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Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Forscher aus Halle finden heraus: Schüler bewegen sich täglich viel zu wenig

Aktivitätsmangel, Rückenschmerzen und Einschlafprobleme sind schon unter Kindern und Jugendlichen verbreitet. Das zeigt eine Studie, an der die Universitätsmedizin in Halle maßgeblich beteiligt ist.

Von Matthias Müller 12.03.2024, 13:00
Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen 60 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag erreichen nur die wenigsten Kinder und Jugendlichen.
Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen 60 Minuten körperlicher Aktivität pro Tag erreichen nur die wenigsten Kinder und Jugendlichen. (Foto: dpa)

HALLE/MZ/DPA. - Mobbing im Internet, psychosomatische Beschwerden, Bewegungsmangel: Viele Schüler haben in Deutschland mit gesundheitlichen Belastungen zu kämpfen. Das zeigt eine große Studie, die zum Teil von der Universitätsmedizin in Halle aus koordiniert wird. Doch welche Ursachen gibt es - und wie viel Aktivität pro Tag wird für Kinder und Jugendliche überhaupt empfohlen? MZ-Wissenschaftsredakteur Matthias Müller fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Wie sieht es mit der Bewegung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus? Daran mangelt es ganz offensichtlich, wie die Studiendaten zeigen. Demnach erfüllt gerade einmal etwa jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO von täglich mindestens einer Stunde Bewegung.

Dieser Mangel verstärkt sich noch mit dem Lebensalter: So erreichen beispielsweise bei den Mädchen im Alter von elf Jahren noch rund 15 Prozent die WHO-Vorgaben, bei den 15-Jährigen sinkt der Wert deutlich auf rund sieben Prozent. Von den elfjährigen Jungen erreichen 26,5 Prozent – das ist rund jeder Vierte – die Empfehlung. Bei den 15-Jährigen sind es hingegen nur noch 18,1 Prozent. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die körperliche Aktivität verglichen mit früheren Datenerhebungen von 2009 bis 2022 bei Jungen relativ stabil geblieben ist und bei Mädchen leicht abgenommen hat.

Wie verbreitet sind psychosomatische Beschwerden?Erst einmal kann man festhalten: Die meisten Kinder und Jugendlichen fühlen sich gesund. Laut der Studie schätzen 84 Prozent von ihnen ihren eigenen Gesundheitszustand als gut ein. 87 Prozent berichten für sich von einer hohen Lebenszufriedenheit – das ist zwar ein Rückgang im Vergleich zu 2017/18, aber langfristig gesehen eine Verbesserung im Vergleich zu 2009/10 sowie 2013/14.

Gleichzeitig lässt sich jedoch ein kontinuierlicher Anstieg von vielfältigen psychosomatischen Beschwerden, wie beispielsweise Bauch-, Rücken- oder Kopfschmerzen, Einschlafproblemen oder Gereiztheit, zwischen 2010 und 2022 beobachten. Davon berichten nach den vorliegenden Daten inzwischen etwa die Hälfte der Mädchen und ein Drittel der Jungen. Mädchen, gender-diverse Heranwachsende und ältere Jugendliche sprechen für sich häufiger von einer schlechten Gesundheit, niedrigen Lebenszufriedenheit oder multiplen psychosomatischen Beschwerden.

Dr. Irene Moor von der Universitätsmedizin Halle  hat maßgeblich an der Studie mitgearbeitet.
Dr. Irene Moor von der Universitätsmedizin Halle hat maßgeblich an der Studie mitgearbeitet.
(Foto: Universitätsmedizin Halle)

„Die Ergebnisse unterstreichen, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Gesundheitschancen haben.“

Dr. Irene Moor, Stellvertretende Studienleiterin

Welchen Einfluss haben Mobbing in Schule und Internet?Fast neun Prozent der Befragten berichteten, dass sie in der Schule gemobbt werden. Rund drei Prozent wiederum erklärten, sie selbst würden im Schulbereich andere mobben. Jungen sind dabei mehr als doppelt so häufig (4,9 Prozent) als Mobbende aktiv wie Mädchen (zwei Prozent). Besonder häufig sind gender-diverse Kinder und Jugendliche Opfer von Mobbing – unter ihnen berichtet rund ein Viertel von solchen Erfahrungen.

