Gastronomie Gastronomie: «Zauberei» aus einem «Bausatz»

Hamburg/dpa. - Rechts und links Ingwergelee. Nils Henkel aus BergischGladbach macht nicht etwa schnell zehn Teller fertig, um die Schlangevor und in seiner Küchenecke abzubauen. Der Starkoch und seine Helferquetschen sich an den wartenden Gästen entlang und belegen erst malalle Teller in der Nähe mit Tunfisch. Dann kommt der Lachs, dann derRest. «Nein, da fehlt noch was!» Henkel muss immer wieder voreiligeGäste in die Schranken weisen.
Die rund 160 Gäste bei der Küchenparty im Hamburger Raffles HotelVier Jahreszeiten müssen Geduld mitbringen. Aber das Warten lohntsich. In der Küche im Keller des Hotels an der Binnenalster sindsieben Sterneköche am Werk. Neben dem Küchenchef des Hotel-Restaurants Haerlin, Christoph Rüffer, sind es sechs Gastköche, diealle mit mindestens einem Michelin Stern ausgezeichnet sind. Mit derKüchenparty wird die Sommerpause im Haerlin beendet. Der Clou: AlleGäste bekommen eine Küchenschürze um und können sich das Essen selbstin der Küche abholen oder sogar gleich dort essen.
Henkel arbeitet weiter an seinem Bausatz für Genießer. Jetzt kommtKaviar oben und unten auf den Teller. Dafür streicht der Koch zweiEsslöffel mehrmals gegeneinander, gibt dem grünen Kaviarröllchenseine ovale Form. «So jetzt ist es fertig«, sagt Henkel, die erstenbeiden Gäste dürfen sich bedienen. Die nächsten in der Schlange übensich in Geduld, die Kaviarform muss schließlich auf jedem Tellerstimmen.
Stunden-, teilweise tagelang, haben sich die Starköche auf diesenAbend vorbereitet. Überhaupt, das bestätigen sie unisono, istOrganisation und Vorbereitung ein ganz wichtiger Teil des Kochens.Die Chefredakteurin des renommiertesten deutschen RestaurantführersMichelin, Juliane Caspar (35), hat das kürzlich in Abgrenzung zu denpopulären Fernsehköchen so beschrieben: «Die Qualitäten, die man imFernsehen haben muss, sind nicht dieselben, auf die es für einenSternekoch ankommt. Im Fernsehen geht es mehr um Präsenz undSpontaneität, beim Sternekoch um Talent, Organisationsgeschick undBeständigkeit.»
An diesem Abend müssen die Köche eine Mischung aus beidem zeigen:Die Gäste wollen unterhalten werden. Ähnlich wie im Fernsehen müssendie Köche bei ihren Gerichten Abstriche machen. «Ich koche so wenigwie möglich à la minute», sagt Bernd Siener, «sonst haben Sie keineChance. Nachher ist es viel zu eng hier. Wenn Sie darauf nichtvorbereitet sind, macht es keinen Spaß.» Die Vorbereitung hat für denKoch des Restaurant Bel Etage Marburger Hotels Rosenpark noch einenGrund: «Man möchte sich vor den Gästen nicht blamieren», sagt Siener.
In Sieners Ecke der Küche riecht es schon jetzt nach erhitzterButter. Er schaufelt mit den Händen gold-gelbe Pfifferlinge in einePfanne. Sie braten in der Butterlache. Der 38-Jährige verschränkt dieArme vor dem kräftigen Körper, lächelt. «Ich freue mich auf heuteAbend. Es ist schön, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen.» Doch dieGäste direkt in der Küche zu haben, stellt die Köche vor großeHerausforderungen, das wird sich später zeigen.
Am Nachmittag kommen sie mit ihren Helfern im Vier Jahreszeitenan. Gastgeber Rüffer zeigt allen ihre Plätze. Ein ziemliches Gewuselist das. «Die Hölle», sagte Rüffer hinterher. Eigentlich müsste erallen Köchen auch noch zeigen, wo Töpfe, Pfannen, Schaber und Wenderzu finden sind, doch dafür hat er keine Zeit. Stattdessen bekommenalle sechs Gastkochteams einen Vier-Jahreszeiten-Koch zugewiesen, derweiß wo alles liegt und den Gästen den Weg durch die fremde Küchezeigt.
