Behandlung 2.0 Behandlung 2.0: Tinnitus-App soll es auf Rezept geben
Berlin - „Das Smartphone wird zum Medizinprodukt - das hat es so vorher nicht gegeben“, sagte ein Sprecher der Techniker Krankenkasse. Die App mit dem Namen Tinnitracks wurde von dem Hamburger Start-up-Unternehmen Sonormed entwickelt und soll zunächst von rund 30 Hamburger Hals-Nasen-Ohren-Ärzten getestet werden, bevor das Behandlungskonzept möglicherweise bundesweit angeboten wird.
Deutschlandweit leiden laut TK rund drei Millionen Menschen unter einem Tinnitus - jeder hundertste so stark, dass er ärztlich behandelt werden muss. Da derzeit nicht alle Behandlungsmethoden für Tinnitus-Patienten erfolgreich seien, biete die App Betroffenen „jetzt eine verblüffend einfache Behandlungsalternative“, erklärte die TK. Wenn sie über einen Zeitraum von zwölf Monaten mindestens 90 Minuten pro Tag ihre Lieblingsmusik hören würden, könnten sie ihrem Hörzentrum den störenden Ton abgewöhnen.
Tinnitus wird durch Überaktivität von Nervenzellen verursacht
Der sogenannte eingebildete Tinnitus entstehe nicht durch ein echtes Geräusch, sondern durch eine Überaktivität bestimmter Nervenzellen im Hörzentrum des Gehirns. Diese seien - vergleichbar mit den Tasten eines Klaviers - nach ihrer Frequenz angeordnet und verursachten bei Überreizung ein entsprechendes Geräusch. Für die Therapie mit Tinnitracks ermittelt der HNO-Arzt nach Angaben der TK die individuelle Tinnitus-Frequenz, die dann von der App aus der Lieblingsmusik herausgefiltert wird, um die betroffenen Zellen zu schonen. Das regelmäßige Hören der gefilterten Musik soll die Überaktivität der betroffenen Nervenzellen verringern und so den Tinnitus nachhaltig lindern.
Tinnitus-App konnte bereits erste Erfolge verbuchen
Die Therapie könnte eine Alternative zu den konventionellen Behandlungsmöglichkeiten sein, wie Klaus Rupp von der TK erklärte. In klinischen Tests habe sich das Verfahren bei Patienten zwischen 18 und 65 Jahren und einer Tinnitus-Frequenz unter 8500 Hertz bereits als wirksam erwiesen. Nun solle es unter Routinebedingungen erprobt werden. „Das wird unter ärztlicher Kontrolle sein“, sagte der HNO-Arzt Dirk Heinrich dem „Hamburger Abendblatt“ vom Mittwoch.
Techniker Krankenkasse übernimmt die Kosten
Tinnitus-Patienten können laut TK auch unabhängig von ihrem Wohnort an dem Test teilnehmen, wenn sie bei einem der Hamburger Ärzte in Behandlung sind. Die App kann in den App-Stores von Google und Apple von jedem gekauft werden. TK-Kunden bekommen die Kosten in Höhe von 19,90 Euro erstattet. „In unseren Augen bietet sie eine neue digitale Möglichkeit als Alternative zu konventionellen Therapien“, sagte der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, dem „Hamburger Abendblatt“.
Gleichzeitig warnte Baas aber, dass es auch viel „Humbug“ bei den derzeit angebotenen Gesundheits-Apps gebe. „Idealerweise ist ein Nutzen für Patient und Arzt gegeben.“ Dies sei zum Beispiel bei einer Diabetes-App der Fall, die der Patientenversorgung diene, nicht aber bei Lifestyle-Produkten. Aus Datenschutzgründen wird immer wieder vor Gesundheits-Apps gewarnt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff warnte im Sommer vor Fitness-Apps, die teilweise sehr sensible Gesundheitsdaten von Versicherten vor allem an private Krankenkassen übermitteln. (dpa)