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Erziehung Erziehung: Keine Regeln sind für Kinder keine Lösung

Von Lutz Würbach 25.11.2012, 13:09

Halle (Saale)/MZ. - Es gibt Dinge in der Erziehung, die funktionieren aus pädagogischer Sicht gar nicht. Ambivalenz ist nach Überzeugung von Heinz-Hermann Krüger ein Beispiel dafür. Als Eltern keine Strategie zu haben, sei der denkbar schlechteste Plan, sagt der Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Halle-Wittenberg. Er meint damit eine Art Sowohl-als-auch-Haltung. Es gibt keine klaren Regeln, oder die Regeln ändern sich ständig. Das macht es für alle Beteiligten nicht leichter. Wenn die beiden Elternteile unterschiedliche Strategien fahren, ist das nach Ansicht von Krüger ebenso schlecht. "Ohnmacht der Eltern ist das Schlimmste", sagt der Wissenschaftler. "Das belegen viele Studien. Die Kinder sind verunsichert, ihnen fehlen klare Vorbilder."

Stile der Erziehung

Erziehungsstile lassen sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden: zum Beispiel autoritär, antiautoritär, demokratisch. Bei Krüger ist unter anderem vom offenen und vom Verhandlungshaushalt als Unterscheidung von Familien-Erziehungsstilen die Rede. Letzterer ist von festen Regeln gekennzeichnet, die lange gelten. Damit hat das Kind eine klare Orientierung. Für Krüger ist dieser Stil deshalb der Favorit. Nach seinen Worten belegen Untersuchungen, dass dieser Verhandlungshaushalt in 60 bis 70 Prozent der Familien Praxis ist.

Vom sogenannten offenen Haushalt hält der Wissenschaftler hingegen nicht viel. "Die Regeln werden ständig neu verhandelt. Es existiert kein klares Konzept, an dem sich alle Familienmitglieder einen längeren Zeitraum orientieren können. Diese Situation überfordert Kinder und Eltern gleichermaßen." Krüger räumt ein, dass es hier durchaus unterschiedliche Ansichten gibt. Gerade Eltern, die viel Wert auf antiautoritäre Erziehung legen würden, vermieden oftmals das Aufstellen von Regeln. Dahinter stecke auch die These, dass Kinder kleine Erwachsene seien und deshalb auch so behandelt werden müssten. Diese Meinung teilt Krüger nicht. Seiner Überzeugung nach sollten Kinder als Kinder gesehen werden. Das beschneide im Zweifelsfall auch deren Rechte, sagt er. Was ja im öffentlichen Leben mit der Festlegung von Altersgrenzen für bestimmte Dinge ohnehin praktiziert werde.

Wie bei der Super Nanny

Ein dritter Erziehungsstil ist eher ein Nichtstil: die Erziehungsohnmacht. Krüger hält sie für verheerend. Wie man sich das vorstellen muss, hat im Fernsehen die Sendung mit der Super Nanny ziemlich populär deutlich gemacht. "Erst gibt es was hinter die Ohren und fünf Minuten später hört das Kind von der Mutter, dass sie es ganz lieb hat", fasst Krüger gängige Szenen zusammen. Und zwischendurch werde geschrien, gebockt, gehe es drunter und drüber. "Woran soll sich das Kind denn hier orientieren?" Dieses Super-Nanny-Niveau herrscht nach Auskunft des Erziehungswissenschaftlers in fünf bis zehn Prozent der Familien. "Es ist aber kein spezielles Problem der sozialen Unterschicht", fügt Krüger hinzu. Das kenne man auch aus Kreisen, denen es finanziell gut gehe beziehungsweise der sogenannten Oberschicht. "Die Eltern kümmern sich einfach nicht um ihre Kinder. Die werden mit materiellen Dingen ruhig gestellt oder irgendwohin in Internate abgeschoben.

Was ist zu tun, wenn Defizite in der familiären Erziehung offensichtlich sind? Ab einem gewissen Punkt hält Krüger Verhaltenstraining oder psychologische Betreuung für unumgänglich. Gerade die Frage, wie verhalte ich mich als Elternteil in bestimmten Situationen richtig, überfordere sogenannte Problemfamilien. Das wisse man nicht erst seit der Super Nanny. Den Wissenschaftler treibt an dieser Stelle ein weiteres Problem um: Welche Eltern mit pädagogischen Defiziten nehmen denn Angebote wie Verhaltenstraining oder psychologische Betreuung an?

Familie als Thema im Unterricht

Abgesehen davon bedauert Krüger, dass in vielen Bundesländern das Thema Familie in der Schule keine beziehungsweise kaum eine Rolle spielt. Für ihn gehören Erziehung, Kochen und etliche weitere Themen aus dem Spektrum Lebenshilfe auf den Stundenplan. Man müsse die Kinder in dieser Hinsicht besser auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten, sagt er. "Die meisten Kinder werden schließlich auch mal Eltern."

Großeltern dürfen verwöhnen

Großeltern sind bei Kindern häufig besonders beliebt, weil ihre Regeln lockerer sind. Oma ist also die Beste, weil sie ihre Enkel schön verwöhnt. Das sei überhaupt kein Problem, meint Krüger. Die Unterschiede zwischen Eltern und Großeltern bei der Erziehung fielen weit weniger ins Gewicht als die zwischen Vater und Mutter. Hinzu kommt nach seinen Worten, dass sich die Generationen heute weniger in ihren Ansichten unterscheiden als noch vor 40 oder 50 Jahren.

Die Großeltern derer, die in den 60er Jahren Kind gewesen sind, seinen zu Kaisers Zeiten aufgewachsen. Da sind nach Krügers Ansicht nicht nur Generationen, sondern auch Welten aufeinander geprallt. Allein solche Themen wie Sexualität oder Gehorsam hätten aber gerade mit der Nachkriegsgeneration neue Gewichtungen erfahren.

"Heute sind sich Eltern und Großeltern viel ähnlicher", sagt Krüger. Was positiv sei, weil die Großeltern einen wichtigen Platz im Familiengefüge einnehmen. Sie wohnten in der Regel in der näheren Umgebung ihrer Kinder, wie Untersuchungen ergeben hätten, und stünden damit relativ unproblematisch zum Beispiel als Babysitter zur Verfügung.