Viele der Köche kennen sich untereinander gut. Wie zum BeispielGastgeber Rüffer und Nils Henkel, die gemeinsam die Meisterschuleabsolviert hat. «Konkurrenz gibt es heute Abend nicht», sagt Rüffer.Henkel bringt die meisten Sterne nach Hamburg, er kocht im RestaurantDieter Müller im Schloss Hotel Lerbach, Bergisch Gladbach. KüchenchefMüller hat drei Michelin Sterne.
Jemand bringt Bernd Siener weitere Pfifferlinge. Auf einemsilbernen Metallblech rutschen die gold-gelben Pilze hin und her. Einpaar Schritte weiter klackern Eiswürfel auf ein Silbertablett. Daraufstapelt ein Koch grüne Meeresböhnchen. Kurzes Zupfen hier und da,fertig. Jetzt werden die Austern mit einem kurzen Messer geknackt undangerichtet.
Sascha Lissowsky wickelt Iberico-Schinken um Weißbrotstifte. SeineHände glänzen. Das Brot hat er vorher in Olivenöl frittiert. DenSchinken schon am Morgen hauchdünn geschnitten und auf einem Blechbereit gelegt. Brot nehmen, auf Schinken setzen, zwei, drei Malwickeln, fertig. «Normalerweise bereiten wir kleinere Mengen vor, sofünf oder sechs», sagt der 24-Jährige. Lissowsky ist «Chef de partie»im Thomas Martins Jacobs Restaurant und heute dessen rechte Hand anden Pfannen.
Gestreifte Roma, Andenhorn, Schwarzes Zebra und Feuerwerk - beiRobert Stolz trägt das Gemüse ungewöhnliche Namen. Plöner Maräne mitKräutern gefüllt auf historischen Tomaten und Cous-Cous bietet er denGästen an. Es sind die historischen Tomaten, die die merkwürdigenNamen tragen. In Kisten liegen sie bereit. Hellrote Zapfen die einen,kleine dunkelrote Kugeln die anderen, manche gelb und mit tiefenFurchen. Es sind Sorten, die fast vollständig vom Markt verdrängtwurden, die nur noch wenige Bauern anbieten.
Mit Meersalz, Rohrzucker und Olivenöl würzt Stolz dieTomatenscheiben, bevor sie in den Ofen kommen. Maräne hat erausgewählt, weil der Fisch in Norddeutschland zu finden ist. «Ich binganz regional, ganz Plön geblieben», sagt er. Die Fischscheiben sindan der Unterseite aufgeschnitten und gefüllt, verrät Stolz schonjetzt. Die Gäste werden diese Raffinesse erst beim Essen bemerken.
Das Kochen in Deutschland ist im Aufwind. Doch nicht nur die einembreiten Publikum bekannten Fernsehköche wie zum Beispiel Tim Mälzersorgen für Furore. Nach Frankreich ist Deutschland das Land mit denmeisten Drei-Sterne-Restaurants. «Die Spitzenköche in Deutschlandsind viel kreativer geworden, beherrschen aber natürlich auch dieklassische Küche», meint Michelin-Chefredakteurin Caspar.
Roy Petermann kommt auf die längste Vorbereitungszeit: Vor fünfTagen hat der 48-jährige Koch des Restaurant Wullenwever in Lübeckdie Rinderschaufel eingelegt, gegen Mittag hat er mit dem Schmorenbegonnen. Jetzt ist es nur noch ein Stunde, bis die Gäste in dieKüche drängen werden. Von Nervosität ist bei den Köchen auf denersten Blick nichts zu sehen.
Thomas Martin, vom Jacobs Restaurant Hamburg, wirbt gerade dafür,jedem Koch eine Chance zu geben. Aussagen, die ihm wichtig sind,unterstreicht er mit einer schwungvollen Geste: Die Fingerzusammengeführt, setzt er mit einer Hand ein Ausrufezeichen. Auchnach Sätzen wie diesem: «Kochen ist doch wirklich Geschmackssache,deswegen kann man Köche eigentlich nicht miteinander vergleichen.»Nervös sei er nicht, betont Martin. «Ich bin jeden Abend gleichangespannt.» Martin verschränkt die Arme. «Auch wir machen Fehler.»Der 39-Jährige kratzt sich am Kopf. «Ich mache mir schon Gedanken.»