Beim Thema Mobbing im Internet und in Sozialen Netzwerken, dem sogenannten Cybermobbing, sind die Zahlen laut Studie etwas niedriger. Demnach gibt es dabei drei Prozent Kinder und Jugendliche, die von solchem Mobbing gegen sie selbst berichten, fast ebensoviele (2,7 Prozent) sagen, dass sie selbst schon einmal andere gemobbt haben.

Generell hat schulisches Mobbing über einen längeren Zeitraum gesehen eher abgenommen und ist zuletzt stabil geblieben, hingegen hat Cybermobbing im Vergleich zu Studiendaten von 2017/18 deutlich zugenommen. Saskia Fischer von der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg nannte die Ergebnisse „problematisch“. Mobbing habe schwerwiegende Konsequenzen, nicht nur für schulische Leistungen. „Es ist auch ein deutliches Gesundheitsrisiko.“

Wie ist es um die Gesundheitskompetenz der Kinder und Jugendlichen bestellt? Eine gute Gesundheitskompetenz, sprich das Wissen und die Fähigkeit zum selbstbewussten und kritischen Umgang mit Gesundheitsinformationen, gilt laut der Studie als wichtige Einflussgröße für die Gesundheit. Umso alarmierender liest sich das Ergebnis, dass rund ein Viertel der Schüler nur eine geringe Gesundheitskompetenz besitzt – diese wird beispielsweise mit einer hohen psychosomatischen Beschwerdelast assoziiert.

Grundstein für spätere Gesundheit wird im Kindesalter gelegt

Insgesamt hängt die Gesundheitskompetenz stark von Umständen wie Geschlecht, Alter, Schulform und familiärem Wohlstand ab. „Der Grundstein für die Gesundheit im Erwachsenenalter wird in Kindheit und Jugend gelegt“, sagt Studienleiter Matthias Richter, Professor für Soziale Determinanten der Gesundheit an der Technischen Universität München. „Unsere Zahlen zeigen leider, dass uns das als Gesellschaft nicht immer gut gelingt.“

Wie hängen Gesundheit und Wohlstand zusammen?Der sozioökonomische familiäre Status, sprich Bildung und Einkommen, wirkt sich auf die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aus. „Wir haben auch 2022 klare Unterschiede und Ungleichheiten sehen können“, sagte Irene Moor, die als stellvertretende Studienleitung das Vorhaben am halleschen Institut für Medizinische Soziologie koordiniert. „Zum Beispiel gaben ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, die einen niedrigen familiären Wohlstand haben, auch an, eine niedrige Lebenszufriedenheit zu haben. Im Vergleich dazu sind es zehn Prozent derjenigen, die sozial privilegiert sind.“

Zudem bewegen sich Schüler mit niedrigerem familiären Wohlstand insgesamt weniger, auch ist unter ihnen der Gemüse- und Obstkonsum bei Mädchen geringer. Das hohe Niveau der gesundheitlichen Ungleichheiten zwischen Schülern mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status hat sich seit 2017/18 und 2022 zwar nicht verschärft, ist aber weiterhin auf hohem Niveau.

„Die Ergebnisse unterstreichen nochmals, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Gesundheitschancen haben“, so Moor weiter. Um Mobbing, gesundheitliche Ungleichheiten und die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden zu reduzieren, brauche es gezielte Maßnahmen, die etwa Schulform, Migrationshintergrund, sozioökonomischen Status, Geschlecht und Alter besonders berücksichtigten. „Mädchen, ältere und gender-diverse Heranwachsende sind in vielen Bereichen besonders betroffen.“

Fast 6.500 Teilnehmer wurden befragt

Die HBSC-Studie untersucht die Kinder- und Jugendgesundheit in 51 Ländern. Sie wurde in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt, alle vier Jahre werden in den beteiligten Nationen repräsentative Umfragen an Schulen durchgeführt. Die Abkürzung HBSC steht dabei für „Health Behaviour in School-aged Children“, was soviel wie „Gesundheit bei Kindern im Schulalter“ bedeutet. Sie wurde im Jahr 1982 als eine der ersten Studien initiiert, die sich über Ländergrenzen hinweg speziell auf Heranwachsende fokussieren.

Für Deutschland beteiligten sich an der jüngsten Erhebung im Jahr 2022 insgesamt 6.475 Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 15 Jahren aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Daten wurden von einem Forschungsverbund unter Leitung der TU München und der Unimedizin Halle erhoben. Die Studie wurde jetzt in Berlin vorgestellt.