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In Wittenberg fehlt dieses Jahr einer zu Weihnachten Kinder trauern anders - was für Eltern schwer nachvollziehbar ist

Allerdings gehen sie mit dem Verlust anders um als Erwachsene. Worauf Angehörige achten können und was den Jüngsten in Trauerphasen Halt gibt, erklärt eine Expertin vom Trauerinstitut Magdeburg.

Von Helene Kilb Aktualisiert: 11.12.2023, 11:29
Kinder trauern auch – nur nicht durchgängig.
Kinder trauern auch – nur nicht durchgängig. Foto: Imago/imagebroker

Mit Vorfreude verbindet Carla Hanus das bevorstehende Weihnachtsfest in diesem Jahr nicht: „Es ist das erste Weihnachten ohne meinen Sohn Friedrich“, sagt die Wittenbergerin, die auch bei der Mitteldeutschen Zeitung arbeitet. Einer fehlt in diesem Jahr – das zeigt sich umso deutlicher, wenn die ganze Familie zusammenkommt. Ende August ist Hanus jüngerer Sohn plötzlich im Alter von 37 Jahren an einer Lungenembolie verstorben. Von Hanus’ Familie bleiben damit nur noch ihr älterer Sohn, dessen Frau und die beiden Töchter im Alter von sechs und zehn Jahren. „Das hat das ganze Familiensystem getroffen“, erzählt sie.

Sie selbst blieb danach erst einmal zuhause. Ihr älterer Sohn vergrub sich in seine Arbeit. „Den Mädchen haben sie es nach einer guten Woche erst erzählt. Sie waren dann natürlich total geschockt. Die Jüngere hat mich angerufen und sagte, sie sei ganz traurig, und ich müsse bestimmt auch traurig sein“, erzählt Hanus. Am nächsten Tag fuhr sie zu ihren Enkelinnen, um mit ihnen zusammenzusitzen, zu kuscheln, gemeinsam an den Sohn und Onkel zu denken.

Kinder springen „Trauerpfützen“

Von ihrer zehnjährigen Enkelin ist ihr wiederum ein anderer Satz besonders in Erinnerung geblieben, erzählt Hanus: „Einige Wochen nach Friedrichs Tod sagte sie zu mir, sie würde manchmal gerne trauriger sein. Im Moment ist sie aber sehr gefordert, weil sie im Sommer aufs Gymnasium gekommen ist.“

Tatsächlich ist es typisch für die Trauer bei Kindern, dass alltägliche Themen daneben weiterhin präsent bleiben: „Kinder springen immer wieder wie in so Trauerpfützen hinein“, sagt Kirsti Gräf. Sie leitet das Trauerinstitut der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg und betreut unter anderem Kinder und Jugendliche zwischen sechs und zwölf Jahren in einer Trauergruppe. „Kinder leben generell sehr im Hier und Jetzt“, sagt Gräf. „Daher sind sie oft in einem Moment tief traurig oder haben verstärkten Redebedarf. Im nächsten Moment ist wieder das, was im Alltag wichtig ist, großes Thema, etwa dass es doof ist, morgen eine Klassenarbeit zu schreiben oder wie das Kind gerne seinen Geburtstag feiern würde.“

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Für Erwachsene sei es manchmal schwer, das nachzuvollziehen: „Bei ihnen ist es eher so, dass sie vom Moment des Todes an erst einmal Zeit brauchen und einen gewissen Gesprächs- und Begleitbedarf haben. Viele Erwachsene haben dann schnell das Gefühl, das Kind trauert gar nicht richtig.“ Tatsächlich reagierten Kinder aber besonders impulsgesteuert und zeigten ihre Gefühle, wie sie kämen – „etwas, das uns Erwachsenen oftmals schwerer fällt“, sagt Gräf.

Verlust löst bei Kindern auch Ängste aus

Dabei reagieren Kinder von klein auf den Verlust, ist sich Gräf sicher. „Selbst Säuglinge werden die Situation mitbekommen, ohne natürlich zu verstehen, was Sterben, Tod und Trauer bedeuten. Sie sind dann aber vielleicht anhänglicher oder schreien mehr.“

Ab drei oder vier Jahren nehmen Kinder den Verlust deutlicher wahr: „Sie merken, dass was anders ist, dass die Erwachsenen sich anders verhalten, dass der Mensch, der gestorben ist, schon lange nicht mehr da war oder sie ihn schon lange nicht mehr besucht haben.“ Allerdings sind sie sich oft noch nicht darüber bewusst, dass der Tod endgültig ist und der Verstorbene nicht mehr wiederkommen wird. „Das wird ihnen erst etwa ab dem Grundschulalter klar“, sagt Gräf. „Dann löst der Tod eines nahen Angehörigen manchmal auch Ängste und Sorgen aus. Und die Kinder stellen vermehrt Fragen, wollen dann etwa wissen, ob jetzt auch Mama, Papa oder der beste Freund sterben können.“

