Gesetzesurteile Gesetzesurteile: Die häufigsten Verkehrsfallen
Augen zu - und durch? Im Straßenverkehr kommt es trotz gesetzlicher Vorschriften mitunter zu Situationen, in denen Autofahrer vor Rätseln stehen: Darf ich jetzt oder nicht...? Manchmal landen Streitfälle vor Gericht. Die MZ informiert, wie Richter in solchen Fällen entschieden haben. Die Urteile geben einen Anhaltspunkt, wie man sich in ähnlichen Situationen verhalten sollte. Aber Vorsicht: Es handelt sich immer um Einzelurteile, die nur für die streitenden Parteien Verbindlichkeit haben. Als Orientierung für den eigenen Fall sind sie dennoch geeignet.
Urteile sind keine Erweiterung des Gesetzes, sondern nur eine Auslegung des Gesetzes auf den geschilderten Einzelfall hin. Es gibt viele Urteile, in denen Gerichte unterschiedlicher Meinung sind, und es kann auch gut sein, dass innerhalb eines Gerichtes die einzelnen Senate unterschiedlicher Meinung sind. „Generell“, so sagt Werner Budtke, Pressesprecher und Richter beim Amtsgericht Halle, „ist ein Urteil nur für den Einzelfall, das heißt nur für die beiden vor Gericht stehenden Parteien verbindlich, also für den Kläger und den Beklagten.“ Einzelurteile dienen bestenfalls als Orientierung, wie eine gerichtliche Auseinandersetzung bei einem ähnlich gelagerten Falle ausgehen könnte. Jedes Einzelurteil hängt von konkreten Umständen und der konkreten Beweislage ab. Durch die Unabhängigkeit des richterlichen Standes ist ein Gericht nicht an das gebunden, was ein anderes entschieden hat.
Für alle „wichtig“ werden nur Urteile, wenn die obersten Bundesgerichte einen Sachverhalt ein erstes Mal und dann besonders ausführlich darlegen und begründen. An der Rechtsprechung orientieren sich dann auch die anderen Gerichte, und die Chance, dass man mit einer abweichenden Meinung einen Rechtsstreit verlieren könnte, ist dann sehr hoch. (Kme)
Verdeckte Verkehrsschilder
Ob ein Verkehrszeichen wirksam ist, bestimmt der sogenannte Sichtbarkeitsgrundsatz. Er besagt, dass ein Zeichen so aufgestellt sein muss, dass es von den Verkehrsteilnehmern schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfasst werden kann. Das gilt nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm nicht nur bei der erstmaligen Anbringung, sondern auch dann, wenn ein Verkehrsschild aufgrund von Witterungsbedingungen nicht mehr erkennbar ist. In diesem Fall ist das Zeichen für den Autofahrer unverbindlich. Missachtet er es, verhält er sich nicht ordnungswidrig.
Für Verkehrsschilder, die nicht schon an ihrer Form erkennbar sind – wie das zum Beispiel bei einem verschneiten oder von Laub verdeckten Tempolimit-Schild der Fall ist – bedeutet das: Fahren Sie als ortsunkundiger Autofahrer an dem Zeichen vorbei, sind Sie nicht verpflichtet, auszusteigen, um feststellen zu können, welche Anordnung dort getroffen wird. Wenn Sie von der Polizei angehalten oder wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt werden, können Sie sich vielmehr darauf berufen, dass Sie das Verkehrszeichen nicht erkennen konnten. Das müssen Sie allerdings auch gegenüber den Ordnungshütern nachweisen! Deshalb empfiehlt es sich nach Angaben der Arag-Rechtschutzversicherung, im Ernstfall an Ort und Stelle ein Foto von dem verschneiten Schild zu machen. Anders sieht es allerdings aus, wenn Sie Anwohner sind: Die Anordnung der verschneiten Verkehrszeichen müssen sie dann trotzdem beachten, weil davon auszugehen ist, dass Sie die vorhandene Beschilderung kennen oder zumindest kennen müssten. Und auch, dass innerhalb geschlossener Ortschaften nicht mehr als Tempo 50 erlaubt ist, wird bei Führerscheininhabern als bekannt vorausgesetzt. In einer Tempo-30-Zone mit 50 km/h zu fahren, kann deshalb bei verschneiten Schildern ohne Folgen bleiben. Fahren Sie aber schneller als Tempo 50, wird trotzdem ein Bußgeld fällig.
Bei Verkehrszeichen, die schon anhand ihrer charakteristischen Form erkennbar sind, hilft das Argument, das Schild sei verschneit gewesen, nicht weiter. Denn das achteckige „Stopp“-Zeichen oder das auf der Spitze stehende Dreieck des „Vorfahrt-beachten“-Zeichens zum Beispiel sind in ihrer Form einmalig und lassen keine Zweifel über die getroffene Anordnung zu. Diese Schilder müssen daher immer beachtet werden – egal, ob verschneit oder nicht! (Oberlandesgericht Hamm, Aktenzeichen: III-3 RBs 336/09)
Vergessenes Warndreieck
Bei einem Notstopp auf der Autobahn muss unbedingt ein Warndreieck aufgestellt werden. Wer das unterlässt, haftet selbst zur Hälfte für einen Unfallschaden, der dadurch entsteht, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer auffährt. Der Fahrer eines Sattelzuges musste am rechten Fahrbahnrand der seitenstreifenlosen Autobahn nothalten. Bei dem Fahrzeug schaltete der Fahrer die Warnlichtblinkanlage an, stellte jedoch kein Warndreieck auf.
