Dessertweine schmecken nicht nur nach dem Essen
Mainz/Köln/dpa. - Einer der größten Irrtümer in der Weinwelt ist zu glauben, trockene Tropfen seien edel und süße nur etwas für Banausen. Eher verhält es sich umgekehrt, denn Süßweine bieten eine besondere geschmackliche Fülle.
Ihre Herstellung ist so aufwendig, dass sie nur in geringen Mengen auf den Markt kommen. «Süße und edelsüße Weine waren schon zu Kaisers Zeiten sehr begehrt», sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz. Sie sollten nicht verwechselt werden mit so genannten lieblichen Sorten. Welcher Wein in welche Kategorie gehört, bestimmt der Gehalt an Restzucker. Als «lieblich» gelten laut Deutschem Weingesetz zwischen 18 und 45 Gramm Restzucker pro Liter.
Alles darüber heißt «süß» oder «edelsüß» und wird auch als Dessertwein bezeichnet. Manche erreichen sogar Restzuckergehalte von 200 Gramm und mehr - «das ist dann schon fast Weinkonzentrat und schmeckt besonders weich und cremig», sagt Hendrik Thoma, Chef-Sommelier des Hotels Louis C. Jacob in Hamburg.
Sauternes aus Frankreich ist einer der teuersten Süßweine der Welt. Deutschland verfügt über die größte Auswahl an Dessertweinen: Auslesen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen von der Mosel sind berühmte Vertreter. Auch Eisweine aus dem Rheingau, der Pfalz oder ebenfalls von der Mosel zählen zur süßen Kategorie.
Eiswein entsteht aus Trauben, die bis zu einer Außentemperatur von minus sieben Grad an den Reben bleiben: «In den frühen Morgenstunden, wenn es zwischen vier und fünf Uhr am kältesten ist, werden die Trauben geerntet und noch gefroren in die Kelter gegeben», erläutert Weinbauingenieur Büscher. Durch den Frost konzentrieren sich Zucker und Säure im Saft. Das Ergebnis ist ein fruchtiger Wein.
Beeren- und Trockenbeerenauslesen gibt «Edelfäule» den Geschmack - ein Pilz, der die reifenden Früchte befällt und zu konzentrierter Süße führt. Für die Trockenbeerenauslese wird die Traube so lange am Stock gehalten, bis sie geschrumpft ist. «In der Farbe sind solche Weine goldgelb, im Geschmack erinnern sie an Karamell, Honig und getrocknete Früchte», sagt Büscher.
«Sie passen hervorragend zu Schokoladendesserts, die nicht zu bitter sind», sagt Christina Fischer, Sommelière und Gastronomin aus Köln. Auch zu Edelschimmelkäse seien sie perfekt. Die Kombination von Süßweinen mit Süßspeisen oder Käse ist oft eine ideale, gewiss aber nicht die allein seligmachende. «Zweifellos schmeckt ein Dessertwein auch ohne Dessert», versichert Thoma. «Dann spart man auch Kalorien.»
Gelingt das Solo nach dem Essen, spricht nichts dagegen, es auch vorweg zu versuchen. «Für den Appetitanreger würde ich zu einer leichteren Variante greifen wie eine Auslese von der Mosel», rät Thoma. Entscheidend ist das Servieren. «Ist der Wein zu warm, tritt seine Süße zu sehr in den Vordergrund», warnt Büscher. Zehn bis zwölf Grad hält er für die ideale Trinktemperatur.
«Eine gute, süß ausgebaute Spät- oder Auslese beginnt bei 10 bis 15 Euro», erläutert Christina Fischer. Beerenauslesen und Eisweine kosten laut Büscher in guten Qualitäten ab 25 Euro in Flaschen mit 0,375 Liter Inhalt. Werden die Weine nicht zum sofortigen Gebrauch gekauft, lohnt es sich, sie liegen zu lassen. «Eine Spät- und Auslese erreicht erst nach fünf bis zehn Jahren ihr ganzes Potenzial», sagt Fischer. Die Beeren- und Trockenbeerenauslesen sind noch beständiger.