Frauen bei Tiktok sind empört „Was hat dein Ehemann dann die ganze Zeit getan?“
Mit einem Mann leben, sich trotzdem um alles allein kümmern müssen: Angeblich bleiben immer mehr Frauen angesichts solcher Aussichten lieber allein. Stimmt das?
Eine Woche lang habe sie ihre Küche nicht geputzt, erzählt die Frau, während ihre Kamera das Chaos einfängt. Das Geschirr gammelt in der Spüle vor sich hin. Müll liegt herum. Kartons stapeln sich auf der Ablage. Genau genommen sei sie sieben Tage gar nicht mehr in der Küche gewesen, sagt sie, während sie sich dabei filmt, wie sie verschimmelte Essensreste beseitigt. Sie und ihr Sohn seien an Covid erkrankt, hätten sich im oberen Stockwerk isoliert, erklärt sie. Um dann, eigentlich nur im Halbsatz, zu ergänzen, „während mein Mann es irgendwie geschafft hat, [Covid] zu vermeiden“. Die empörten Kommentare folgten prompt: „Er hat also nicht aufgeräumt???“, „Was hat dein Ehemann dann die ganze Zeit getan?“ Ein Kommentar attestiert: „Verheiratete Single-Mama“.
Für viele der Kommentarschreiberinnen scheint klar: Hier zeigt sich wieder einmal, was Frauen erwartet, wenn sie mit einem Mann zusammenziehen. Keine gleichberechtigte Partnerschaft, sondern ein gleichgültiger Ehemann.
Frauen haben „genug“ von den Männern
Tiktok-Videos dieser Art gibt es reichlich. Und während ein einzelnes Video wenig über den Zustand einer Ehe aussagt, so scheint doch ihre Gesamtheit etwas über die Ehe generell zu verraten. Nämlich, dass Frauen sie besser meiden sollten – und: Immer mehr von ihnen genau das tun.
2023 sei das Jahr gewesen, in dem Frauen „genug“ von der „modernen Ehe“ gehabt hätten, verkündete etwa die britische Zeitung „The Guardian“. Zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel, Podcasts und Social-Media-Beiträge ziehen ein ähnliches Fazit. „Ein immer größerer Anteil der Frauen über 50 entscheidet sich ganz bewusst für das Alleinsein, weil sie keinen Bock mehr auf eine lieblose Ehe haben“, sagte die Autorin Sarah Diehl 2022 im Interview. „Mein Mann war das schwierigste Kind“, berichten Frauen, die jetzt lieber alleine wohnen, in „Der Zeit“.
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Der Eindruck, der so entsteht: Die Frauen haben die Schnauze voll. In einer Welt, in der sie immer seltener ökonomisch von einer Partnerschaft abhängig sind, entscheiden sie sich immer häufiger gegen sie. Weil sie keine Lust haben, ihren Männern hinterherzuräumen. Weil sie keine Lust haben, sich um die Kinder und den Job und den Haushalt und die Eltern und den Mann zu kümmern. Weil der Traum von der gleichberechtigten Partnerschaft für viele spätestens dann zu Ende ist, wenn Kinder dazukommen.
Die These von den Frauen, die lieber alleine sind, ist so vorherrschend, dass sie sogar genutzt wird, um politische Entwicklungen zu erklären. Warum rechte Parteien weltweit so viel Zulauf von Männern erhalten, etwa. Ein „Financial-Times“-Text, der zuletzt in vielen sozialen Netzwerken geteilt wurde, zeigt: Während junge Frauen immer progressiver werden, werden junge Männer immer konservativer. Autor John Burn-Mordoch erklärt sich das so: Die #MeToo-Bewegung sei der entscheidende Auslöser gewesen. Er habe bei jungen Frauen „zutiefst feministischen Werten“ Aufwind gegeben. Die jungen Frauen, so Burn-Mordoch, fühlten sich nun bestärkt, „sich gegen langandauernde Ungerechtigkeiten auszusprechen“.
Ehemänner profitieren mehr
Aber stimmt das überhaupt? Entscheiden sich immer mehr Frauen freiwillig gegen eine feste Partnerschaft und bleiben so immer mehr Männer unfreiwillig alleine? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach. Was das Narrativ für viele so überzeugend macht, ist sein wahrer Kern: Männer profitieren (in der Regel) von Ehe und Partnerschaft mehr als Frauen. „Wenn Sie ein Mann sind, sollten Sie wahrscheinlich heiraten; wenn Sie eine Frau sind, machen Sie sich nicht die Mühe“, lautet die Feststellung des Glücksforschers Paul Dolan.
Die Verteilung des „Mental Loads“ zeigt beispielhaft das Missverhältnis. Unter dem Begriff wird, einfach gesagt, das Familienmanagement zusammengefasst. Wer hat die Arzttermine im Kopf? Wer den Stand im Kühlschrank? Wer die Schuhgröße der Kinder, den Namen der Lehrerin, die Stundenpläne, die Hobbys am Nachmittag, den Geburtstag der besten Freundin, die Brotdosen, die Klassenfahrt, die Wäsche …? Die Antwort: Die Frauen – und zwar selbst dann, wenn sie Vollzeit arbeiten.