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Auch Carla Hanus hat diese Erfahrung gemacht: „Meine Enkelinnen haben ihren Eltern viele Fragen gestellt, warum ihr Onkel schon so zeitig – mit 37 Jahren – gestorben ist, was mit dem Körper passiert, warum liebe Menschen überhaupt sterben müssen.“

Doch wie reagieren Eltern am besten darauf? Kirsti Gräf vom Trauerinstitut rät zu klaren Worten: „Wenn es um die Nachricht an sich geht, sollten sie sagen, dass jemand gestorben ist – nicht, dass der- oder diejenige auf eine lange Reise geht oder eingeschlafen ist. Andernfalls kann ein Kind Angst bekommen, dass es selbst einschläft und nicht mehr aufwacht, oder es hegt die Hoffnung, den verlorenen Mensch wiederzufinden, wenn es nur genug sucht.“ Bei allen anderen Fragen empfiehlt sie, ehrlich und authentisch zu antworten – und im Zweifel zu sagen: „Das weiß ich gerade leider auch nicht.“

Was Kindern zudem häufig helfe, sind Gräf zufolge Bücher oder andere Medien rund ums Trauern sowie Alltagsgewohnheiten: „Bekannte Rituale sind wie ein Geländer, an dem sie sich links und rechts festhalten können“, sagt Gräf. „So sollten Eltern ihren Kindern Sicherheit vermitteln, nach dem Motto: Egal was passiert, aber es wird immer jemanden geben, der dir morgens deine Brotdose füllt, dich mittags von der Schule abholt und dir abends eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest.“

Kinder einbeziehen

Mit zunehmendem Alter sollten Eltern die Kinder an traurigen Themen teilhaben lassen. „Zwar wollen Eltern ihre Kinder natürlich vor unschönen Situationen, vor Leid und Schmerz schützen“, sagt Gräf. „Aber Kinder laufen ja nicht mit Scheuklappen durch die Welt, sondern bekommen früher oder später auch Trauriges mit. Sie dürfen wissen, dass das Sterben zum Leben dazugehört, dass es oft alte oder sehr kranke Menschen sind, es aber natürlich auch anders sein kann.“ Gleichzeitig sei es wichtig, Sicherheit zu vermitteln: „also etwa, den Kindern zuzusichern, dass die Eltern das Bestmögliche tun werden, um auf sich und andere Acht zu geben“, sagt Gräf.

Expertin Kirsti Gräf
Expertin Kirsti Gräf
(Foto: Pfeiffersche Stiftungen)

Bei wichtigen Entscheidungen rät Gräf, die Kinder einfach zu fragen: etwa ob sie einen sterbenskranken Menschen im Krankenhaus besuchen oder auf eine Beerdigung mitkommen wollen. „Eltern können ihren Kindern da durchaus vertrauen“, sagt Gräf. Bei einer Beerdigung sei es dennoch gut, wenn jemand das Kind begleite, der emotional nicht ganz so sehr betroffen sei und sich anderweitig mit dem Kind beschäftigte, falls es ihm doch zu viel werde.

Der Tod des Kindes ist das absolut Schlimmste: Eine schwere Krankheit oder ein Unfall: Wird ein Kind durch den Tod aus der Familie gerissen, zerbricht auch das Leben der Eltern. Freunde können dann zumindest eines tun: da sein.

Auch in der Familie Hanus haben sich die Kinder selbst entschieden. „Erst wollten sie nicht mit zur Beerdigung kommen“, erzählt Carla Hanus. „Aber in der Zeit zwischen dem Tod und der Beisetzung haben sie sich doch anders entschieden. Schließlich haben sie meinen Sohn am Grab mit Sternenstaub verabschiedet, ein Ritual, das wir uns überlegt haben, weil er so ein Star-Wars-Fan war.“

Was Halt gibt

Was Carla Hanus und ihren Enkelinnen ebenfalls half, waren tröstende Bilder: „Ich habe ihnen gesagt, dass der Sternenstaub hoch auf die Wolken fliegt, dass dort ihr Onkel zwischen den Sternen sitzt und ab und zu herunterblinkt“, erzählt die Wittenbergerin. „Auch wenn sie wissen, dass das nicht die Wirklichkeit ist, fanden sie die Idee sehr schön.“ Auf die Frage, wo Friedrich jetzt sei, antworte sie, dass er in ihrem Herzen weiterlebe.

„Dann haben sie auch mitbekommen, dass ich die Wohnung ausräumen muss. Ich habe den Kindern gesagt, dass ich mir ein paar schöne Sachen von Friedrich mit nach Hause nehmen und aufhängen werde, sodass dort einige Spuren von ihm bleiben.“ Neben Bildern, die ihrem Sohn viel bedeuteten, war auch eine Kuscheldecke unter den Sachen. „Die habe ich mir manchmal zum Kuscheln genommen – und meine große Enkelin fand das so schön, dass sie sagte: „Wenn ich dich besuche, können wir uns in die Decke einkuscheln.“