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Das erste Jahr mit Baby Einsam und alles andere als super

Gut vorbereitet fühlte sich Saskia Heinze auf das erste Babyjahr. Dann kam das Kind – und mit ihm eine Fürsorgearbeit, die nicht permanent glücklich machte. Wie stark blockiert Frauen der Muttermythos noch? Eine persönliche Spurensuche.

Von Saskia Heinze Aktualisiert: 13.05.2024, 12:05
Es gibt viele schöne Momente mit einem Baby – aber eben nicht nur.
Es gibt viele schöne Momente mit einem Baby – aber eben nicht nur. Foto: IMAGO/AFLO

Schon wenige Wochen nach der Geburt topgestylt und lächelnd auf dem Sofa sitzend. Das Baby friedlich schlummernd, allein in einem Nestchen. Gut gekleidet, sauber, Hose und Pulli farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Das Wohnzimmer aufgeräumt, stilvoll eingerichtet, die Kuscheldecke gefaltet. Das Mittagessen frisch gekocht, viel Gemüse, gesund.

So in etwa präsentieren sich viele Influencerinnen in sozialen Medien, wenn sie ihr Leben als frisch gebackene Supermama teilen. Ich schaute mir diese Bilder an, als ich schwanger war. Ich wollte unbedingt wissen, wie mein neues Leben mit Baby aussehen würde. Und ich dachte, auch ich würde so gut organisiert durch das erste Babyjahr kommen. Schließlich war ich top vorbereitet. Ich hatte Strampler geshoppt, die Wickelkommode aufgebaut, probeweise das Tragetuch am Oberkörper eingebunden. Ich hatte einen Geburtsvorbereitungskurs besucht. Ratgeber geschmökert. Vorgekocht. Mit meinem Partner grob skizziert, wie wir uns Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Me-time-Wünsche aufteilen wollen.

Dann kam das Baby. Da war so viel Freude über diesen Menschen. Gleichzeitig wurde ich zu einer Person, deren Hauptjob aus Fürsorge für jemand anderen besteht. Was das bedeutet, darauf war ich nicht vorbereitet. Ich kannte zwar warnende Worte erfahrener Eltern, wie anstrengend das streckenweise sein kann. Ich nickte und vergaß sofort wieder. Ich hatte ja keine Ahnung.

Hauptjob: Fürsorge

Das Baby klebte an meinem Körper. Stillen, in den Schlaf wiegen, stillen, beruhigen. Tragen, immer wieder tragen. Wickeln. Wieder stillen. War gerade Tag oder Nacht? Egal. Hatte ich das letzte Mal vor drei Tagen geduscht? Stimmt, ja. Knurrte mein Magen vor Hunger? Schon. Als mein Partner nach wenigen Elternzeitmonaten wieder arbeiten ging, lastete die Fürsorge für das Baby viele zähe Stunden am Tag einzig und allein auf meinen Schultern.

Da war schließlich immer jemand, der mich brauchte. Das Kind, für das ich die perfekte Mutter sein wollte. Ab und an abgeben, aus der Rolle herausschlüpfen, das hätte mir bestimmt gutgetan. Aber ich verhielt mich widersprüchlich: Mein Baby sollte unter gar keinen Umständen von jemand anderem getragen werden. Andererseits war ich phasenweise so erschöpft, dass ich mir wünschte, dass mir endlich mal jemand kurz das Baby abnehmen würde.

Eltern-Ecke, der kostenfreie Newsletter für Familien in SAchsen-Anhalt.
Eltern-Ecke, der kostenfreie Newsletter für Familien in SAchsen-Anhalt.
(Foto: Tobias Büttner)

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Woher kam dieses Gefühl, das allein schaffen zu müssen? Ich begann, an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. So viele Frauen hatten das doch schon durchgezogen, ohne zu meckern. Es wird doch immer gesagt, wie schön das alles ist. Taugte ich überhaupt als Mutter? Stellte ich mich an? Ich war doch für eine gewisse Zeit quasi „nur“ Hausfrau, mein Job im Büro pausierte.

20 Prozent der Mütter haben Depressionen

Allein bin ich mit diesen Gedanken und Zweifeln nicht. Vielen Frauen geht es ähnlich. Im schlimmsten Fall können solche Gefühle sogar richtig krank machen. Im Schnitt hat eine von fünf Müttern in den ersten drei Monaten nach der Geburt ihres Kindes eine Depression. So steht es in einer in der Fachzeitschrift „BMC Psychiatry“ erschienenen Übersichtsstudie (2023), für die 537 Frauen auf vier Kontinenten befragt wurden.

Ein Aspekt: „Ein Kind zu bekommen ist eine Zeit großer Umbrüche und Umwälzungen, die dazu führen kann, dass der Kontakt zu Menschen und bestehenden Netzwerken wie Arbeitskollegen verloren geht“, wird die an der Studie beteiligte Psychologin Katherine Adlington in einem Artikel auf der Homepage der London Global University (UCL) zitiert.

Viele der Befragten gaben an, enttäuscht zu sein, weil die tatsächliche Unterstützung im Alltag durch Partner, Familie und die Gemeinschaft im weiteren Sinne nicht so ausfällt wie erwartet. Viele berichteten davon, dass sie sich emotional nicht verbunden fühlen mit ihrem neuen Leben, mit anderen Müttern, mit dem Baby.

