Braucht mein Kind ein Smartphone? Braucht mein Kind ein Smartphone?: Ab wann empfehlen Experten ein Handy für Kinder?

Halle (Saale) - „Wann bekomme ich ein Handy?“, fragen Kinder heutzutage schon im Alter von vier Jahren ihre Eltern. Ist das ungewöhnlich? Gar nicht. Die sogenannten Digitale Natives wachsen in einer digitalen Welt auf. Schon als Kleinkind haben sie erste Filmchen auf dem Tablet gesehen, mit der Wischtechnik intuitiv die Urlaubsbildergalerie auf Mamas Smartphone angeschaut und nicht zuletzt mitbekommen, wie auch die Eltern ständig am Handy rumhantieren.
Die Frage nach dem eigenen Smartphone ist aus Sicht der Kinder berechtigt - Eltern hingegen bereitet sie Bauchschmerzen. Und das nicht nur aus finanzieller Sicht: Pornos, Mobbing, Cyberkriminalität - ein Smartphone öffnet auch dafür die Türen. Es gibt aber auch positive Seiten: Unter anderem kann man damit telefonieren und so Kontakt zu seinem Kind behalten, wenn es alleine unterwegs ist. Aus diesem Grund überlegen vor allem Eltern der frisch gebackenen Fünftklässler - die nach der Zeit in der Grundschule nun einen weiteren Weg haben - und beginnen zu googeln: Ab wann empfehlen Experten ein Handy für Kinder?
Smartphone für Kinder - Es geht immer früher los
Laut der aktuellen Kinder-Medien-Studie, bei der mehr als 3.000 Interviews sowohl mit Eltern als auch mit Kindern geführt wurden, hat der Wunsch nach einem Handy längst den nach einem Fahrrad abgelöst. Wenn Kinder wählen können, steht bei 41 Prozent der Vier- bis 13-Jährigen ein Smartphone oder Handy an erster Stelle. Bereits knapp die Hälfte (48 Prozent) hat bereits ein Gerät. Fest steht: Die Smartphone-Nutzer und -Besitzer werden immer jünger. Das bedeutet, dass auch der Druck auf die Eltern steigt, denn das Totschlagargument kennt wohl noch jeder aus seiner eigenen Kindheit: „Aber alle haben eins, nur ich nicht!“
Eine Stichprobe in einer halleschen Schule unter Fünfklässlern zeigte ein ähnliche Ergebnis. Bei der Frage, wer schon ein Handy besitzt, standen alle in der Klasse auf. Ein einziger Junge blieb sitzen, sagte aber entschuldigend: „Ich bekomme meins erst in zwei Wochen.“
Was also sollen Eltern tun? Entgegen vieler Alterstabellen, die man online findet, rät das Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt: „Bei der Entscheidung, ein Smartphone für ein Kind anzuschaffen, ist nicht das Alter zuerst maßgebend“, erklärt Stefan Thurmann. „Die Entscheidung für ein Smartphone sollte dann fallen, wenn die Sorgeberechtigten sicher sind, dass das Kind mit der Funktionsweise des Handys und den Risiken des Internets vertraut ist“, sagt der Pressesprecher. Punkte, die dabei zu beachten sind, haben etwa die Initiativen Klicksafe und Handysektor.de zusammengetragen (siehe Grafik „Checkliste“). Diese seien ein guter Wegweiser für die Entscheidung, so Thurmann.
Ist das noch süß, wenn sich der Dreijährige versiert durchs Smartphonemenü wischt und tippt - oder ist es eher beängstigend? Doch wie können Familien am besten den Umgang mit dem Smartphone regeln? Tipps dazu von Thomas Feibel, führender Journalist in Sachen Kinder und Computer und aus dem Bildungsministerium Sachsen-Anhalt.
1. Kindern die Nutzungsdauer bewusst machen:
Auch Eltern kennen es gut, wie es ist, nur mal schnell die neuesten Bilder bei Instagram ansehen oder die letzten Facebook-Posts lesen zu wollen - und zack, ist eine Stunde rum. Da Kinder permanent online sind, sobald sie ein Smartphone haben, lohnt sich folgendes Experiment: Einfach mal die Zeit stoppen, die Kinder fürs Lernen brauchen. Einmal mit und einmal ohne Smartphone, rät Feibel. Ohne Handy wird es vermutlich schneller gehen. Da die meisten Kinder nicht freiwillig mehr Zeit mit dem Lernen verbringen wollen, haben Eltern damit ein gutes Argument an der Hand: Das Smartphone kann ein ganz schöner Zeitfresser sein.
