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Ab 2015 Pflicht Ab 2015 Pflicht: Ist die Gesundheitskarte nutzlos oder innovativ?

Von Basil Wegener 09.12.2014, 10:10
Gesamtkosten für die elektronische Gesundheitskarte: 2014 laut den Kassen mehr als eine Milliarde Euro.
Gesamtkosten für die elektronische Gesundheitskarte: 2014 laut den Kassen mehr als eine Milliarde Euro. dpa Lizenz

Sie ist sehr umstritten, aber bald soll sie tatsächlich starten: In rund drei Wochen ist die elektronische Gesundheitskarte Pflicht - aber noch immer haben Zehntausende Sachsen-Anhalter keine. Versicherte aller großen gesetzlichen Krankenkassen im Land sind betroffen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Von Januar an werde gesetzlich krankenversicherten Patienten der Besuch beim Arzt oder Psychotherapeuten nur noch mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) samt Lichtbild erstattet. Die alten Chipkarten sind dann ungültig. Für Sachsen-Anhalter, die es bisher versäumt haben, eine Karte zu beantragen, wird es eng.

97 Prozent der Versicherten besitzen die Gesundheitskarte

Insgesamt haben rund 97 Prozent der Versicherten die Karte. Gesamtkosten: 2014 laut den Kassen mehr als eine Milliarde Euro. Doch viel kann die eGK nicht. Das zu ändern ist Ziel der Gematik. Die Gesellschaft mit den Kassen, Ärzten, Kliniken und Apothekern als Trägern sitzt in hellen Räumen an der Spree in Berlins Mitte. Man zeigt sich dort tatkräftig.

Nächstes Jahr soll „Gesundheitsdatenautobahn“ stehen

Im Moment wird laut Gematik-Geschäftsführer Arno Elmer die Infrastruktur aufgebaut. „Da werden jetzt Leitungen verlegt“, versichert der eloquente 48-Jährige mit Erfahrung in führender Position etwa bei der Nürburgring GmbH, der expert AG oder dem Immobiliendienstleister CB Richard Ellis. „Im kommenden Jahr steht die Gesundheitsdatenautobahn.“

Doch diese „Autobahn“ allein ist erstmal nutzlos, wie Rainer Bernnat feststellt, ein Experte für IT-Wirtschaft bei der Beratungsfirma Strategy& und langjähriger Begleiter der eGK. „Erst wenn Autos darauf fahren, bringt es Mehrwert und wird die Öffentlichkeit überzeugt werden.“ Gematik-Geschäftsführer Elmer beschreibt die bestehenden Datennetze bei Praxen und Kliniken als Landstraßen - bald würden sie an die neue digitale Autobahn angeschlossen. Gelingt das?

Höhere Sicherheit als beim Onlinebanking versprochen

Spontane Begeisterung löst das Projekt in Zeiten der Datenspionage bei vielen nicht gerade aus. Aktivisten machen etwa im Bündnis „Stoppt die e-Card!“ Front. „Die Sicherheit des Systems ist weit höher als die beim Onlinebanking“, beteuert Elmer. Zentrale Server solle es nicht geben, die Daten bleiben in Praxen und Kliniken - Verschlüsselungen und PIN-Nummern sollen den Austausch sicher machen.

Vorerst sind nur übliche Stammdaten wie Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Adresse und Krankenversicherungsnummer gespeichert, die auch auf den bisherigen Chipkarten enthalten waren. Die augenfälligste Neuerung ist ein Foto des Versicherten. Ausgenommen sind Kinder unter 15 Jahre und Versicherte, die an der Erstellung eines Fotos nicht mitwirken können, wie Bettlägerige. Auf der Rückseite ist die Europäische Krankenversichertenkarte aufgedruckt.

Die Gesundheitskarte enthält einen Mikroprozessor, der es künftig ermöglicht, sensible Gesundheitsdaten zu verschlüsseln und zu schützen. So können die Stammdaten der Versicherten regelmäßig online aktualisiert werden; das erspart etwa bei einem Umzug den bisherigen Kartenaustausch. Die Versicherten können künftig auch freiwillig Notfalldaten etwa zu Vorerkrankungen, Allergien oder Blutgruppe speichern lassen. Auch die Bereitschaft zur Organspende oder der Impfstatus könnten theoretisch auf der Gesundheitskarte dokumentiert werden. Zudem soll die Gesundheitskarte den Online-Austausch zwischen Ärzten ermöglichen, um etwa Befunde oder Röntgenbilder zügig zu übermitteln. All diese Funktionen sind aus technischen Gründen aber frühestens in zwei Jahren möglich.

