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Behütete Kinder Behütete Kinder: Wir sind alle ein bisschen Helikopter-Eltern

Von Isabell Wohlfarth 29.08.2014, 11:04
„Helikopter-Eltern“ haben den Nachwuchs immer im Blick.
„Helikopter-Eltern“ haben den Nachwuchs immer im Blick. imago/Karo stock&people

Manche Kinder haben mehr Personenschutz als die Bundeskanzlerin. Wenn sie auf dem Spielplatz Abenteuer erleben, dann folgt ihnen ein Bodyguard - immer bereit, bei einer Klettertour hinterherzuspringen oder beim Streit um eine Schaufel einzugreifen. Später werden sie einmal beim Schulweg eskortiert, zum Camping-Wochenende und bei der Fachberatung an der Uni begleitet - Lehrer und Studienberater können davon ein Lied singen. Dabei sind die Kinder, um die es hier geht, nicht einmal Promi-Söhnchen. Ihre Eltern sind einfach nur immer zwei Schritte hinter ihnen. Ein Kinderleben mit Rundumbetreuung und doppeltem Boden.

bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch besonders fürsorgliche Eltern, die ihre Kinder immer unter genauer Beobachtung haben, sie stark behüten und fördern. Inwieweit das die selbständige Entwicklung der Kinder beeinflusst, das wird in Büchern, Zeitungen und Blogs regelmäßig diskutiert.

Bitte keine Mamakinder

Die Gesellschaft hat längst einen Namen für die sichtbaren Verfolger, die um die Kids herumschwirren: „Helikopter-Eltern“. Mit Lust und Häme wird über diese überfürsorglichen, überbehütenden Eltern gespottet. Sie seien viel zu verspannt, oft schon paranoid und würden kleine verwöhnte Prinzesschen und unselbständige Angsthasen erziehen.

Ich als Mutter bin da natürlich viel cooler und lockerer. Selbstverständlich will ich keine Mamakinder heranziehen. Die Kleinen sollen selbst erfahren und erkunden, ohne Zwang die Welt entdecken. Und ich sitze im Idealfall entspannt auf der Bank und schaue ihnen dabei zu.

Doch dann fällt es mir plötzlich alles wieder ein: die Glasscherben im Sand, der viele Verkehr, die grauen Herren in den Gebüschen, die giftigen Stoffe im Plastikspielzeug. Es gibt so unheimlich viele Gefahren da draußen. Und ich ertappe mich dabei, dass ich doch wie ein Adlerauge aufpasse und in Startposition stehe, um notfalls zum Sprung anzusetzen. Anscheinend ist es gar nicht so leicht, unsere Kinder wirklich einmal los- oder einfach einmal machen zu lassen.

Spielen an eingezäunten Orten

Ihr seid viel zu ängstlich und verspannt, hört man die älteren Verwandten sagen. Früher sei man ohne Reue einkaufen gegangen, während das Kind im Bettchen schlief. Größere Kinder waren stundenlang allein im Viertel unterwegs. In der Tat bewegten sich Kids vor rund 20 Jahren zumindest auf dem Land noch in einem Spielradius von bis zu 20 Kilometern. Doch das Leben mit Kind und die Umwelt haben sich verändert - erst recht in der Stadt. Es gibt mehr Verkehr, die Arbeitswege der Erwachsenen sind weiter und die meisten Kinder werden nicht mehr zuhause betreut. Erkundungstouren finden in Kitas, auf eingezäunten Spielplätzen, in Turnhallen und bei verabredeten Treffen in der Wohnung oder in Kindercafés statt.

„Es gibt eine Verinselung der Kindheit“, sagt Erziehungsexperte und Diplom-Psychologe Andreas Engel von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Kinder laufen heute nicht mehr einfach so mit. Und man lässt sie schon gar nicht mehr einfach so laufen. Ein Kind stundenlang raus zum Spielen zu schicken, zumindest in der Stadt undenkbar.

Kinder sind ein rares Gut

Auch Erziehung findet viel bewusster statt. Sich über Kinderentwicklung und Förderung zumindest grundlegende Gedanken zu machen ist heute zur Norm geworden. Dass ich mit meinem Neugeborenen zur Babymassage gehe, wird nicht mehr als esoterische Spinnerei abgetan, wenn ich Brei-Kochbücher lese, gelte ich nicht mehr als Hausmütterchen und sollte ich mir die Schulen in der Umgebung nicht genauer anschauen, werde ich sehr wahrscheinlich als nachlässig beschimpft.