2. Signale am Gerät ausschalten:
Eltern können mit den Kindern überlegen, welche Benachrichtigungen auf dem Smartphone deaktiviert werden. Auch entlastet es, wenn im Sperrbildschirm keine Nachrichten angezeigt werden. Jedes „Pling“ weckt das Aufmerksamkeitssystem und schürt die Erwartung, dass etwas Lustiges oder Tolles passiert. Daran gewöhnt sich das Gehirn und führt in eine Suchtschleife.
3. Handyverbot nur als letztes Mittel:
Das Handy zu verbieten erscheint verlockend, sollte aber die letzte mögliche Lösung sein. Denn das Smartphone einfach einzukassieren zeigt Kindern: „Ich habe Macht und du bist machtlos.“ Einen konstruktiven Austausch ermöglicht das nicht. Besser sind Abmachungen, zu welchen Zeiten alle das Handy in der Familie weglegen sollten - zum Beispiel beim Essen oder an einem festgelegten Tag des Wochenendes. Erst, wenn diese Regeln nicht eingehalten werden, kann das Telefon auch mal für einen Tag weg sein.
4. Handyfreie Zeiten für die Familie vereinbaren:
Stefan Thurmann vom Bildungsministerium rät zudem, in der Familie handyfreie Zeiten festzulegen, etwa beim gemeinsamen Essen oder bei Ausflügen. Das sei wichtig für die wechselseitige Wahrnehmung und Wertschätzung. Einmal im Jahr wird von www.handysektor.de zur Fastenzeit ein Handyfasten organisiert. In einem Tagebuch werden die Erlebnisse ohne Handy festgehalten. Das ist laut Thurmann eine schöne Gelegenheit, im Familienkreis mitzumachen. DPA/QUI
Stressfaktor Handy
Viele Kinder können schon mit zehn Jahren und eher technisch mit Handys umgehen. Aber haben sie die Kosten im Blick? Können sie Sicherheitseinstellungen ändern? Wissen sie, welche Daten sie wodurch preisgeben und welche Folgen daraus entstehen können? Gerade diese Medienkompetenz ist eine wichtige Grundlage für die Benutzung internetfähiger Geräte.
Ähnlich sieht es die Kinder- und Jugendpsychiaterin Annegret Brauer. Sie gibt Eltern den Tipp, achtsam zu sein und genau abzuwägen, was sie ihren Kindern zutrauen, aber auch zumuten können. „Eltern sollten sich gut überlegen, ob sie einem zehnjährigen Kind ein Smartphone in die Hand drücken“, sagt die Expertin aus Halle. Denn die Geräte können auch zum Stressfaktor für Kinder werden. „Sie sind teuer, man darf sie nicht verlieren, es darf nicht in fremde Hände gelangen oder gar gestohlen werden“, sagt Annegret Brauer. Die Verantwortung könne ein zehnjähriges Kind belasten.
Auf der anderen Seite verstehe sie auch die Sorge der Eltern, das eigene Kind auszugrenzen. Ohne Smartphone - kein WhatsApp. Über diesen Nachrichtendienst laufen heutzutage jede Menge Absprachen in der Klasse. Doch Vorsicht: Mit der Datenschutzgrundverordnung im Mai hat die Messenger-App das Mindestalter von 13 auf 16 Jahre angehoben.
„Mit solchen Dingen sollten sich Eltern beschäftigen“, sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin. Dass Eltern die Chats und Verläufe auf den Smartphones ihrer Kinder kontrollieren, davon rät Brauer ab. „Eltern sollten Vertrauen haben. Gibt es Warnzeichen, empfehle ich, gemeinsam mit dem Kind ins Handy zu schauen“, so die Expertin. Die Chats könne man mit einem Tagebuch oder Briefen vergleichen. „Eltern sollten die Privatsphäre ihrer Kinder respektieren.“ Genauso rate sie davon ab, dass Eltern das Smartphone nutzen, um zu schauen, wo sich ihr Kind gerade befindet. „Das ist das Gegenteil von Vertrauen“, sagt die Expertin.
Gute Balance ist wichtig
Die aktuelle Kinder-Medien-Studie, die im Auftrag von sechs Verlagen, unter anderem vom Egmont Ehapa Verlag sowie Gruner + Jahr gegeben wurde, zeigt auch, dass die befragten Kinder über eine gute Balance zwischen der analogen und der digitalen Welt verfügen. Trotz der zunehmenden Digitalisierung ziehen sie sich nicht in die virtuelle Welt zurück, sondern nehmen das aktuelle Geschehen in ihrer Umwelt mit allen Sinnen wahr.
„Wenn Sorgeberechtigte mit dem Kind über den Gebrauch von Smartphones sprechen, gemeinsam Nutzungszeiten und klare Nutzungsregeln vereinbaren, dann hilft es dabei, dass die Kinder das Gerät sicher und souverän beherrschen - und nicht, dass das Smartphone sie beherrscht“, sagt Stefan Thurmann vom Bildungsministerium Sachsen-Anhalt.