Nein, auch das Abwickeln von Rezepten und die elektronische Patientenakte wurden auf ungewisse Zeit verschoben.

Nein. Verpflichtend ist nur die Speicherung der Stammdaten. Alle anderen medizinischen Informationen werden künftig nur auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherten gespeichert.

Die Bundesregierung attestiert den gespeicherten Daten ein „sehr hohes Schutzniveau“. Durch den Mikroprozessor seien die Daten für Dritte unlesbar. Um auf die medizinischen Daten zugreifen zu können, müssen der elektronische Arztausweis und die Gesundheitskarte zusammen in das Kartenterminal geschoben werden. Der Versicherte muss dem Datenzugriff später durch die Eingabe einer PIN-Nummer zustimmen, es sei denn, es liegt ein Notfall vor.

Den Versicherten nur das Geld für das Passbild. Die Kassen müssen für die Anfertigung einer Karte etwa zwei Euro bezahlen. Ferner überweisen sie pro Jahr und pro Kassenmitglied nochmals etwa zwei Euro an die Firma gematik, die sich um die Telematikanwendungen kümmert.

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Ärzte fürchten weniger Patientenkontakt

Bei den Medizinern gibt es auch andere Gründe für Ablehnung. „Viele Ärzte haben Angst, der persönliche Kontakt zu den Patienten nehme ab, weil Daten elektronisch abgefragt werden“, sagt Philipp Klöcker, Mitautor einer einschlägigen Studie der Uni Augsburg. Berater Bernnat meint: „Viele wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.“ Doch in der Ärzteschaft gibt es auch andere Stimmen.

„Deutschland hinkt beim Thema E-Health hinterher“, klagt der Chef des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt. „In anderen Ländern klappt der Arzt sein Notebook auf und hat sofort die Krankheitsdaten des Patienten vorliegen.“ Weigeldt kritisiert indirekt auch die in der Gematik vertretene Kassenärztliche Bundesvereinigung: Die Gematik-Beteiligten wollten die sensiblen Daten jeweils selbst haben - „diese aber nicht den anderen zugestehen“.

Notfalldaten sollen gespeichert werden

Vom Hickhack alarmiert macht nun Minister Hermann Gröhe (CDU) Dampf. In der Koalition wird erwartet, dass sein geplantes E-Health-Gesetz bis Oktober auf den Weg kommt. Die Ärzte sollen auf digital umschalten. Ab Ende 2015 sollen laut den Kassen etwa Adresse und Versichertenstatus auf der Karte online überprüft werden können.

Ab 2016 soll die elektronische Unterschrift eingeführt werden. Und Notfalldaten sollen auf der Karte gespeichert werden können - Ärzte könnten rasch Infos über Allergien oder Herzschrittmacher bekommen. Greifbar ist auch, dass Ärzte, Kliniken und Apotheker die Daten eines Patienten schnell austauschen können. Elmer: „Heute werden Röntgenbilder zum Beispiel noch in Pappröhren verschickt.“

Wechselwirkung von Medikamenten bald automatisch ausschließen?

Der künftige Nutzen von eGK und E-Health-Netz hängt davon ab, welche Programme Firmen bieten. Ekkehard Mittelstaedt vertritt als Verbandsgeschäftsführer die IT-Anbieter im Gesundheitswesen. Die Räume des Verbands bvitg nahe des Berliner Gendarmenmarkts sind nüchtern, die Verheißungen von IT-Lösungen für bessere Behandlungsabläufe groß. Mittelstaedt meint, die Industrie biete schon heute Anwendungen an - weit über den Transport von Daten zwischen Ärzten hinaus.

Beispiel Arzneisicherheit: Es gilt, Patienten vor Wechselwirkung bei mehreren Pillen und Überdosierung zu schützen. Also könnte es für alle berechtigten Ärzte und Apotheker einsehbare Medikationspläne geben. „Patienten und Ärzte könnten aber auch von automatischen Wechselwirkungsprüfungen profitieren oder von Vorschlägen zur Medikation, die Programme anhand aktueller wissenschaftlicher Standards machen“, so Elmer. Wesentliche Anwendungen würden jedenfalls bis 2018 eingeführt - bis dahin dürften der neue Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie übrigens bereits fertig sein. (dpa)

Ab Ende 2015 sollen laut den Kassen etwa Adresse und Versichertenstatus auf der Gesundheitskarte online überprüft werden können.
Ab Ende 2015 sollen laut den Kassen etwa Adresse und Versichertenstatus auf der Gesundheitskarte online überprüft werden können.
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