1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Ernährung: Ernährung: Popstars der Küche

Ernährung Ernährung: Popstars der Küche

13.08.2003, 10:25
Mehr Geschmack für Soßen, Fleisch und Gemüse: Auch in Deutschland wächst die Lust am Experimentieren mit frischen Kräutern - allerdings sollten sowohl neue wie altbekannte Gewürze mit Fingerspitzengefühl dosiert werden. (Foto: dpa)
Mehr Geschmack für Soßen, Fleisch und Gemüse: Auch in Deutschland wächst die Lust am Experimentieren mit frischen Kräutern - allerdings sollten sowohl neue wie altbekannte Gewürze mit Fingerspitzengefühl dosiert werden. (Foto: dpa) CMA

Hamburg/Salach/dpa. - Moden gibt es auch in der Küche. Viele Zutaten und Gewürze, die inzwischen in fast jedem Rezept auftauchen, waren vor wenigen Jahren nur einer experimentierfreudigen Minderheit geläufig. Was, fragt sich heute beispielsweise der deutsche Hobbykoch, hat man früher bloß ohne Olivenöl und Balsamico-Essig gemacht? Oder ohne Zitronenzesten und Ingwer, ohne Chili und Kurkuma?

«Basilikum, Bärlauch und Rukola» fallen Kay-Henner Menge als nächstes ein, wenn es um aktuelle Küchenfavoriten geht, die vor fünf oder zehn Jahren noch kaum eine Rolle spielten. «Heute kommt man an ihnen nicht mehr vorbei», sagt Menge, der als Redakteur der in Hamburg erscheinenden Zeitschriften «Essen und Trinken» und «Schöner Essen» die neuesten Trends an deutschen Kochstellen beobachtet.

Wie kurzfristige Moden oder länger anhaltende Trends in der Küche entstehen, ist schwer zu sagen. «Oft fängt ein bekannter Spitzenkoch damit an, und dann kochen es alle nach», sagt Menge. Zeitschriften, Fernseh-Kochshows und Kochbücher greifen die Entwicklung auf und verstärken sie.

Bärlauch ist so ein Fall. «Das einheimische Lauchgewächs wurde über Jahrzehnte glatt vergessen», sagt Menge. Jetzt taucht es überall auf als Pesto, Suppe oder Salat. «Geschmacklich ähnelt es Knoblauch, nur hat man danach keine "Fahne".» In der Tat ist «Allium ursinum», wie die lateinische Bezeichnung lautet, inzwischen so beliebt, dass im Frühjahr ganze Gruppen von Gourmets mit Messer und Beutel in die Wälder ziehen. Naturschützer fürchten schon um die wilden Bestände. Auch soll es Verwechslungen mit unbekömmlichen Maiglöckchen gegeben haben.

Noch erfolgreicher auf seinem Siegeszug durch die Küchen war und ist jedoch Basilikum. Zu Menges Verwunderung hat das Blattgewürz mit dem pfeffrig-starken, charakteristischen Aroma trotz der Allgegenwärtigkeit auf deutschen Speisekarten seinen Zenit nicht überschritten: «Im Gegenteil fragen uns Hobbyköche immer noch nach neuen Rezepten neben dem bekannten Pesto oder Salat.» Ein Basilikum-Sorbet mit Zucker und Weißwein schlägt er deshalb als kühle Zwischenmahlzeit vor - oder auch eine Basilikum-Melonen-Sektbowle.

Weniger eine Mode, denn eine grundsätzlich gewachsene Neugier auf selten genutzte Zutaten vermutet Viola Vierk, Eigentümerin des Gewürzmuseums in Hamburg, hinter neuen Kräutertrends: «Man besinnt sich auf die gesunde Kraft altbekannter Kräuter und Gewürze oder importiert neue, auf Reisen gewonnene Vorlieben.»

Die Expertin erinnert an mittelalterliche Zeiten, als der Kräutergarten vor allem Quelle für Heilmittel und Aphrodisiaka war. Und Gewürze signalisierten Macht und Vermögen: «Pfefferkörner wurden mit Gold aufgewogen. An Fürstenhöfen hat man sie schalenweise als Nachtisch gereicht und pur gegessen», erzählt Vierk. Noch heute ist Pfeffer das wichtigste Gewürz im Lande. Rund 20 000 Tonnen werden laut amtlicher Außenhandelsstatistik jährlich eingeführt.

Salbei nennt Vierk als typisches Beispiel eines alten Bekannten mit neuer Karriere: «Bislang kannten wir Salbei eher im Bonbon oder als Tee gegen Halsschmerzen.» In den USA werde die aromatische Heilpflanze, die die Verdauung fördert, schon lange zum Thanksgiving-Truthahn gegeben. In Italien findet sie sich in Verbindung mit Fleischgerichten: «Das findet nun auch Nachahmer bei uns.»

«Mit Ingwer und Chili ist es ähnlich», bestätigt Rolf Straubinger, Küchenchef von «Burg Staufeneck» im schwäbischen Salach. Die Gäste seien offener für Neues geworden: «Ingwereis mit Ananas als Dessert ist nichts Ungewöhnliches mehr - selbst bei uns in Schwaben.» Der Geschmack hat sich geändert, hat Straubinger festgestellt. «Wir müssen heute kräftiger und würziger kochen als früher.» Die Leute wollten «eine Geschmacksexplosion im Mund» erleben. «Aber auch an ehemals exotische Zutaten ist heute viel einfacher heranzukommen», sagt Straubinger. Zitronengras oder frischer Ingwer gehörten beinahe schon zum Standardsortiment im Lebensmittelladen.

«Viele wissen jedoch nicht richtig damit zu würzen», meint Viola Vierk. «Maß halten», rät sie. Fingerspitzengefühl sei das Wichtigste im Umgang mit neuen Freunden wie der scharfen Ingwerwurzel genauso wie mit alten Vertrauten wie Pfeffer. Vierk begibt sich mit dieser Empfehlung nicht in Widerspruch zu den «Geschmacksexplosionen» des Gourmetkochs Straubinger. Sie will vermeiden, dass eine Speise ungewollt nur noch nach einer Zutat schmeckt. «So salzen die Deutschen oft zu viel, weil sie das durch Fastfood gewöhnt sind.» Dabei zählt Salz übrigens streng genommen gar nicht zu den Gewürzen - es ist ein Mineral.

Manche Zutatenstars verschwinden genauso plötzlich aus dem kulinarischen Rampenlicht wie sie hineingeraten sind. «Anis oder Estragon, die vor zehn Jahren sehr beliebt waren, ist es so ergangen», sagt Menge. Mit dem Essen sei es eben manchmal wie mit der Bekleidungsmode: «Hat man zwei Sommer lang immer geringelte Hemden getragen, will man irgendwann etwas Neues ausprobieren.»