Digitale Arbeitswelt: Ohne IT-Wissen geht nichts
Hannover/dpa. - Die Arbeitswelt ist ohne Computer nicht mehr denkbar. Das gilt nicht nur für Steuerungsanlagen in Großbetrieben oder für Software-Unternehmen.
«Es gibt nahezu keinen Arbeitsplatz mehr, an dem man ohne Computerkenntnisse auskommt», sagte Manfred Kremer, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) auf der Bildungsmesse Didacta in Hannover (10.-14. Februar). Viele Jugendliche sind für diese Anforderungen aber nicht qualifiziert genug. «Sie chatten, sie surfen im Internet, aber sobald es etwas anspruchsvoller wird, zum Beispiel bei der Tabellenkalkulation, fehlen dafür die Grundlagen», beklagte Kremer. Die IT-Kenntnisse vieler Azubis seien schlicht zu gering.
IT-Kenntnisse seien kein Wert an sich, betonte Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA). «Aber ohne sie wird man in der Arbeitswelt der Zukunft nicht mehr bestehen können.» Schon heute nutze jeder zweite Berufstätige im Arbeitsalltag einen Computer. Ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland verbringe seine Arbeitszeit sogar überwiegend am PC. «IT-Kenntnisse gehören deshalb zum normalen Handwerkszeug. Sie sind manchmal wichtiger als früher Papier und Bleistift.»
Auch aus Sicht von Manfred Kremer ist «digitale Kompetenz» in vielen Ausbildungsberufen unverzichtbar. Sie sei inzwischen eine Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben. Voraussetzung für gute IT-Kenntnisse sei allerdings, dass Jugendliche auch fit in den traditionellen Kulturtechniken sind. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass rund 20 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland funktionelle Analphabeten seien, also schon beim Lesen einfacher Texte Schwierigkeiten haben, den Sinn zu verstehen. Wer nicht mit Sprache umgehen könne, werde jedoch auch Schwierigkeiten haben, mit neuen Medien umzugehen.
IT-Anwendungen sind einerseits bei Jugendlichen im Alltag längst selbstverständlich: «Drei Viertel aller Haushalte haben einen Computer», sagte Peter Clever. «2008 hatten erstmals mehr Jugendliche einen PC als einen Fernseher.» Aber bei der Vermittlung von IT-Kenntnissen sehe es ganz anders aus: In den Schulen der USA gibt es 33 Computer pro 100 Schüler, in Deutschland seien es nur 9. Von allen OECD-Ländern werde in Deutschland der Computer sogar am seltensten im Unterricht eingesetzt. In den Schulen gebe es einen enormen Nachholbedarf an IT-Expertise und entsprechender Ausstattung.
Auch an den Hochschulen seien IT-Kenntnisse keineswegs selbstverständlich: «Studenten sind nicht automatisch Vorreiter beim E-Learning.» Dabei müssten Kenntnisse etwa in Textverarbeitung und Tabellenkalkulation so beherrscht werden wie das kleine Einmaleins, forderte Clever. Andererseits sei digitale Kompetenz auch für Arbeitnehmer wichtig, bei denen Studium oder Schulzeit schon lange zurückliegen: «IT-Kenntnisse sind zentral für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit», sagte Clever. Auch wer arbeitslos ist und eine Stelle suche, habe Nachteile, wenn er beim Thema Computerkenntnisse «keine» sagen muss. Wer derzeit Kurzarbeit machen müsse, sollte deshalb die Chance nutzen und sich bei den IT-Kenntnissen weiterbilden.
IT-Spezialisten werden nach Clevers Überzeugung langfristig gefragt bleiben: Am Bedarf an MINT-Fachkräften - Absolventen der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - werde sich auch angesichts der wirtschaftlich schwierigen Zeiten nichts Substanzielles ändern. Der Fachkräftemangel in diesem Bereich sei ein strukturelles und kein konjunkturelles Problem, sagte Clever. Während die Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten in Zukunft voraussichtlich überproportional steigen werde, sei durchaus denkbar, dass der Bedarf an Absolventen von MINT-Studiengängen beim nächsten Aufschwung noch größer sei als im Rekordjahr 2008, so Clever.
Für das Jahr 2020 sei von 250 000 fehlenden Fachkräften in MINT-Berufen auszugehen. Schon jetzt liege die Ersatzquote bei Ingenieuren in Deutschland bei 0,9. Das heißt: Nicht jede Stelle, die frei wird, weil ein Ingenieur altersbedingt zu arbeiten aufhört, kann wieder besetzt werden. Bis zum Jahr 2020 werde diese Quote auf 0,7 sinken. Basis dieser Prognose ist der jetzige Bedarf. Denkbar sei aber durchaus, dass er noch größer wird, sagte Clever.
Viele Jugendliche scheinen sich von solchen Aussichten allerdings nicht locken zu lassen: Informatiker hätten oft schlicht ein schlechtes Image, sagte Prof. Barbara Schwarz, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit an der FH Bielefeld. So haben Befragungen von Jugendlichen gezeigt, dass vergleichbare Berufe wie Lehrer, Anwalt, Arzt oder Unternehmer mit Blick auf das Ansehen deutlich besser abschneiden. Dabei spielt vor allem eine Rolle, dass Informatiker als «Tekkies» mit wenig Sozialkontakten wahrgenommen werden.
So gaben nur 16 Prozent der befragten Jugendlichen an, Lehrer oder Ärzte seien Eigenbrötler. Dagegen schätzten 47 Prozent die Informatiker so ein. Dabei erscheinen deren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt als durchaus rosig: So gingen 74 Prozent davon aus, dass Informatiker künftig noch stärker als bisher benötigt werden - bei Anwälten glaubten das nur 42 Prozent der Befragten. Gute Jobchancen alleine scheinen nicht zu reichen - solange der Job als uncool gilt.