Am Ball bleiben gegen Krebs Am Ball bleiben gegen Krebs: Bewegung und der Krebs - was kann der Sport bewirken?

Halle (Saale) - Passen die Themen Sport und Krebs zusammen? „Sehr gut sogar“, sagt Professor Dr. Jan-Henning Klusmann, Direktor der halleschen Universitätsklinik und Poliklinik für Pädiatrie I. Es ist eine Erkenntnis, die sich erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren durchgesetzt hat. In ersten Studien dazu wurde dieser Zusammenhang bei erwachsenen Patienten mit Darmkrebs untersucht. „Sie haben gezeigt, dass Sport deren Prognose verbessert, und zwar deutlich“, unterstreicht Klusmann.
In der Folge habe das körperliche Training auch bei anderen Krebsdiagnosen einen immer höheren Stellenwert bekommen. Der Mediziner, der seit knapp zwei Jahren in Halle arbeitet, will diese Erfahrungen nun auch für Kinder und junge Erwachsene, die wegen einer Krebserkrankung an der Uniklinik behandelt werden, nutzbar machen. Seit dem 1. Juni dieses Jahres steht dafür der Sporttherapeut Torge Wittke bereit. Er baut den Bereich „Onkologische Sport- und Bewegungstherapie“ insbesondere für diese Patienten auf.
Aber was kann der Sport bewirken? Welcher Sport ist sinnvoll? Und wie kann das Training gestaltet werden? Dazu beantwortet die MZ die wichtigsten Fragen.
Wie wirkt sich Sport bei einer Krebserkrankung auf den Körper aus?
Wer lange im Bett liegen muss, der baut Muskeln ab. Unter Umständen macht auch sein Kreislauf Beschwerden. Das gilt für alle Erkrankungen. Deswegen, so sagt Torge Wittke, sei der Gedanke, dass Patienten frühzeitig mobilisiert werden müssen, naheliegend. Dass das fachgerecht geschieht, dafür sorgen in den Kliniken unter anderem die Physiotherapeuten. Doch Wittkes Arbeit als Sporttherapeut hat einen anderen Schwerpunkt. Ihm geht es um ein gezieltes Ausdauer- und Krafttraining für die Krebspatienten - sowohl während als auch nach der Therapie. Damit könne der körperlichen Schwäche, die mit der Erkrankung einhergeht, etwas entgegengesetzt werden. „Sport“, so unterstreicht Klusmann, „bringt den Kreislauf und den Stoffwechsel auf Touren.“ Wobei sowohl er als auch Wittke betonen, dass es nicht darum geht, Physiotherapie zu ersetzen. Vielmehr sollen beide Bereiche eng vernetzt sein.
Haben Sport und Bewegung Einfluss auf die Nebenwirkungen einer Krebstherapie?
Wie die Erwachsenen können auch Kinder während oder nach der Krebstherapie an einen Punkt völliger Erschöpfung geraten. In der Medizin wird dieser Zustand als Fatique bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie Müdigkeit. „Kinder - je nach Altersgruppe - haben dann keine Lust zu spielen oder sich mit Gleichaltrigen zu treffen“, beschreibt Jan-Henning Klusmann die entsprechenden Symptome seiner Patienten. Hinzu komme, dass sie oft stundenlang vor dem Fernseher sitzen oder sich mit ihrer Playstation beschäftigen. Sie redeten kaum, sondern schotteten sich gegen die Umwelt regelrecht ab. Dieser Zustand solle durch den Sport abgewehrt werden.
„Typisch ist auch“, so sagt der Mediziner, „ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus.“ Das heißt, die Kinder machen die Nacht zum Tag und tagsüber sind sie kaum ansprechbar. „Da hilft Sport immens weiter“, betont Klusmann. Denn wer tagsüber aktiv sei, der sei abends erschöpft, gehe zu einer normalen Zeit ins Bett und schlafe.
Die Krankheit hat Auswirkungen auf die Psyche. Hilft Sport auch in diesem Fall?
„Die psychologische Wirkung des Sports ist ganz wichtig“, betont Torge Wittke. Der Sporttherapeut erzählt, dass er von den Kindern und Jugendlichen nicht als Teil des Krankenhaus-Teams wahrgenommen wird. Nicht als Arzt, nicht als Pfleger, nicht als Physiotherapeut. „Ich bin der vom Sport“, sagt er. Und bei den Übungen löse sich oft die Zunge. Die Mädchen und Jungen redeten sich dann alles, was sie bedrückt, von der Seele. Für Wittke zahlt sich in diesen Situationen seine zweite Ausbildung als Sozialpsychologe aus.