Das hat viel damit zu tun, dass Elternsein heute etwas anderes ist. Es gibt weniger Kinder, die bewusster geplant sind und mehr Aufmerksamkeit bekommen. „Kinder sind ein rares Gut, sie spielen heute im emotionalen Haushalt der Eltern eine andere Rolle“, sagt Andreas Engel, „dass man sie mehr behütet, hat insofern schon seine Berechtigung“.

Ich gebe es zu, ich bin auch eine von den Müttern, die die Gefahren nur schwer vergessen können. Und ich zucke selbst bei fremden Kindern auf dem Spielplatz zusammen, wenn sie plötzlich kopfüber von der Rutsche baumeln. Der Überwachungsmodus ist schwer auszuschalten. Ich bin viel mehr Helikopter als mir lieb ist. Auf der anderen Seite kenne ich viele, die genau so sind. Man könnte sagen, der Begriff „Helikopter-Eltern“ meint heute nicht mehr unbedingt nur hyperprotektive Über-Eltern, sondern beschreibt im Grunde ein Verhalten, das viele von uns jeden Tag praktizieren.

Schadet es Kindern, wenn sie zu sehr behütet werden? Und wie kann man als Eltern den „Helikopter“ abstellen? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Doch viel wichtiger: Schadet das nun den Kindern? Beachtung und Förderung seien grundsätzliche ein Gewinn für Kinder, sagt Andreas Engel, wenn sie aber immerzu unter strenger Beobachtung ständen, könnten sie keine heimlichen Erkundungen mehr machen. Dr. Albert Wunsch, Erziehungswissenschaftler und Autor des Bestsellers „Die Verwöhnungsfalle“, sieht das sogar noch viel drastischer: Wenn man Kinder zu sehr behüte, dann würden sie in ihrer Entwicklung behindert.

Kinder müssen selbst erfahren, was sie schaffen

„Kinder gehen dorthin, wo der Kick ist, sie wollen das Leben ausprobieren“, sagt Wunsch. Wenn man ihnen altersgerechte Herausforderungen vorenthalte, kann das später zu Nichtkönnen und Versagen, zu Problemen in Beruf und Partnerschaft führen. Kinder müssten selbst erfahren, ob und wie sie etwas schaffen. Nur das gebe Selbstvertrauen. Nur dann trauten sie sich auch später, die alltäglichen Herausforderungen mutig aufzugreifen.

„Insgesamt existieren zu viele Wattepolster im Umfeld von Kindern“ sagt Albert Wunsch, „sie werden gezielt in ihrem eigenständigen Aktionsraum durch ‚das mach ich schon für Dich‘ behindert.“ In Großstädten hätten etwa 30 Prozent der zur Schule gefahrenen Kinder nur einen Schulweg von rund 800 Metern. „Auch bei auftretenden Konflikten beteiligen sich Eltern eher als Konflikt-Löser und zu selten als Lösungs-Moderatoren.“

Wie kann man den Helikopter ausschalten?

Es gilt also, das richtige Maß an Behüten zu finden. Doch wie schafft man es, den Helikopter auch mal auszuschalten? Als Eltern sollte man die Dinge nicht wegdenken, rät Albert Wunsch, sondern lernen mit ihnen umzugehen. Das bedeutet auch, eigene Ängste zu relativieren, Situationen erst einmal zu objektivieren und flexibel zu sein. Konkret heißt das, auszuprobieren, was man dem Kind zutrauen kann. Und einfach mit ihm zu testen, ob es vielleicht doch eigenständig mit dem Fahrrad zur Schule kann. Oft helfen Zwischenlösungen, dass man Hilfestellungen gibt und Situationen einübt, damit es sie schließlich doch alleine tun kann. Dann unterstütze man das Kind auf einem selbstbewussten Weg ins eigene Leben.

Es helfe auch, sich an anderen Eltern zu orientieren und Meinungen von Freunden und Verwandten anzunehmen, sagt Erziehungsberater Andreas Engel. Vor allem aber sollten Eltern auf sich hören, sich selbst kritisch hinterfragen und immer überlegen, wie es dem Kind damit geht. „Es hilft auch, sich an die eigene Kindheit zu erinnern und zu fragen, was man sich als Kind selbst gewünscht hätte in so einer Situation.“

Buchtipps:

Albert Wunsch, Die Verwöhnungsfalle: Für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit, Kösel-Verlag, 2013

Josef Kraus, Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Versöhnung, Rowohlt Verlag, 4. Auflage, 2013