Nichts davon ist etwas, das die meisten Frauen gerne machen. „Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist“, sagt die Soziologin Yvonne Lott, die dazu Daten erhoben hat. Bei Männern dagegen: „Da spielt es keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten oder nicht, ob sie Kinder haben oder nicht. Das bleibt alles einerlei. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig.“
Zum Familienmanagement kommen die anderen Hausarbeiten hinzu. So zeigte eine US-amerikanische Studie aus dem vergangenen Jahr: Seit Längerem verpartnerte Frauen putzten und kochten mehr als ihre Männer – die dafür immer mehr Zeit mit Entspannung und Nickerchen zubrachten. Diese ungleiche Arbeitsverteilung sei womöglich eine Erklärung dafür, dass Frauen sich langfristig eher „entlieben“ als Männer, vermutet der Autor.
Verhält sich der Partner wie ein Kind und ist die Frau vor allem damit beschäftigt, ihn zu „bemuttern“, hat das auch Folgen für ihr Verlangen. Frauen haben dann – einfach gesagt – weniger Lust auf Sex, zeigte 2022 eine der ersten Studien, die sich mit dem Thema befasst hat.
Die Statistik widerspricht
Ein Blick in diverse Statistiken zeigt: In Deutschland leben 60 Prozent der Erwachsenen mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen (Stand: 1. Halbjahr 2023). 1996 waren es 66 Prozent. In Sachsen-Anhalt leben noch 53 Prozent der Bevölkerung in einer Ehe (Stand: 2019). Während aber die Zahl der Ehescheidungen relativ unverändert bleibt (1980: 32,7 Prozent | 2023: 35,3 Prozent), ist die Zahl der Eheschließungen in Sachsen-Anhalt stark zurückgegangen (1980: 84,1 Prozent | 2023: 42,5), wie das Statistische Landesamt mitteilt. Ein eindeutiges Bild sieht allerdings anders aus. Hinzu kommt: Diese Statistiken verraten wenig über die Gründe, aus denen Menschen sich entscheiden, nicht (noch einmal) zu heiraten oder keine Kinder zu kriegen.
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Einen klaren Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Bevölkerungsstatistik und dem Narrativ der glücklichen, alleinstehenden Frau zu ziehen, sei schwierig, sagt daher auch Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
Handelt es sich bei den Frauen, die lieber alleine leben, die bewusst auf Kinder verzichten, also um eine Online-Diskussion unter Gleichgesinnten? Etwas, das vor allem Akademikerinnen und Feministinnen in der Theorie umtreibt? Während der überwiegende Großteil der Frauen sich doch ganz praktisch nach einer festen Partnerschaft und Kindern sehnt? Schließlich kann man auch dafür Hinweise finden. So zeigte zum Beispiel kürzlich eine Parship-Umfrage: Zwar führen 44 Prozent der Generation Z keine Beziehung, zwei Drittel sind aber doch auf der Suche nach einem Partner oder einer Partnerin.
„Selbst wenn es eine Blasen-Diskussion wäre, hieße das nicht, dass das Thema keine Relevanz hat“, sagt Diabaté. „Denn wir beobachten einen normativen Wandel der Geschlechterkultur, einen globalen gender divide – junge Frauen sind deutlich häufiger liberal und modern gegenüber Geschlechterrollen eingestellt als die gleichaltrigen Männer, ein Muster, dass in vielen Industrieländern, nicht nur in Deutschland zu beobachten ist.“
Sie betont aber auch: Viele Umstände, die Ehe und Kinder derzeit für manche vielleicht unattraktiv erscheinen lassen, seien nicht allein auf die unterschiedlichen Einstellungen und das Verhalten von „den Männern“ oder „den Frauen“ zurückzuführen, sondern auch strukturell erklärbar. Weil Kinderbetreuung in Deutschland durch den Fachkräftemangel problematisch sei. Weil Männer teilweise vom Arbeitgeber keine Unterstützung erhielten, wenn sie in Teilzeit arbeiten wollten.
Statt eine einfache Kausalkette aufzufädeln, vergleicht die Expertin die Situation daher mit einem Puzzlespiel. „Für viele Teilaspekte gibt es schon Studien“, sagt Diabaté. Man wisse zum Beispiel, dass schon Mädchen sich viel stärker mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandersetzten, weil sie früher als Jungs verstehen, dass „sie die Leidtragenden sein werden“. Ist es da nicht logisch, anzunehmen, dass es auch etwas mit einem jungen Mädchen macht, wenn es auf ein Tiktok-Video stößt, in dem ein Mann sich völlig außer Stande sieht, das Geschirr abzuwaschen?