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Belastung Belastung: Laute Nachbarn nicht einfach hinnehmen

Von Britta Schmeis 24.08.2005, 13:03

Wuppertal/Marburg/dpa. - Bei dem ständigen Lärm sei ihm der Geduldsfaden gerissen, sagte ervor Gericht aus.

«Ständiger Lärm ist eine extreme Belastung für den Menschen undkann krank machen», erklärt der Psychologie-Dozent Andreas Homburgvon der Philipps-Universität in Marburg. In dem Fall aus Wuppertallasse sich zwar per Ferndiagnose schwer sagen, was tatsächlich zu demWutausbruch geführt hat. Fest stehe aber, dass insbesondere Lärm undGerüche nachbarschaftliche Verhältnisse mitunter auf eine harte Probestellen.

«Gerade bei Hundegebell kommt die eigene Hilflosigkeit zu demstörenden Lärm hinzu», gibt Homburg zu bedenken. Haben die Herrchenihr Tier nicht im Griff oder wollen nicht einschreiten, verliert manselbst die Kontrolle. «Auf Dauer werden die Betroffenen apathisch,lethargisch und ziehen sich immer mehr zurück, weil sie sich demständigen Lärm machtlos ausgeliefert fühlen», berichtet derDiplom-Psychologe Heiko Sill aus Potsdam. Viele fühlten sich dann inden eigenen vier Wänden nicht mehr wohl, fügt Homburg hinzu. «Das isteine enorme Einschränkung der Lebensqualität.»

Dabei ist die Belastungsintensität keine Sache von Dezibel. «Wasjemand als störenden Lärm empfindet, ist sehr individuell undsubjektiv und hängt eng damit zusammen, welches Verhältnis man zu derLärmquelle hat», erklärt der Psychologe Prof. Gert Kaluza ausMarburg. Wer seinen Nachbarn mag, kann abendliche Fingerübungen amKlavier besser ertragen, als der, der sich ständig mit ihm streitet.

Deswegen plädieren die Psychologen für gute soziale Beziehungeninnerhalb einer Hausgemeinschaft. «Am besten stellt man gleich zumEinzug klar, was einen möglicherweise stört und wie der eigene Tages-und Schlafrhythmus ist», rät Homburg. Denn auch wenn die Hausordnunggewisse Ruhezeiten vorschreibt, sind individuelle Absprachen oftsinnvoller.

Auf keinen Fall sollte allzu schnell die Polizei gerufen oder derVermieter informiert werden. «Erst sollte man den direkten Kontaktzum Nachbarn suchen, alles andere wird als Schwäche ausgelegt»,empfiehlt Sill. Und Homburg ist überzeugt, dass man sich mit einemnächtlichen Anruf bei der Polizei selbst keinen Gefallen tut. «Danachist nämlich für viele nicht mehr an Schlaf zu denken.»

Kaluza rät außerdem, die eigene Einstellung zu überprüfen. «Nervtmich das Klavierspiel der Nachbarin vielleicht nur, weil ich selbstkein Klavier mehr habe oder das eigene Spiel vernachlässige? Oderempfinde ich den Nachbarn ständig als übermäßig laut, weil icheigentlich schon lange ein eigenes Haus haben will, statt in einerMietswohnung zu wohnen?»

Auch der Rechtsanwalt Christian Kotz aus Siegen weiß nur allzugut, dass viele Nachbarschaftsstreitereien ganz andere Ursachen habenals der tatsächliche Lärm. «Wenn Mandanten zu uns kommen, ist dasKind oft schon in den Brunnen gefallen», sagt Kotz. Seine Aufgabe seies in diesen Fällen weniger, die juristischen Möglichkeitenaufzuzeigen, als zwischen den «Streithähnen» als Mediator zuvermitteln. «In 20 bis 25 Prozent der Fälle steckt tatsächlich einepsychische Belastung durch den ständigen Lärm hinter den Beschwerden,in den restlichen Fällen sind es in der Regel notorische Querulanten.»

Auf keinen Fall sollten man den Groll über die lärmenden Nachbarn,die stinkende Mülltonne oder spielende Kinder auf dem Hof zu großwerden lassen. «Das bedeutet nur zusätzlich Stress», warnt Homburg.Er empfiehlt eine Doppelstrategie: «Zum einen sollte man sich gutüberlegt beschweren, zum anderen auch darüber nachdenken, welcheGegenmaßnahmen in der eigenen Macht stehen. So kann man im Fall vonviel Straßenlärm auch überlegen, wie man beispielsweise eine Stadtdazu bringt, in der Straße Tempo 30 einzuführen.»

Der Gesetzgeber ist zwar bemüht, durch Lärmschutzbestimmungen undvorgeschriebene Ruhezeiten die Bürger vor dem krankmachenden Lärm zuschützen, doch greifen die Vorschriften eben nicht immer. «Die RegelZimmerlautstärke ist doch sehr flexibel und individuellinterpretierbar», gibt Sill zu bedenken. Deswegen lautet seinPlädoyer: «Null Toleranz und wehret den Anfängen.» Nur so ließen sichgesundheitliche Folgen des «Lärmmülls» vermeiden.