Aber es ist nicht nur das Reden. Manchmal schlage er ihnen vor, bei einer Runde Boxen ins Kissen Frust abzulassen, sich vorzustellen, „den blöden Krebs zu verprügeln“, wie es einer seiner Patienten ausgedrückt hat. Das tue ihnen einfach gut. Wittke denkt dabei besonders an diejenigen, die eine Stammzelltransplantation erhalten und mehrere Wochen isoliert auf der entsprechenden Station verbringen müssen. „Das ist purer Stress“, sagt er. „Ich glaube, wir können gar nicht nachvollziehen, wie viel Belastung das für die Kinder, die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen ist.“
Kann selbst ein Kind, bei dem eine Stammzelltransplantation vorgenommen wird, Sport treiben?
Diese Frage beantwortet Klusmann mit einem klaren Ja. „Gerade nach einer Stammzelltransplantation ist die Sporttherapie immens wichtig“, betont er. „Die Kinder haben danach keinen Hunger, keinen Appetit, sie sind schlapp, die Verdauung funktioniert nicht“, beschreibt er ihren Zustand. Das schon erwähnte Fatique-Syndrom sei stark ausgeprägt. Durch den Sport kehre die Lebensenergie zurück. Trainiert werde natürlich nicht während der vorbereitenden Chemotherapie und auch nicht in der Zeit, in der die Stammzellen übertragen werden. Aber etwa sieben Tage danach könne mit den Übungen begonnen werden.
Welche Art von Sport ist für einen jungen Krebspatienten ratsam?
„Auf keinen Fall geht es um Leistungssport“, sagt Torge Wittke. Ansonsten gelte es, möglichst vielfältige Angebote zu machen. Je nach den Interessen und Möglichkeiten des Kindes. So können die bereits erwähnten Boxübungen gegen das Kissen auch im Bett absolviert werden. Ebenso Übungen, bei denen Beineinsatz gefragt ist. Wenn keine medizinischen Gründe dagegen sprächen, könnten Kinder selbst mit Infusionsständer auf dem Fahrrad- oder im Ruderergometer trainieren. Beliebt sei das Fußballspielen. Das geht derzeit im Foyer der Klinik. Ein Sportraum fehlt noch.
Für ein Kind auf der Transplantationsstation, so betont Wittke, sei es mitunter schon Sport, aufzustehen und auf die Toilette zu gehen, anstatt die gängigen Hilfsmittel zu benutzen. Oder die Mahlzeiten nicht im Bett, sondern sitzend am Tisch einzunehmen. „Wenn ich die Patienten dazu bringe, ihre Alltagsaktivitäten aufrechtzuerhalten, dann ist das auch schon Sport“, betont Wittke. Vor diesem Hintergrund gefällt ihm das Wort Sport eigentlich gar nicht so gut. Er findet es besser, so wie die Briten von körperlicher Aktivität zu sprechen. Das werde dem Ganzen besser gerecht.
Gibt es im Hinblick auf körperliche Aktivität Grenzen?
Bei Kindern, die sich gerade im Zelltief befinden, so sagen Arzt und Sporttherapeut, sollte vorsichtig vorgegangen werden. Ein Zelltief bezeichnet den Zeitraum, in dem die Chemotherapie die größten Auswirkungen auf die Blut- und Abwehrzellen hat. Anders ausgedrückt: Es die Zeit, in der die Anfälligkeit für Infektionen am größten ist. Da werde nichts getan, was auch nur die geringste Verletzungsgefahr berge.
Wittke verweist auf das in Deutschland tätige Klinik-Netzwerk „ActiveOncoKids“. Das hat es sich zum Ziel gemacht, Bewegungsangebote und eine adäquate Sportförderung für Kinder und Jugendliche mit und nach einer Krebserkrankung zu ermöglichen. Was adäquat ist, sprich: für die Kinder und Jugendlichen den größtmöglichen Benefit bringt, werde derzeit untersucht.
Die Sporttherapie wird in der Zeit, in der die Kinder und Jugendlichen stationär behandelt werden, angeboten. Reicht das?
Nein. Klusmann erklärt, dass bei Kindern eine Intervalltherapie greift. Das heißt, sie bekommen, je nach Krankheitsbild, drei bis sieben Tage lang Chemotherapie. In dieser Zeit bleiben sie im Krankenhaus. Danach kehren sie - bis zum nächsten Chemotherapie-Zyklus - zurück nach Hause. Unter Umständen werden Teile der Therapie auch ambulant durchgeführt. Das heißt, die Eltern müssen ihre Kinder motivieren, auch zu Hause körperlich aktiv zu sein. Dazu seien sie nach Gesprächen mit den Medizinern schnell bereit. Ansonsten würde der Effekt verpuffen, der durch das Training in der Klinik erzielt werde.
Klusmann unterstreicht: „Sport hat einen positiven Einfluss auf die Zufriedenheit, auf die Lebensqualität der Patienten.“ Und Wittke ist sich sicher, dass sich bald auch andere Disziplinen der Medizin diese Erkenntnis zunutze machen. (mz)