1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Familie
  6. >
  7. Mythos Porno und Penislänge: Woran liegt es, dass viele Jungs so schlecht über Sexualität aufgeklärt sind?

Mythos Porno und Penislänge Woran liegt es, dass viele Jungs so schlecht über Sexualität aufgeklärt sind?

Das vermeintliche Idealbild des männlichen Gliedes sei das Leidwesen vieler Jungen und Männer, erklären Volker Wittkamp und Oliver Stöwing. Wann ist klein wirklich zu klein?

Aktualisiert: 19.02.2024, 11:15
Pornos können dazu beitragen, dass Männer ein falsches Bild ihrer und auch der weiblichen Sexualität bekommen.
Pornos können dazu beitragen, dass Männer ein falsches Bild ihrer und auch der weiblichen Sexualität bekommen. Foto: Imago/Panthermedia

Die meisten Jungs und Männer sind nicht gut über ihren Penis informiert – und lassen sich von unrealistischen Idealen beeinflussen. Das haben der Autor Oliver Stöwing und der Urologe Volker Wittkamp festgestellt. Ben Kendal hat mit den beiden Experten über den Umgang mit Pornos und die optimale Penislänge gesprochen.

Herr Stöwing, Herr Wittkamp, wenn Jungs und Männer über ihren Penis reden, geht es oft um Leistung: Er soll beim Sex immer hart sein und lange durchhalten. Außerdem muss er groß und dick sein. Warum haben viele derart hohe Erwartungen?

Volker Wittkamp: Ein großes Problem sind mangelnde Aufklärung und zu hohe Maßstäbe, die vor allem Pornos setzen. Jungs schauen sich Pornos allein an und reden nicht darüber. Dadurch vergleichen sie sich mit dem vermeintlichen Idealbild des männlichen Penis: groß, gerade, beschnitten.

Oliver Stöwing: Vor allem denken sie dann oft, dass der Penis die ganze Zeit stehen muss. Dabei ist es während des Sex absolut normal, dass die Erektion auch zeitweise runtergeht.

Oliver Stöwing ist Autor und Journalist. Er schreibt unter anderem für das „Hamburger Abendblatt“ und „Bild“ über Ratgeber- und Gesellschaftsthemen.
Oliver Stöwing ist Autor und Journalist. Er schreibt unter anderem für das „Hamburger Abendblatt“ und „Bild“ über Ratgeber- und Gesellschaftsthemen.
(Foto: Piper Verlag)

Das ist sicherlich nicht förderlich für das Selbstwertgefühl.

Stöwing: Genau. Viele Männer empfinden den steifen Penis als Symbol für Macht und Power. Wenn die Erektion ausbleibt, bedeutet das für sie im Umkehrschluss, dass sie Versager sind.

Herr Wittkamp, als Urologe haben Sie sicherlich öfter mit Männern zu tun, die solche Probleme haben.

Wittkamp: Tatsächlich mehr auf Social Media als in der Praxis. Denn Männer gestehen sich Probleme mit dem Penis nicht gern ein und gehen deshalb auch oft nicht zum Arzt. Auf Tiktok und Instagram kläre ich über Themen rund um die Männergesundheit auf – und dort haben Jungs und Männer deutlich weniger Hemmungen, um meinen Rat zu bitten. Ich bin dabei immer wieder erstaunt, wie schlecht sie doch aufklärt sind.

Inwiefern?

Wittkamp: Wenn sie zum Beispiel in Pornos die großen Mengen an Ejakulat sehen, die männliche Darsteller abspritzen, halten sie sich für nicht normal, weil bei ihnen deutlich weniger rauskommt. Dann muss ich erst erklären, dass in Pornos mit viel Fake-Ejakulat getrickst wird. Und über den weiblichen Körper – über den Menstruationszyklus und die fruchtbaren Tage der Frau – braucht man viele gar nicht erst zu fragen.

Stöwing: Für viele Männer ist der Penis wie ein Radio: Er macht halt sein Ding, aber man weiß eigentlich gar nicht, wie er wirklich funktioniert. Warum steht er manchmal und warum manchmal nicht? Und was passiert bei einer Ejakulation? Bevor Volker und ich unser Buch geschrieben haben, wusste auch ich vieles gar nicht. Das musste mir Volker erst erklären.

Woran liegt das denn, dass viele Jungs und Männer so schlecht über Sexualität aufgeklärt sind?

Wittkamp: Es ist ein bisschen wie mit der Steuererklärung: Das kriegt man auch nicht in der Schule beigebracht. Klar gibt es den Aufklärungsunterricht. Aber haben Kinder wirklich das Vertrauen zu ihren Lehrerinnen und Lehrern, solche Themen offen anzusprechen? Es bräuchte neutrale Personen, die in die Schule kommen und mit ihnen mal richtig über Sex reden.

