Beruf Beruf: Wenn die Arbeit krank macht
Berlin/Frankfurt/Main/dpa. - Der Rücken schmerzt, das Atmen fällt schwer: Belastungen am Fließband oder am Schreibtisch können der Grund für körperliche Beschwerden sein. Oft ist die Beeinträchtigung so schwer, dass es den Arbeitnehmern unmöglich ist, ihre berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Für diesen Fall sieht der Gesetzgeber Rehabilitationsmaßnahmen - früher Kur genannt - vor.
Nach Zahlen des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) in Frankfurt beantragten in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Arbeitnehmer eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation: Wandten sich 1997 noch rund 930 000 Menschen an die Leistungsträger, waren es 2001 bereits 1,35 Millionen. An erster Stelle der Beschwerden stehen nach Angaben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin mit großem Abstand Erkrankungen von Muskeln, Skelett und Bindegewebe. Es folgen psychische und Verhaltensstörungen, Krankheiten des Kreislaufsystems und der Atemorgane. Gerade bei Frauen stiegen die psychischen Erkrankungen stark an.
Über den Weg zu einer Rehabilitation informieren die örtlichen Service-Stellen der Leistungsträger. Dies sind in der Regel die Rentenversicherungsträger und die Krankenkassen. Sie bieten Patienten Beratung bei der Antragstellung an. Es müsse jeweils konkret geprüft werden, ob das Reha-Ziel zu erreichen ist, sagt Reinhild Waldeyer vom AOK-Bundesverband in Bonn. Der erste Gang sollte zum Hausarzt führen, erklärt Barbara Hüllen vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) in Essen.
Anschließend werde ein Antrag gestellt, der vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder vom Sozialmedizinischen Dienst der Rentenversicherungsträger geprüft wird. Dieser diene als Grundlage für das Genehmigungsverfahren. Die Kosten für Reise, Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Betreuung und medizinische Anwendungen übernehme dann der zuständige Leistungsträger. An den Kosten einer Rehabilitation wird der Patient mit maximal neun Euro pro Tag beteiligt. Die verbreitete Annahme, es werde immer schwieriger, eine Kur genehmigt zu bekommen, bestätigen Statistiken des VDR nicht: Der Anteil der Bewilligungen lag 1997 bis 2001 konstant bei rund 70 Prozent.
«Traditionelle Belastungen am Arbeitsplatz durch Lärm oder Schadstoffe sind nach wie vor vorhanden», erläutert Heinz Stapf-Finé, der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin die Abteilung für Sozialpolitik leitet. Ein Grund für die steigenden Antragszahlen sei auch, dass durch Rationalisierung in den Betrieben der Druck auf Mitarbeiter steige. Das Ziel der Reha-Maßnahmen sei, die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitern wieder herzustellen. «Das ist auch aus betrieblicher Sicht gut», sagt Stapf-Finé.
Gert Nachtigal, stellvertretender Leiter der Abteilung soziale Sicherung bei der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin, plädiert dagegen für mehr Vorsorge: Eine größere Rolle als die Rehabilitation sollte die betriebliche Gesundheitsförderung spielen. Dabei werde etwa überlegt, welche Arbeitskleidung einer Tätigkeit angemessen ist. Auch würden Mitarbeiter im richtigen Heben schwerer Gegenstände am Arbeitsplatz geschult. Bei den Vorsorgemaßnahmen stimme die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Unternehmen eher als bei Reha-Maßnahmen, so Nachtigal.
Nach Nachtigals Einschätzung ist fraglich, ob Reha-Maßnahmen auf lange Sicht dazu beitragen, schlimmere Krankheiten zu vermeiden. «Wenn der Arzt ihnen bei Rückenschmerzen nicht helfen kann, bekommen sie in einer Therapie Massagen und andere Behandlungen», so der Experte. Oft bessere sich der Rücken dadurch auch. «Ob das auf Dauer hilft, ist aber nicht bewiesen.»
Der DGB widerspricht dem allerdings mit Verweis auf den aktuellen «Gesundheitsbericht für Deutschland» des Bundesgesundheitsministeriums: Demnach waren 44 Prozent der in der BfA versicherten Rehabilitanden in einem Zeitraum von fünf Jahren nach der Maßnahme ununterbrochen erwerbstätig. Rund ein Viertel bleibe in diesem Zeitraum mit Unterbrechungen erwerbstätig, ohne aus dem Berufsleben auszuscheiden. In mehr als zwei Dritteln der Fälle gelingt es folglich, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, so das Fazit - obwohl diese vor der Maßnahme gemindert oder erheblich gefährdet gewesen sei.