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Der Geschmack des Ostens: Soljanka und Würzfleisch

Von Gudrun Janicke 29.05.2009, 07:13

Leipzig/dpa. - Wie schmeckte der Osten? Trotz Mangelwirtschaft wurde in der DDR von Rostock bis nach Adorf im Vogtland gebrutzelt, gebacken, gegrillt, geräuchert und konserviert, was das Zeug hielt.

Die Erinnerungen an diese Kochkünste fallen sehr unterschiedlich aus: Die einen bekommen noch heute «lange Zähne», wenn sie nur an die damals gängigen «Sättigungsbeilagen» denken. Andere schwärmen von deftiger Hausmannskost mit ordentlichen Portionen Fleisch, das in der DDR billig war. Sterne vom Gourmet-Himmel konnten damit aber nicht eingeheimst werden. Am Herd war das Talent zum Improvisieren gefragt.

Vielen Ossis liegt der Geschmack der Standards noch auf der Zunge: Soljanka, Spirelli mit Tomatensoße und hinein geschnippelten Würstchen, bulgarischer Schopska-Salat, Würzfleisch, russische Pelmeni (gefüllte Teigtaschen) mit fetter Sahne. «Hier kam Traditionelles auf den Tisch», erinnert sich der Vorsitzende des Landesverbandes der Köche Mitteldeutschland, Matthias Köhler. Buletten, Klöße, Schnitzel und Braten wurden öfter serviert als westlich der Elbe. Obwohl die DDR eine große Fischfangflotte hatte, sahen die DDR-Bürger nicht viel davon: der Fang wurde für Devisen in den Westen verkauft.

Dort fanden schon früh italienische, griechische oder asiatische Spezialitäten Eingang in die Küche, befördert durch den Zustrom von ausländischen Arbeitern. Die Ostdeutschen ließen sich dagegen eher aus dem Ostblock kulinarisch inspirieren - notgedrungen, denn ins westliche Ausland kamen sie ja nicht. «Wir schmorten im eigenen Saft», sagt Köhler, der heute in einem großen Leipziger Hotel am Herd steht.

Aus dem Westen geschmuggelte Rezepte brachten den Ost-Hobby-Koch nicht weiter: wichtige Zutaten fehlten einfach, wie exotisches Obst und Gemüse, aber auch Olivenöl und Gewürze. «Es musste verarbeitetet werden, was vorhanden war», sagt Köhler. An heimischen Produkten wie Kartoffeln, Kohl und Äpfeln mangelte es eher nicht.

Doch nicht jeder war nur auf das Angebot des sozialistischen Handels angewiesen: die eine oder andere Leckerei gelangte mit Omis Westpaket in den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Wer auch noch Westgeld hatte, war gut dran und konnte in den Intershops Zutaten fürs Festessen kaufen. Zudem boten «Delikat»-Läden zu hohen Preisen für DDR-Geld Spezialitäten an.

Bei dem Mangel wurde vieles selbst gemacht, Ideen waren gefragt. Da wurde Eierlikör angesetzt, aus Quark, Butter und grobem Pfeffer ein Pfeffer-Käse angerührt oder Nudeln selbst gewalzt. Aus drei Kuba-Orangen, zwei Litern Wasser und einigen Spritzern Citronensäure entstand «Orangenjuice Made in GDR».

Was auf den Tisch kam, hatte in der DDR der Verlag für die Frau in der Hand. Quasi als Monopolist sorgte er für die Kochbücher, die das Geschehen am Herd weitgehend bestimmten. Experimente mit exotischen Zutaten, die nicht im Kaufhallenregal standen, wurden nicht veröffentlicht. «Ein Rezept für Obstsalat mit Bananen und Orangen wäre undenkbar gewesen», sagt Christa Winkelmann, Geschäftsführerin des Buchverlages für die Frau (Leipzig).

Etwa 50 Bücher zum Thema Kochen wurde hier zu DDR-Zeiten herausgegeben. Bestseller seit 30 Jahren ist das Buch «Kochen». «Mehr als 1,7 Millionen Exemplare wurden bislang verkauft. Viele DDR-Bürger haben damit kochen gelernt», sagt Winkelmann. «Und die Oma gibt das Buch heute an den Enkel weiter.»

Lorbeeren blieben den Ost-Köchen aber versagt. Tester für den Michelin-Restaurantführer kamen erstmals nach der Wende in den Osten. Der erste Stern ging 1995 an das Dresdner Restaurant der Familie Pattis. Dagegen kam der Reiseführer Gault Millau schon zu DDR-Zeiten. 15 Punkte gingen an das Ostberliner Restaurant «Fioretto» - einziges italienisches Restaurant in der DDR. Manfred Kohnke, Chefredakteur von Gault Millau: «Bei den Noten wurde ausnahmsweise nicht die Produktqualität mitbewertet, weil die bedauernswerten Köche in der DDR nehmen mussten, was sie kriegen konnten.»

Landesverband der Köche Mitteldeutschland: www.koechemitteldeutschland.de

Ratgeberbuch «Kochen»: www.buchverlag-fuer-die-frau.de