Volvo - Run off Road Protection Volvo - Run off Road Protection: Schweden entwickeln Unfallschutz für Grabenunfälle

Halle (Saale) - Nach zehn Sekunden ist alles vorbei. Rein in den Straßengraben, raus, abheben und schon kracht der XC90 in eine sandige Böschung, die den Wagen abbremst. Journalisten aus aller Welt haben den simulierten Unfall auf dem Volvo-Testgelände in Göteborg (Schweden) verfolgt. Ihre Inspektion des Unfallwagens bringt dann die Bilder, die sich ein Autohersteller nach so einem Crash wünscht. Die Fenster sind heil, die Türen gehen auf, die Airbags haben ausgelöst. Nur unterhalb des Kühlers, dort wo der Zweitonner hart aufgeschlagen ist, sieht es aus wie nach einem Unfall. Die Wirkungen der eben präsentierten sicherheitstechnischen Weltneuheit aber lassen sich mit bloßem Auge nicht erkennen.
Die drei Dummies, zwei „Erwachsene, ein Kleinkind“, haben keinerlei schwere Verletzungen, versichern die Volvo-Techniker. Das lasse sich mit Messwerten belegen, die in den Monaten zuvor dutzendfach bei solchen und anderen Tests erfasst wurden. Noch nie, so die schwedischen Ingenieure, seien Menschen bei einem Unfall dieser Art so gut geschützt worden, wie im neuen XC 90, der 2015 auf den Markt kommt.
Die Weltneuheit hat natürlich einen ordentlichen englischen Namen: „Run off Road Protection“. Es geht also um den Schutz von Autofahrern, wenn sie von der Fahrbahn abkommen und im Graben landen. Das ist ein Unfallszenario, das sehr häufig vorkommt. In den USA soll das die Hälfte aller Unfälle ausmachen. Bisher gab es kaum wirksame Vorrichtungen, die die vertikalen Belastungen des Körpers dabei reduzierten.
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Volvo sagt über seine Autos, die Chance, in einem Wagen dieser Marke getötet oder schwer verletzt zu werden, sei heute um zwei Drittel geringer als 1970. Nur die Verletzungen im Brust und Lendenwirbel-/Wirbelsäulenbereich - wie sie etwa beim Abkommen von der Straße entstehen - seien in dieser Zeit nicht im gleichen Maße zurückgegangen. „Run off Road Protection“, verspricht Volvo, bringe da nun deutliche Fortschritte.
Besonders gefährdet ist bei Graben-Unfällen mit anschließender harter Landung die Wirbelsäule. Angeblich sei der Druck auf die Wirbel so groß, wie wenn sich Kampfpiloten aus ihrem Jet katapultieren müssen. Volvo hat mit dem neuen Rückhaltesystem nun versucht, diese Kräfte deutlich zu reduzieren. Genutzt wird dafür eine Kombination aus Mechanik und Elektronik. Zwischen Sitz und Sitzrahmen wurde eine energieabsorbierende Konstruktion eingefügt. Sie verformt sich bei einem Unfall und verhindert, dass vertikale Kräfte ungefiltert auf die Körper einwirken, macht den Aufprall sanfter. Die Wirbelsäule, so Volvo-Experten, soll zwei Drittel weniger belastet werden. Zudem erkennen Sensoren frühzeitig, wenn ein Abkommen von der Straße droht.
Die Gurte straffen sich noch schneller als bisher, um Passagiere in der bestmöglichen Sitzposition zu halten, wenn sie im Graben landen. In einer Zehntelsekunden werden zehn Zentimeter Gurt aufgerollt, der bleibt straff, bis das Unfallauto still steht. Gewünschter Effekt der beiden Systeme: Die Körper werden weniger heftig hin und her geworfen und gestaucht. Da nicht massenhaft Autos gecrasht werden können, wurde ein Roboter entwickelt, an dessen Arm auf einem Autositz ein mit Messtechnik gespickter Dummy sitzt. Der kann blitzschnell so stark in alle Richtungen geschleudert werden, wie bei einem Graben-Unfall.
Schlaue Autos sollen Unfälle vermeiden
Die Folgen eines Unfalls zu mildern, ist die eine Seite. Volvo will sich verstärkt auf eine andere konzentrieren, an der auch Mercedes und BMW arbeiten: „Schlaue“ Autos sollen Unfälle vermeiden. Sie erkennen selbst, wenn es eng wird. Etwa an Kreuzungen. Dafür wurde, laut Volvo weltweit erstmalig, für den neuen XC90 ein automatisches Notbremssystem für Kreuzungen entwickelt. Es bremst allein ab, wenn die Elektronik erkennt, dass der unaufmerksame Fahrer beim Abbiegen beginnt, in den Gegenverkehr zu steuern.
Ähnlich arbeitet das System (City Safety), das Fußgänger oder Radfahrer in der Stadt erkennt. Reagiert der Fahrer bei gefährlicher Annäherung nicht, bremst das Auto automatisch ab. Vergleichbare Lösungen gibt es für den Heckbereich. Insassen werden blitzschnell auf einen Aufprall von hinten vorbereitet. Gurte straffen sich, ist die Bremse aktiv, wird diese automatisch gelöst.
Solche technischen Innovationen haben bei Volvo lange Tradition. Das 1927 gegründete Unternehmen hat viele wegweisende Unfallschutzsysteme entwickelt. Am bekanntesten wohl der 1959 vorgestellte Dreipunkt-Sicherheitsgurt.
Für Neuentwicklungen hat Volvo eine stabilere Basis, seit 2010 die chinesische Geely-Gruppe Volvo kaufte. Im Jahr 2014 wurde ein Gewinn von 108,5 Millionen Euro gemacht, zuvor hatten sich Millionenverluste angehäuft. Die neuen und neu zu entwickelnden Schutzsystem sieht Volvo in einer Reihe von Entwicklungs-Vorhaben, die allesamt dazu beitragen sollen, dass ab 2020 kein Mensch mehr in einem neuen Volvo getötet oder schwer verletzt wird. Gefestigt werden soll so der Ruf, Autos zu bauen, die zu den sichersten der Welt gehören.