Weil ein nachfolgender Sattelzug das vor ihm stehende Fahrzeuggespann streifte, hat der Kläger vollen Ersatz seines Sachschadens in Höhe von rund 29 000 Euro begehrt. Außergerichtlich wurden 50 Prozent erstattet – vor Gericht verlangte er nun die andere Hälfte. Das Klagebegehren blieb erfolglos, da eine Mithaftung für den Verkehrsunfall vorliegt. Mit einem auf der Fahrbahn haltenden Fahrzeug muss der nachfolgende Verkehr auf einer Autobahn grundsätzlich nicht rechnen. Deswegen muss der Fahrer eines haltenden Fahrzeugs alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen ergreifen. (Oberlandesgericht Hamm, Aktenzeichen: 26 U 12/13)
Richtgeschwindigkeit überschritten
Wer die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 km/h massiv überschreitet, haftet bei einem Unfall auch dann mit, wenn der Unfallgegner sich grob verkehrswidrig verhalten hat. In dem Fall wechselte ein Autofahrer beim Auffahren auf die Autobahn grob verkehrswidrig unmittelbar von der Einfädelspur auf die Überholspur, um einen vorausfahrenden Pkw zu überholen. Dabei kam es zur Kollision mit einem Pkw, der mit etwa 200 km/h die Überholspur befuhr. Das Oberlandesgericht Koblenz hat dem Kläger den geltend gemachten Schadenersatz von 40 Prozent des Schadens zuerkannt. Denn den Beklagten treffe trotz des Fehlverhaltens des Unfallverursachers eine erhebliche Mithaftung für das Unfallgeschehen. Eine solch hohe Geschwindigkeit wie die des Beklagten ermöglicht es in der Regel nicht mehr, Unwägbarkeiten rechtzeitig zu erkennen und sich darauf einzustellen. Bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit hätte der Unfall bereits durch eine mittelstarke Bremsung vermieden werden können. Oberlandesgericht Koblenz Aktenzeichen: 12 U 313/13)
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie ein Zusammenstoß mit der Polizei für Sie ausgehen könnte und warum Sie trotz einer Unfallschramme im Lack nicht immer auf Schadensersatz hoffen können.
Zusammenstoß mit Polizei
Eine Autofahrerin hatte nachts auf der Suche nach einem Parkplatz ihr Fahrzeug gewendet und war mit einem sich mit hoher Geschwindigkeit nähernden Polizeiwagen kollidiert. Sie war bei dem Vorfall verletzt worden. Vor Gericht ging sie von einer Mitschuld der Polizisten aus, da diese fast ungebremst mit ihr zusammengestoßen waren. Die Richter waren jedoch anderer Ansicht. Bei einem Wendemanöver sei eine besondere Sorgfaltspflicht gegeben, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer müsse dabei ausgeschlossen werden. Eine Mithaftung der Beklagten schied aus, da die Klägerin nicht beweisen konnte, dass sie vor dem Wenden den linken Blinker gesetzt hatte. Auch die erhöhte Geschwindigkeit des Einsatzfahrzeuges führt nicht zu einer Mitschuld. (Kammergericht Berlin Aktenzeichen: 12 U 206/08)
Parken mit Umweltplakette
Bereits das Parken eines Fahrzeugs in einer Umweltzone ohne gültige Umweltplakette stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Der Betroffene hatte im verhandelten Fall seinen Pkw in einer Umweltzone geparkt, die nur mit Umweltplaketten befahren werden durfte. Die an dem Fahrzeug angebrachte grüne Umweltplakette wies ein Kennzeichen aus, das nicht dem am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen entsprach. Für das in der Umweltzone ohne gültige Plakette abgestellte Fahrzeug wurde dem Betroffenen ein Bußgeld von 40 Euro auferlegt. Gegen den Bußgeldbescheid wandte sich der Betroffene ohne Erfolg an die Gerichte. Er war zu Recht mit dem Bußgeld belegt worden, da das Fahrzeug nicht mit einer gültigen Umweltplakette ausgestattet gewesen war. Zudem erfasst die Straßenverkehrsordnung das Parken als Teil des ruhenden Verkehrs. (Oberlandesgericht Hamm Aktenzeichen: 1 RBs 135/13)
Schramme
