Forderung in Finanzkrise: Wirtschaft auf Lehrplan
Hamburg/dpa. - Für Hans Kaminski ist die Lehre aus der Finanzkrise für das Bildungssystem klar. «Wirtschaft muss bundesweit umfassend auf den Schulplan», sagt der Professor am Institut für Ökonomische Bildung der Universität Oldenburg.
Dabei gehe es nicht um Spezialwissen über Fonds und Finanzderivate, sondern um breites Allgemeinwissen. «Es ist erstaunlich, dass im Jahre 2008 im deutschen Schulsystem kein eigenständiges Fach Wirtschaft vorhanden ist», sagt Kaminski. Die globale Krise zeige, dass quer durch alle Schichten die Hintergründe für den Crash unbekannt seien. Natürlich wäre mit Wirtschaft auf dem Stundenplan die Finanzkrise nicht verhindert worden. «Aber die Beurteilung durch den Bürger wäre eine andere.»
Schon jetzt gibt es in den meisten Bundesländern vor allem in den höheren Klassen Wirtschaftsinhalte oder Klassen beteiligen sich an Börsenspielen - aber Schüler kritisieren oft fehlendes Wissen der Lehrer oder die didaktische Aufbereitung. «Bei uns gibt es zwar das Fach Wirtschaftspolitik, aber unsere Lehrerin hat kaum Interesse daran, zur Finanzkrise erfahre ich nur etwas aus dem Fernsehen», sagt der 14-jährige Realschüler Finn Greger aus Ahrensburg.
Der 16 Jahre alte Joschka Zierke aus Flensburg findet es paradox, dass er in Schleswig-Holstein bei Kommunalwahlen an die Urne gehen darf, aber Wirtschaft und Politik zuvor in der Schule kaum ein Thema sind. Der Gymnasiast vermisst aber auch bei Mitschülern ein Interesse dafür. Am Kaiser-Friedrich-Ufer-Gymnasium in Hamburg paukt Michèle Biben seit kurzem Wirtschaft - und ist etwas gefrustet: «Zu Beginn haben wir 50 Zettel bekommen, keiner hat was verstanden.» Bei einem Projekt, ein Unternehmen zu führen, versagten die Schüler dann: «Wir haben fünf Millionen Euro Schulden gemacht.»
Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nächste Woche beim Bildungsgipfel mit den Ministerpräsidenten in Dresden trifft, gehöre das Thema auf die Tagesordnung, meint Kaminski. Er hält nicht viel von der bisherigen Praxis, Wirtschaft mehr oder weniger nebenher zu unterrichten. «Ein solches eigenständiges Fach erfordert aber auch spezielle Studiengänge an Universitäten.» Die Lehrer könnten dies nicht «mal eben neben Erdkunde und Englisch unterrichten». Da sich Wirtschaft und Gesellschaft dramatisch veränderten, müssten die Bundesländer ihr «Fächer-Portfolio» anpassen. «Wirtschaftliche Grundkenntnisse müssen Allgemeinwissen werden, das ist heute etwas, das Hinz und Kunz und Hans und Franz betrifft.»
Bei dem Fach solle es auch um Ethik, Moral und Verbraucherschutz gehen. Kaminski sagt, dass Schüler immer öfter in die Schuldenfalle tappen. Ähnlich wie bei den amerikanischen Hausbesitzern, die mit traumhaften Kreditangeboten gelockt wurden, seien sich auch auf der untersten Ebene junge Handynutzer oft nicht über die Kosten bewusst und kommen in eine schleichende Verschuldung. «Es ist etwas anderes, wenn virtuell für einen Anruf 20 Cent abgebucht werden als wenn ich es bar auf den Tisch legen muss.» Mit mehr Ökonomie-Wissen würden sicher die Folgen von solchen Entscheidungen besser erfasst. «Und der Glaube an todsichere Renditeversprechen würde erschüttert.»
Länder und Lehrer sehen den Vorstoß skeptisch. «In Hamburg ist Wirtschaft nicht als eigenständiges Unterrichtsfach vorgesehen», sagt die Sprecherin der Hamburger Schulbehörde, Annegret Witt-Barthel. So gebe es am Gymnasium bereits das Fach Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Auch Lehrer würden fortgebildet. Das Zentrum Schule und Wirtschaft (ZSW) berate Schulen in Fragen zur ökonomischen Bildung.
«Wenn wir bei jedem Problem ein neues Fach einführen, würde das zu einer Atomisierung bei den Schulfächern führen», sagt der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Hans-Peter Meidinger. So seien nach entsprechenden Diskussionen auch schon Fächer wie Familien- oder Gesundheitskunde gefordert worden.
Die Gretchenfrage sei, welches Fach dafür gestrichen werden soll. Aber ökonomische Inhalte könnten weiter in den bestehenden Unterricht eingebunden werden. «In Geschichte könnte mehr Wirtschaftsgeschichte behandelt und in Englisch auch über Wirtschaftsartikel in amerikanischen Zeitungen gesprochen werden», sagt der Oberstudiendirektor aus Bayern. Eines sei aber auch klar, fügt Meidinger mit einem Augenzwinkern an: «Ich habe meine großen Zweifel, ob der nächste Bankencrash durch die Einführung des Fachs Wirtschaft in der Schule zu verhindern ist.»