1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Der Speierling: Der Speierling: Seltener Baum mit großer Vergangenheit

Der Speierling Der Speierling: Seltener Baum mit großer Vergangenheit

Von Andrea Löbbecke 16.09.2004, 09:41

Mainz/dpa. - Liebhaber von Apfelwein kennen wahrscheinlichdiesen seltenen Baum, denn für den guten Schluck waren die Früchtedes Speierlings lange Jahre unersetzlich. Vor allem in derHeimatregion des «Äppelwoi» in Hessen säumten zahlreiche Speierlingedie Apfelbaum-Plantagen. Mit dem Fortschritt der Technik und neuenKonservierungsmethoden verschwand der «sorbus domestica» jedoch vonden Feldern. Die ungewöhnliche Baumart geriet zunehmend inVergessenheit. Erst die Wahl zum «Baum des Jahres 1993» sorgte inDeutschland wieder für Aufschwung - und rettete den Speierlingvielleicht sogar vor dem Aussterben.

«Die Früchte wurden früher mit den Äpfeln zusammen gepresst»,erklärt Ralf Omlor, Kustus des Botanischen Gartens der JohannesGutenberg-Universität-Mainz. Durch dieses Verfahren wurde der Weinnicht nur haltbarer gemacht, sondern auch «geklärt» - er sah nichtmehr so trüb aus. «Die Speierlings-Frucht verlieh dem Äpfelwein einangenehmes Aroma», so der Botaniker. Allerdings ist sie nicht ganzeinfach zu verarbeiten: Bereits kurz nach der Reife wird sie weichund verrottet.

Wenn der Speierling im Mainzer Garten im Herbst seine Früchtefallen lässt, und diese auf dem Rasen «vergammeln», breitet sich umden Baum herum das typische, herbe Aroma aus, wie Omlor erzählt. Erdeutet dabei auf das rund 50 Jahre alte prächtige Exemplar mit seinerschönen, ausladenden Krone, das frei auf einer Wiese steht.

Die Blätter des Speierlings sind gefiedert und werden etwa 25Zentimeter lang. Ab Mai bildet er kleine weiße Blüten, die gleichdutzendweise in etwa zehn Zentimeter breiten, weißen undkugelförmigen Rispen stehen. Berühmt wurde «sorbus domestica» jedochdurch seine Früchte, die ganz unterschiedliche Formen haben können,ähnlich der von Birnen oder Äpfeln. Diese hängen in kleinen Gruppenin den Ästen. Jede einzelne erreicht einen Durchmesser von etwa zweibis vier Zentimetern. Die dünne, feste Außenschale kann von Baum zuBaum verschieden gefärbt sein: braun, rot, gelb und grün oder auchein gesprenkelter Mix.

Auf dem Feld oder am Waldrand entwickelt der Speierling eine weitausladende Krone, wie sie auch bei vielen Exemplaren auf Alleen oderin Botanischen Gärten bewundert werden kann. Als Waldbaum wächst derSpeierling dagegen gerade in die Höhe und verzweigt erst spät. «Trotzseines wertvollen Holzes ist er auch aus den Wäldern immer mehrverschwunden, weil er eher langsam wächst», sagt Omlor.

Dafür liefert die Sorbus-Art ein besonders dichtes Holz, das sichunter anderem gut für den Bau von Musikinstrumenten eignet. So wirdin der Fachliteratur erwähnt, dass Liebhaber das Holz gezielt für dieHerstellung von Spielpfeifen für Dudelsäcke kaufen. Es gibt auchBilliardqueues aus Speierling-Holz.

Als Alleen- oder auch Gartenbaum empfiehlt sich «sorbus domestica»unter anderem durch seine leuchtende Herbst-Färbung in Rot-, Ocker-und Gelbtönen. Die Früchte lassen sich vielfältig verwerten: Sowerden im Frankenland unter anderem Rezepte für «Pfannkuchen mitSpeierlingsmus» oder «Großer Speierling in Calvados» ausgetauscht. Inder Schweiz wird auch Speierlingsgelee genossen. Zunehmend habenEdel-Brenner die herbe Frucht für sich entdeckt und stellen Schnapsaus ihr her - wie auch aus einer engen Verwandten des Speierlings,der Elsbeere.

Beide Sorbus-Arten sind der Menschheit schon lange bekannt undwerden unter anderem schon vom griechischen Philosophen und BotanikerTheophrast (371-285 v.Chr.) erwähnt. Damit zählt der Speierling zuden ältesten Obstbäumen. Eine Abbildung aus dem 15. Jahrhundert, diein der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt wird,zeigt den Handel mit Speierlings-Früchten, die als Mittel gegenCholera angesehen wurden.

In Deutschland kämpft bereits seit rund zehn Jahren ein«Förderkreis Speierling» um den Erhalt des seltenen Baumes - mitErfolg. Nach Angaben des Speierlingexperten Wedig Kausch-Blecken vonSchmeling aus Bovenden (Niedersachsen) wurden in den Baumschulen undVersuchsanstalten zwischen 1985 und 2000 mehr als 600 000Speierlingspflanzen gezogen, obwohl die Anzucht schwierig ist undbesonders die jungen Bäume empfindlich sind.

Im hessischen Örtchen Wehrheim nahe Frankfurt besann sich dieBürgerschaft 1999 wieder auf die «Speierlingsgeschichte» der Gemeindeund setzte eine neue Speierlingsallee. Das Geld für die Bäume war beieinem Wettbewerb für den besten selbstgekelterten Äpfelweinzusammengekommen, gesetzt wurden die zehn Speierlinge von denEinwohnern selbst: Bei einer gemeinsamen Bürgeraktion mit Speierling-Schnaps und Speierling-Konfitüren-Broten.

Im Internet unter www.corminaria.de.