertel der Kinder, die aus der Grundschule zu uns kommen, ist motorisch auf dem Niveau von Kindergarten-Kindern“, sagt er. Sie seien weniger belastbar, leicht oder stark übergewichtig.

Zu wenig Sportunterricht in der Grundschule

„Die Grundschulen sind unser größtes Problem“, sagt auch Jens-Uwe Böhme. Damit meint der Vorsitzende des Sportlehrerverbandes Sachsen-Anhalt nicht nur die „weniger bewegungsfreudigen“ Kinder, wie er sie nennt, sondern auch den Lehrplan.

Aus Sicht der Sportlehrer gibt es in der Grundschule zu wenig Sportunterricht. Eine sogenannte flexible Stundentafel sehe maximal zehn Wochenstunden Sport vor. Das heißt, zehn Stunden für vier Klassenstufen, einschließlich Schwimmunterricht. Die Folge, laut Böhme: „Bei zwei Stunden Schwimmen in der Woche findet häufig nichts anderes mehr statt.“

Der Verband fordert deshalb zwölf flexible Wochenstunden Sport. „Dann hätte man in jedem Schuljahr drei Wochenstunden, das würde schon etwas bringen.“

Auch in den fünften und sechsten Klassen sind drei Wochenstunden Sport vorgesehen, danach zwei. Zumindest auf dem Papier. Die Realität sieht bisweilen etwas anders aus. Knapp 3000 Sportlehrer arbeiten an den Schulen im Land, doch rund zehn Prozent der Stellen seien unbesetzt, schätzt Verbandschef Böhme. In dieser Größenordnung falle auch Unterricht aus.

Im Quedlinburger GutsMuths-Gymnasium kann Schulleiter Dirk Gärtner den Sportunterricht noch komplett abdecken. „Ausfall ist für uns kein Thema“, sagt er. Allerdings könnte das schon im nächsten Schuljahr könnte das anders aussehen. Denn es gibt Kollegen, die vor dem Ruhestand stehen.

Doch selbst wenn der Unterricht komplett abgedeckt werden kann: „Jeder weiß, dass man mit zwei oder drei Stunden Sport pro Woche dünn aufgestellt ist“, sagt Böhme, der in einer Sekundarschule in Roitzsch (Anhalt-Bitterfeld) unterrichtet.

Besondere Angebote für Schüler

In Quedlinburg versuchen sie es deshalb mit besonderen Angeboten. Projekte wie „Bewegung im Schnee - Fit for Snow“ sollen auch Sportmuffel unter den Schülern überzeugen: 30 Neuntklässler trainieren ein halbes Jahr lang intensiv, unter anderem in einem örtlichen Fitness-Studio, Höhepunkt und Abschluss ist eine Woche Ski-Freizeit im Bayerischen Wald.

„Am Ende sind die alle richtig fit und haben Spaß an der Sache“, freut sich Fachlehrerin Gabi Jagotzky.

Schon die Bewegung zwischendurch kann Wunder wirken. Zurück in Klasse 6/4: Die 15 Schüler haben ihre Sport-Einlage beendet, sie sind außer Puste, die Gesichter knallrot. Ihre Lehrerin Anneli Wabersich hat gute Erfahrungen gemacht mit dem Turnen zwischendurch.

Anders, meint sie, würden viele Schüler 90 Minuten Blockunterricht - im GutsMuths-Gymnasium ist das Standard - nur schlecht durchhalten. „Nach fünf Minuten Sport sind sie konzentrierter und haben neuen Elan.“

11 Uhr, mittlerweile hat die zweite große Pause begonnen, 30 Minuten lang. Es gießt wie aus Kannen, auf dem Schulhof reiht sich eine Pfütze an die andere. Die meisten Schüler drängeln sich im Schulhaus.

Bei Sonnenschein wäre das anders: In der zweiten großen Pause nämlich müssen eigentlich alle vor die Tür. „Das ist unsere Bewegungspause“, erklärt die pädagogische Mitarbeiterin Petra Brandt.

Spielgeräte zum Ausleihen

Sie steht auf dem Hof vor einer Holzbude, wie sie in dieser Jahreszeit üblicherweise für den Verkauf von Spargel oder Erdbeeren genutzt werden. Doch hier gibt es Spielgeräte. Brandt öffnet die Luke, zum Vorschein kommt eine ganze Palette an Ausrüstung für den Freizeitspaß - Bälle, Reifen, Springseile, Federballspiele, Floorballschläger, alles ist da.

Das Ausleihen übernehmen die Schüler selbst, dafür gibt es sogar einen Dienstplan. „Wir wollen Eigenverantwortung stärken“, sagt Schulleiter Gärtner, „das bedeutet mehr als gut rechnen und schnell laufen zu können.“ Er sieht Schule als einen Lebensraum, „schließlich verbringen wir hier alle mehr als acht Stunden am Tag miteinander“.

Sein Blick fällt quer über den Pausenhof auf die wegen des Regens verwaisten Tischtennisplatten. Als er vor drei Jahren seinen Dienst als Schulleiter im GutsMuths-Gymnasium antrat, erzählt er, waren die Platten auch meist ungenutzt - selbst bei schönem Wetter. Warum? „In der Pause haben fast alle auf ihren Smartphones rumgedaddelt“, sagt Gärtner, „kaum jemand hat sich bewegt.“

Eine seiner ersten Amtshandlungen war dann auch die Verfügung, dass die Mobiltelefone bei Unterrichtsbeginn ausgeschaltet werden müssen. Seitdem herrscht wieder Trubel auf dem Schulhof.

Jens-Uwe Böhme vom Sportlehrerverband wirbt dafür, dass noch mehr Schulen dem Quedlinburger Beispiel folgen und Bewegungsangebote in den Pausen unterbreiten. „Viele Kollegen sind da schon sehr engagiert“, lobt Böhme. (mz)