Volker Wittkamp, Jahrgang 1983, ist Urologe und in einer urologischen Rehaklinik tätig. Auf dem Tiktok-Kanal „Doktorsex“ klärt er zusammen mit der Gynäkologin Sheila de Liz und dem Psychologen Umut Özdemir über Sexualität auf.
Volker Wittkamp, Jahrgang 1983, ist Urologe und in einer urologischen Rehaklinik tätig. Auf dem Tiktok-Kanal „Doktorsex“ klärt er zusammen mit der Gynäkologin Sheila de Liz und dem Psychologen Umut Özdemir über Sexualität auf.
(Foto: Piper Verlag)

Stöwing: Denn sonst klären sich Kinder und Jugendliche selbst auf, und zwar durch Pornos. Und das ist natürlich gar keine Aufklärung, weil die meisten Filme keinen realen Sex zeigen. Das Thema Pornografie wird in Schulen oft ignoriert, weil sie für unter 18-Jährige verboten ist. Aber das geht vollkommen an der Realität vorbei: Die meisten Jungs schauen ihren ersten Porno schon etliche Jahre davor.

Sind Pornos wirklich so schädlich?

Wittkamp: Es gibt zumindest einen schädlichen Umgang mit Pornos. Zum Beispiel, wenn man exzessiv masturbiert, dadurch Freunde und Hobbys vernachlässigt. Oder wenn Kinder problematische Wahrnehmungen entwickeln – das Frauenbild in einem großen Teil der Pornos ist oft wirklich nicht das Beste. Aber ich möchte Pornos nicht verteufeln: Es ist völlig normal, dass sich gerade Jugendliche mit ihrem Körper auseinandersetzen wollen. Das ist auch im gesunden Maß nicht schädlich.

Stöwing: Wir tun uns meiner Meinung nach keinen Gefallen damit, zu sagen: Pornos sind immer schlecht. Leute schauen sie trotzdem, haben dann aber ein schlechtes Gewissen. Niemand redet darüber, was ihm an Pornos gefällt. Stattdessen schweigen viele Männer und machen sich Sorgen, weil ihr Penis kleiner ist als der des Darstellers.

Wie wichtig ist die Länge denn?

Stöwing: Es gibt durchaus Frauen und Männer, die einen großen Penis attraktiver finden. Genauso, wie manche muskulöse Männer oder Frauen mit großen Brüsten bevorzugen. Das ist ja auch in Ordnung. Aber das bedeutet nicht, dass Männer mit einem unterdurchschnittlichen Penis andere schlechter befriedigen können.

Wittkamp: Genau. Umfragen zufolge ist Frauen Hygiene zum Beispiel wichtiger als die Länge. Die meisten Männer müssen sich um ihre Penisgröße sowieso keine großen Sorgen machen. Ein Penis gilt erst als zu klein, wenn er im erigierten Zustand kleiner als 7,5 Zentimeter ist. Dann spricht man von einer Erkrankung, einem sogenannten Mikropenis. Manche Männer kommen aber auch mit 7,5 Zentimetern bestens klar.

So freundlich wird nicht immer über die Penislänge diskutiert. Jungs hänseln andere Jungs mit kleinem Penis, in Songs werden riesige Penisse verherrlicht.

Stöwing: Gerade Songs von Frauen über kleine Penisse verstehe ich als eine Art Rache: Weil Männer und wohl auch manche Musiker so lange über Frauen gelästert haben, bei denen irgendetwas zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn sein soll, drehen sie den Spieß um und nehmen kleine Penisse ins Visier. Jetzt merken Männer: Das fühlt sich nicht so gut an. Das Problem ist aber, dass „Dickshaming“ viel Schaden anrichten kann.

Gut aufgestellt - Sachbuch über den Penis
Gut aufgestellt - Sachbuch über den Penis
(Foto: Piper Verlag)

Wittkamp: Wichtig ist, dass sich Männer nicht immer mit anderen vergleichen und von Idealen verunsichern lassen. Mein Penis ist im erigierten Zustand 13,8 Zentimeter groß, damit bin ich leicht unter dem Durchschnitt. Früher hätte ich damit ein Problem gehabt, inzwischen bin ich damit vollkommen zufrieden. Wer sich für seine Länge schämt, hat irgendwann nur Angst, die Hose auszuziehen.

Wie können Männer freundlicher mit ihrem Geschlechtsorgan umgehen?

Stöwing: Ich halte Aufklärung für wichtig – und dazu möchten wir mit unserem Buch beitragen. Der Penis muss nicht immer stehen, sobald man die Hose aufmacht. Wichtig ist, dass Jungs und Männer verstehen, wie ihr Penis funktioniert – und warum er manchmal auch nicht funktioniert.

Wittkamp: Und sie sollten keine Angst davor haben, bei Problemen zum Arzt zu gehen. Eine ausbleibende Erektion kann ein Anzeichen für Herzerkrankungen sein. Wenn sie keine Funktionsstörungen oder andere Probleme mit dem Penis haben, würde es Männern auch mal helfen, wenn sie ihren Penis nicht immer so ernst nehmen. Mein dreijähriger Sohn betrachtet seinen noch mit sehr viel Humor und nennt ihn gerade Pinocchio.