Ein Gericht hat Schadenersatzansprüche wegen Fahrzeugschäden aus einem Verkehrsunfall rechtskräftig verneint, weil ein sogenannter So-Nicht-Unfall vorgelegen habe. Der Kläger verlangte vom Unfallgegner etwa 8.800 Euro Schadenersatz. Das gegnerische Fahrzeug sei beim Linksabbiegen von der linken Fahrspur zu weit nach rechts auf die vom klägerischen Fahrzeug befahrene Fahrspur geraten und dann an der linken Fahrzeugseite entlanggeschrammt. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Gericht geht zwar davon aus, dass es am Unfalltag zu einer Kollision kam. Allerdings war nicht festzustellen, dass die geltend gemachten Schäden am Fahrzeug des Klägers in ihrer Gesamtheit oder zumindest ein abgrenzbarer Teil bei dem in Frage stehenden Unfall entstanden sind. Der Schadenersatzanspruch war daher mangels eines Schadens, der dem vorgetragenen Unfallgeschehen zuzuordnen sei, ausgeschlossen. (Oberlandesgericht Hamm Aktenzeichen: 9 U 53/13)
Schlagloch
Der Kläger hatte mit seinem Pkw nachts die Autobahn im Bereich einer Baustelle befahren, bei der der Standstreifen als Fahrbahn fungierte. Auf dem Standstreifen geriet das Fahrzeug in ein rund 20 Zentimeter tiefes Schlagloch. Das Loch war entstanden, weil die Bitumen-Schicht auf einem vom Landesbetrieb provisorisch verfüllten Gullydeckel zerbröselt war. Das Auto erlitt einen Achsschaden. Die Reparatur kostete dem Besitzer etwa 2 200 Euro. Seine Klage auf Schadenersatz hatte Erfolg. Ein Mitverschulden war dem Kläger nicht anzulasten, so dass er vom Land Nordrhein-Westfalen aufgrund einer Verkehrssicherungspflichtverletzung vollen Schadenersatz erhielt. (Oberlandesgericht Hamm Aktenzeichen: 11 U 52/12)#
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie breit Sie sich auf Ihrem Parkplatz machen können und wer beim Touchieren eines in der zweiten Reihe geparkten Autos Schuld bekommt.
Breit machen beim Parken
Der Inhaber eines Stellplatzes darf diesen in seiner kompletten Breite ausnutzen. Er darf sein Auto auch dann auf der rechten Hälfte des Stellplatzes parken, wenn dies dem Nutzer der danebenliegenden Parkfläche das Einsteigen erschwert. Die Klage einer Frau, die das monierte, hatte keinen Erfolg. Die Klägerin habe keinen Unterlassungsanspruch, da keine Beeinträchtigung ihres Eigentums vorliege und die Beklagte stets innerhalb der Grenzen ihres Parkplatzes parke, so das Gericht. (Amtsgericht München Aktenzeichen: 415 C 3398/13)
Platz für Behinderten
Ein Anwohner hat keinen Anspruch darauf, dass sämtliche Parkplätze auf öffentlichem Grund in seiner Gegend erhalten bleiben. Wird ein Parkplatz zu einem Behindertenparkplatz, muss der Anwohner das hinnehmen. Ein Nachbar könne die Beseitigung eines Schwerbehindertenparkplatzes allenfalls verlangen, wenn er hierfür ein besonderes Interesse nachweisen könne. Dies sei bisher aber nicht erfolgt. (Verwaltungsgericht Koblenz Aktenzeichen: 6 K 569/13.KO)
Parken in zweiter Reihe
Parkt ein Auto in zweiter Reihe, beeinflusst es den Verkehr. Im konkreten Fall hatte ein Lkw in zweiter Reihe geparkt und dadurch die rechte Fahrspur blockiert. Teile des Lkw-Aufbaus und der linke Außenspiegel des Lkws ragten in die linke Fahrspur hinein. Beim Versuch vorbeizufahren, touchierte ein anderer Lkw das parkende Fahrzeug, wodurch bei diesem ein Schaden von 3 827 Euro entstand. Der Schädiger war bereit, 75 Prozent zu ersetzen, sah aber eine Mitschuld von 25 Prozent beim Fahrer des parkenden Trucks. Der Eigentümer wollte aber auch den Rest des Schadens ersetzt bekommen und klagte – allerdings ohne Erfolg. Sein Lkw habe den Verkehr beeinflusst, da er so in zweiter Reihe abgestellt gewesen sei, dass Teile des Aufbaus und des linken Außenspiegels in die linke Fahrspur hineinragten, erklärten die Richter. (Amtsgericht München Aktenzeihen: 332 C 32357/12)
Der Radfahrer bremst
Die Vollbremsung eines Radfahrers ist nur dann gerechtfertigt, wenn er wirklich durch ein abbiegendes Fahrzeug zu einer Notbremsung gezwungen wird. Ansonsten muss er so behutsam bremsen, dass er nicht stürzt. Das Amtsgericht Münster wies die Klage eines Radfahrers auf Schmerzensgeld ab, der durch eine Vollbremsung gestürzt war. Das Gericht sah keine Notwendigkeit für die abrupte Bremsung, der langsame Abbiegevorgang des Autofahrers habe keine Notbremsung herausgefordert(Amtsgericht Münster Aktenzeichen: 48 C 3693/12)
Diese und weitere Urteile unter: www.arag.de/rund-ums-recht/rechtstipps-und-urteile/auto-und-verkehr