Depressiv war ich zwar nicht, aber in einem permanent wechselnden Zustand ambivalenter Gefühle. Wenn ich diese kleinen Babyfüße streichelte, fing ich sofort an zu lächeln. Da waren so viele schöne Momente mit meinem Kind. Gleichzeitig war ich so müde. Und fragte mich, wo eigentlich mein altes Ich geblieben war. Ich fühlte mich oft einsam, kraftlos – und schuldig, weil ich so fühlte.

Heute weiß ich: Das war nicht alles nur in meinem Kopf. Auf mich haben gesellschaftliche Erwartungen eingewirkt. Die es mir nicht zugestanden haben, die erste Zeit mit Baby als anstrengend empfinden zu dürfen. Und die mir vermittelt haben, dass ich das alles ganz allein schaffen müsste. Dabei auch noch permanent gut drauf sein müsste.

Telefonieren: Oft der einzige Kontakt zu anderen Menschen für junge Mütter.
Telefonieren: Oft der einzige Kontakt zu anderen Menschen für junge Mütter.
(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Die Sachbuchautorin Nora Imlau, die seit Jahren Bücher über das Elternsein schreibt, spricht in diesem Zusammenhang von einem „Muttermythos“. Der besagt: Kinder zu haben sei keine Arbeit, es sei pures Glück. Zudem sollte das Kind in den ersten drei Lebensjahren am besten ausschließlich innerfamiliär betreut werden – möglichst nur von der Mutter.

„Das Bild der perfekten Supermama erzeugt enormen Druck“, sagt auch die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in einem Interview. „Die Mütter von heute müssen ihre Kinder immer lieben, immer für sie da sein, die eigenen Bedürfnisse für die Familie zurückstellen, immer gute Laune haben, dürfen trotzdem nie müde sein oder gar die Nerven verlieren, sie sollen die wichtigste Bezugsperson sein und das Kind schon früh fördern.“

Dass eine Mutter eine enge Bindung mit ihrem Kind hat, sei aber kulturell bedingt und nicht biologisch, wie es uns häufig suggeriert wird, argumentiert schon seit den 1980ern die französische Bestsellerautorin und Philosophin Élisabeth Badinter. Es liege eben nicht in der Natur der Frau, sich für den Nachwuchs aufzuopfern und in dieser Rolle restlos glücklich zu werden. „Es gibt Mütter, die verschmelzen mit ihrem Kind, andere tun das aber nicht“, sagte sie in einem Gespräch mit der „Zeit“. „Deswegen ist die eine keine schlechtere Mutter als die andere.“

Vorbild: Elefantenherde

Gerade die Natur hält Modelle parat, die nicht ausschließlich auf den sogenannten Mutterinstinkt setzen, die ohne die Mutter als allein Verantwortliche für den Nachwuchs auskommen. Wo Fürsorgearbeit auf mehreren Schultern verteilt wird, damit sich Frauen nicht komplett aufopfern.

Elefantenmütter zählen beispielsweise ganz auf die Herde, wenn der Nachwuchs kommt. Beim Großziehen wird der Mutterelefant von anderen nicht allein gelassen. Alle Weibchen, die gerade selbst kein Junges großziehen, bieten eine Art Babysitterdienst an. Die Herde hilft in allen Stadien der Entwicklung: Wenn das Neugeborene gepflegt wird, wenn es beginnt, die nähere Umgebung zu erkunden, wenn es abenteuerlustig wird. Das hat Vorteile für die Mutter, die Ruhephasen bekommt. Auch das Baby zieht Vorteile daraus. Fällt die Mutter aus, etwa weil sie krank ist, helfen andere. Erfahrene Elefanten zeigen, worauf zu achten ist.

So eine Herde hätte auch ich gebraucht, gerade am Anfang. Nicht umsonst fällt in Elternkreisen regelmäßig ein bekanntes Sprichwort: Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Dass kindliche Fürsorgearbeit im Prinzip jeder leisten kann, zeigt auch die moderne Hirnforschung: Fürsorge können jeder und jede lernen, unabhängig davon, ob sie ein Kind geboren haben oder nicht. Fürsorgearbeit liegt nicht nur mir als Mutter. Es braucht nur eines: Zeit mit dem Baby.

Ein Dorf erzieht ein Kind

Großfamilien haben es bereits in früheren Zeiten gezeigt: Verschiedene Bezugspersonen können gemeinschaftlich ein Kind großziehen. Wieso hocken dann so viele Mütter so viel Zeit allein mit Baby zu Hause? „Dieses Wissen ist verloren gegangen im Siegeszug der Kleinfamilie, wie wir sie heute kennen, die ja nur die Kernfamilie ist“, sagt dazu die Buchautorin, Feministin und Mutter Evelyn Höllrigl Tschaikner in einem Interview. „Das Dorf, das müssen nicht nur Oma und Opa sein. Wir können uns dieses Dorf aussuchen und bestimmen, wer sich in diesem Dorf ansiedelt.“

Als ich schließlich zuließ, dass andere auch mal das Kind betreuen können, wurde alles leichter. Nicht nur der Partner, auch Großeltern, die Tante, Freunde kamen zum Zug. Es half, als ich die Tage mit anderen Eltern und ihren Säuglingen verbrachte. Meine Stimmung stieg, als ich mir zugestand, mal nur für mich etwas zu tun – und sei es nur für ein paar Stunden. Taucht dann mein verinnerlichtes schlechtes Gewissen auf, denke ich an die Elefantenmütter. Die würden mir sagen: Bin ich gut drauf, profitiert davon auch mein Kind.