Firmengründer Firmengründer: Genosse Gasmann
Halle/MZ. - Robin Hood, der eigentlich nur Ralf Schmidt heißt, hat alles richtig gemacht, seit er vor vier Jahren beschloss, den Brief seines Gasversorgers zu ignorieren, in dem der mal wieder eine Preiserhöhung ankündigte. Schmidt, der Gas-Robin-Hood aus Sachsen-Anhalt, wurde damals abgemahnt. Mehrmals. Aber hartnäckig kann er auch sein. "Ich habe denen erklärt, dass ich nicht zahlen werde, solange mir nicht erklärt wird, wie die Preise zustande kommen."
Auf die Erklärung wartet der gelernte Elektromechaniker, der später Philosophie studierte und über die "Realisationsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz" promovierte, noch heute. Allerdings hat Schmidt, seit dem Mauerfall hauptberuflich in der IT-Branche tätig, inzwischen die Seiten gewechselt. Aus dem Gasrebellen, der um sich eine ganze Schar von Gleichgesinnten versammelte, ist der Genosse Gasmann geworden: Einmal unterwegs auf der Suche nach dem Geheimnis hinter den ständig steigenden Preisen auf dem deutschen Gasmarkt tauchte in der widerspenstigen Runde um den 49-Jährigen irgendwann der Gedanke auf, künftig lieber selbst Gas anzubieten, statt sich im Krieg mit den Energieriesen aufzureiben.
"Wir wollten nicht nur gegen etwas sein, sondern zeigen, dass es auch anders geht", sagt Schmidt, der durch eine sanft rauchfarben getönte Brille hellwach auf die Welt schaut. Gemeinsam mit seinem Bruder René knüpft der Gas-Aktivist aus Anhalt über das globalisierungskritische Netzwerkes Attac Kontakte zu Gleichgesinnten überall in der Bundesrepublik. "Denn die Idee war ja wunderbar, aber wir hatten gar keine Ahnung, wie wir sie umsetzen können."
Zum Glück, glaubt Ralf Schmidt heute. "Nur wer richtig blauäugig ist, kann einfach anfangen und machen." Erstmal haben sie eine Genossenschaft gegründet. Dann erst bemerkt, dass die allein nicht reicht. "Man muss ein Wirtschaftskonzept bei einem Genossenschaftsverband einreichen", beschreibt der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Schmidt, "anschließend durchleuchtet ein Prüfverband das Finanzkonzept und die Bundesnetzagentur muss auch noch ihr Okay geben." Es ist eine lange Reise durch eine Bewilligungsbürokratie, von der kein Gasverbraucher auch nur eine grobe Vorstellung hat. Am Ende kam die Genehmigung der Bundesnetzagentur sogar schneller als die Eintragung beim Registergericht, das der Ansicht war, die blutjunge Gas- und Energiegenossenschaft Ost- und Mitteldeutschland (GEG) betreibe bestimmt ein "genehmigungspflichtiges Gewerbe". Obwohl es nur ein anmeldepflichtiges ist, wie Schmidt und seine Energiegenossen in wochenlangem Papierkrieg nachweisen konnten.
"Dann hätte es losgehen können", sagt der Mann, der zwischendrin eine Zulassungsprüfung zum Energiehändler absolvierte. Allerdings wartet auf dem Gasmarkt niemand auf neue Konkurrenten. "Wir haben wochenlang nach einem Lieferanten gesucht, der uns Gas verkaufen will", erinnert sich Schmidt an seine Betteltouren zu den Vorständen großer Gashändler. "Wenn es um die Unterschrift ging, wollte keiner mehr."
Ein Teufelskreis. Ohne Gaslieferanten findet auch eine Gasgenossenschaft nur schwer Gasabnehmer. Ohne Abnehmer aber hat sie keine Chance, Lieferverträge auszuhandeln. Die Gas-Genossen haben Alternativen gesucht. Sogar mit dem Iran wurde verhandelt, bis endlich der erste Kontrakt mit einem deutschen Energiegiganten zustande kam. Der ist "eigentlich viel zu teuer gewesen", wie Schmidt beschreibt. Dafür sind die Preise fest - die ersten zehn Kunden können sicher sein, auch bei steigenden Öl- und Gaspreisen nicht mehr bezahlen zu müssen.