Letzte Vorbereitungen: Die Metallarbeitsflächen werden gewischtund poliert, der Fliesenboden geschrubbt. Ein Koch streicht mit einemEsslöffel ovale Röllchen aus Himbeersorbet und Pistazieneis auf einBlech. Zwischendurch verschwindet der Löffel in seinem Mund: «Ichmuss doch wissen, ob es schmeckt», sagt er.
Mario Fiehn, Chef de Rang (Stationskellner), fragt die Schöpferedler Gerichte nach ihrem Essen. «Und die historischen Tomaten, wasbedeutet das?» Er will für kommende Fragen gerüstet sein: «Bevor ichvor den Gästen dumm dastehe, frage ich lieber vorher.» Mit neunweiteren Kellnern soll er dafür sorgen, dass überall genügend Tellerund Besteck bereit liegen, dass alles sauber ist.
Rüffer schlägt vor: «Alle sollten schon mal zehn Portionen inpetto haben.» Ein Koch fragt: «Halten sich denn die Gäste an dieReihenfolge, Nachspeise zuletzt?» Die Erfahrung der Kollegen ist eineandere. «Die gehen kreuz und quer.» Wenn es losgeht, müssen sich alleKöche bereithalten.
Doch dann stehen die Gäste ersteinmal im Stau. Mit weißen Schürzenüber dem Anzug oder Abendkleid warten sie auf das Essen. Allmählichbekommen die ersten volle Teller in die Hand. Dann wird jeder freiePlatz in der Küche zum Esstisch: Die Arbeitsfläche, wo sonst Austerngeknackt werden, selbst die Küchenregale.
Lissowsky ist «auf 180». Die Steinbuttscheiben anbraten und dieZwiebeln in die Pfanne werfen. Den Fisch wenden. Der 24-Jährige nimmtdafür ein Schäufelchen aus silbernem Metall, es muss schnell gehen,die Finger helfen mit. Schweiß steht auf seiner Stirn. Die Zwiebeln.Schnell wechselt er zur anderen Pfanne schwenkt sie vor und zurück,die Zwiebeln purzeln durcheinander. Die Hitze des Herdes zieht durchdie Küche. Lissowsky brät und brät, legt Fisch nach, legt Zwiebelnnach. «Das ist eine Belastung wie beim Sport», sagt er. Neben ihmrichtet sein Chef, Thomas Martin, das Essen auf den Tellern an.
Auch Starkoch Martin hat Schweiß auf der Stirn. «Jetzt schwitzeich wirklich», sagt er. Mehr Zeit ist nicht. Die Teller mitSteinbutt, geschmorten Zwiebeln und Ibericoschinken und Essigjuswerden ihm fast aus der Hand gerissen. Nebenan lächelt KochkollegeRoy Petermann noch immer. Er scherzt mit den Gästen. Obwohl er direktneben dem heißen Herd steht, ist bei ihm kein Schweiß zu sehen. «Ichschwitze beim Radfahren, nicht beim Kochen.»
Rund 1900 Teller sind im Umlauf. Das reicht nicht. StationskellerFiehn beordert zwei Kellner in den für Gäste weiterhin verborgenenBereich. Hinter weißen Vorhängen wird gespült. Insgesamt 500 Teller.Damit sind es genug. Allmählich wird es ruhiger. Der Andrangverlagert sich von den warmen Gängen hin zum Dessert. Rüffer hat«Verführungen vom Großen Schokoladenbuffet im Angebot». Hier ist esauch deutlich kühler.
Lissowsky steht immer noch am heißen Herd. Er trinkt ein GlasWeißwein. Als die meisten Gäste die Küche verlassen haben, sagt er:«Alles sehr gut gelaufen.» Ein wenig wird er noch aufräumen müssen,dann fährt er nach Hause. Am nächsten Morgen ist er schon wieder imJacobs Restaurant der «Chef de partie».

