Ernährungswissenschaft Ernährungswissenschaft: Convenience Food statt Mehl und Milch
Hamburg/dpa. - Von A wie «Asia-Suppe» bis Z wie «Zwiebel-Sahne Hähnchen» fehlt kaum eine Würzmischung im Supermarktregal. Von Österreich («Riesen-Germknödel») bis Indonesien («Nasi Goreng») ist praktisch jede Nationalität bei den tiefgefrorenen Fertiggerichten vertreten. Die Deutschen greifen immer häufiger zu industriell vorbereiteten Speisen, und der Siegeszug von «Convenience Food» (Bequemem Essen) geht nach Prognosen von Ernährungswissenschaftlern ungebrochen weiter.
Kochen wie früher können dagegen immer weniger Menschen, Grundnahrungsmittel verwenden viele gar nicht mehr. Der Pro-Kopf- Verbrauch von Kartoffeln hat sich nach Angaben der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle in den vergangenen 30 Jahren mehr als halbiert. Unter dem Stichwort «Ernährungswende» untersucht jetzt eine Gruppe von Forschern bundesweit die Bedingungen einer möglichst guten, nachhaltigen, ökologischen Ernährung in Zukunft.
Ein erstes Diskussionspapier des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts klingt ernüchternd: Trotz drastischen Rückgangs der Ausgaben für Ernährung insgesamt haben die Deutschen im Verlauf der 90er Jahre 30 Prozent mehr fürs Essen außer Haus ausgegeben - für Fast Food sogar fast 200 Prozent mehr. Vom bereits zerkleinerten und gemischten Salat bis zum vorgefertigten Teigling zum Aufbacken nähmen zudem Convenience-Produkte einen immer größeren Raum ein.
Das Wissen über Grundlagen von Lebensmitteln sinke dagegen ebenso wie die Zeit, die zum Kochen verwendet wird, fanden die Forscher heraus. «Wann ist Saison für welches Gemüse, wann ist Saison für welches Obst?» - viele wüssten keine Antwort, sagt Projektleiterin Ulrike Eberle.
«Die Erfahrungen über die Ursprünge der Alltagsversorgung brechen weg», bekräftigt Ulrich Oltersdorf, Leiter des Instituts für Ernährungsökonomie und -soziologie an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe. «Es gibt genug Leute, die sich in der Küche nicht mehr selbst helfen können, außer mit der Mikrowelle.» Woher genau das Mehl im Brot und die Milch aus dem Tetrapack eigentlich stammen, hätten immer weniger Menschen schon einmal konkret erfahren.
Der Geschmackssinn vieler Kinder sei bereits auf intensive künstliche Aromastoffe der Lebensmittelindustrie getrimmt, warnte die Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg unlängst. Ein natürliches Aroma empfänden Kinder oft als fade.
Doch nicht nur Verfall von Esskultur und der Verlust von Kenntnissen markieren den Umgang mit der Nahrung heute. «Das Ernährungswissen ist im Wandel», sagt Ernährungsforscherin Eberle. Dazu gehört auch, dass sich viele immer besser mit den Nährwerttabellen der Produkte auskennen. Die Nachfrage nach als gesünder geltenden Lebensmitteln - Obst, Gemüse, Milch- und Getreideprodukten - steige sogar.
Schwindet die Bedeutung des Kochens im Alltag, stellen sich viele dafür am Sonntag extra lange an den Herd. Kochen ist zugleich Luxus geworden. Bücher überhäufen die Konsumenten mit Rezepten. Und Fernsehköche rühren und braten auf allen Kanälen. «Für jede Geschmacklosigkeit ist etwas dabei», kommentierte die «Tageszeitung».
«Wir projizieren viele Wünsche auf unsere Nahrung», sagt der Göttingener Wirtschaftshistoriker Uwe Spiekermann. Den Fachmann für Ernährung im Wandel wundern die Widersprüche zwischen Koch-Unlust und Koch-Kult nicht. Der wachsenden Zeitdruck bei Arbeit, oft auch in den Familien lasse alle Spielarten von Convenience Food weiter wachsen.
Gleichzeitig seien im Essen wegen seiner fundamentalen Bedeutung «alle Sehnsüchte zu finden, die uns prägen». Mit Nobelküchen und Koch-Abenden drücken die Menschen ihren Wunsch nach einem herausgehobenen Lebensstil aus. Hinter Klagen über eine Entfremdung vom ursprünglichen Essen stecke oft auch ein Unbehagen mit dem schnellen, komplizierten, technisierten Leben.
Ein historischer Vergleich zeige aber, dass nicht alles falsch laufe, meint Spiekermann. Die Qualität der Ernährung, auch die Hygiene, sei in den vergangenen 100 Jahren deutlich gestiegen.