Eine Spekulation, die sich bisher ausgezahlt hat. "Siebzehn Prozent haben wir bis heute gespart", versichert Ralf Schmidt, dessen Bauchladenunternehmen in dem Jahr seitdem zum Rundumanbieter geworden ist. Damals sei die GEG noch eine Art Einkaufsgenossenschaft gewesen. Inzwischen jedoch ist alles anders. Noch immer hat die Firma nur ein kleines Büro im Wohnhaus von Vorstand Schmidt und "keinen Glaspalast an der Autobahn", wie er sagt. "Sonst aber machen wir genau dasselbe wie unsere Wettbewerber - vom Einkaufen bis zur Abrechnung."
Im Unterschied zu den Platzhirschen sind die Dessauer Newcomer allerdings ein magersüchtig schlankes Unternehmen. "Hier ist alles drin, was ein Gaslieferant braucht", klopft Ralf Schmidt auf sein Laptop. Das verwaltet ein virtuelles Netzwerk, durch das echtes Gas fließt, wenn jemand weiß, welche Knöpfe er wie zu drücken hat.
Schmidt weiß es, denn er hat sich über Monate in das Thema verbissen. Einkaufskonditionen, die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Öl- und Gaspreis, der Börsenhandel, die Wechselmodalitäten, die undurchdringlichen Geheimnisse der Konzessionsabgabe, die Durchleitungsgebühren - "andere gehen in den Keller und bauen ihre Modelleisenbahn auf", klopft er auf den Notebook-Deckel, "ich beschäftige mich damit."
Vor allem in der letzten Woche jeden Monats, wenn Rechnungen geschrieben und Wechselwillige betreut werden müssen, sitzt Schmidt fünf, sechs Stunden täglich über dem Gasrechner. Das aber sehr erfolgreich. "Seit Januar sind wir ein echtes Energieunternehmen", sagt Ralf Schmidt, "und das können wir als einzige deutsche Energiegenossenschaft von uns sagen." Ab Herbst werde die GEG ihren Genossenschaftlern und Kunden sogar Strom liefern. "Alles aus einer Hand", sagt Schmidt, "und das im halben Bundesgebiet".
Die Zeiten, als Institutionen und Konkurrenten die Energiegenossen mit einem spöttischen Lächeln empfingen, sind vorüber. Damals habe er stets das Gefühl gehabt, wie unter einem Mikroskop zu liegen. "Alle haben geguckt, ob wir das wirklich ernst meinen." Konkurrenten lehnten es seinerzeit ab, Kunden zu GEG wechseln zu lassen. Die gebe es ja gar nicht, hieß es. Heute lächelt Schmidt zurück: "Ich habe das Gefühl, dass wir mittlerweile ernst genommen werden."
"Andere gehen in den Keller und bauen ihre Eisenbahn auf."
Wie auch nicht. Zwar arbeiten Aufsichtsratschef Schmidt, der Vorstand und alle anderen immer noch ehrenamtlich. Doch in nur einem Jahr gewann die Genossenschaft rund 800 Mitglieder und zwischen Greifswald und Dresden beliefert sie heute schon mehr als 1 000 Kunden. Der Zwei-Jahr-Plan sehe vor, die Kundenzahl bis 2011 auf etwa 5 000 zu erhöhen, skizziert Ralf Schmidt. Je mehr Kunden, desto besser die Einkaufskonditionen. Ziel sei es nach wie vor, Energie zu günstigen Preisen zu liefern und das Gegenteil von dem zu sein, was Schmidt einen "kalten Energiekapitalisten" nennt. "Und wenn was übrig bleibt, gibt es Geld zurück." Wie letztes Jahr, als am Ende: Weil die Gasgenossen mit ihrem Verbrauch nahe an den Planungen geblieben waren. "Das sparte uns teure Nachbestellungen und Kontingente zurückgeben mussten wir auch nicht." Der Idealfall, den der Vorstand sofort prämiert hat: "Wir haben drei Prozent an alle zurückgezahlt."
Kein Lottogewinn für den Einzelnen, für den Firmenvorstand aber eine wichtige Geste. Denn natürlich verdient auch die beste Absicht ihr Geld nicht im Schlaf. Zuletzt hat die große Konkurrenz, die Schmidt beiläufig schmunzelnd nur "unsere Wettbewerber" nennt, die Preise gesenkt, nachdem die GEG eine Senkung angekündigt hatte. "Für den Moment gesehen sind die jetzt an manchen Orten billiger als wir", gibt der Gaskämpfer zu. Beunruhigt ist er davon allerdings nicht: "Ich weiß ja, dass die im Herbst wieder erhöhen und im Winter nochmal". Die GEG-Kunden hingegen hätten jetzt schon schriftlich, dass die Preise bis kommendes Jahr stabil bleiben werden.