Unfälle Unfälle: Mit müden Augen durch die Nacht

Bonn/Regensburg/dpa. - Die Nächte auf Deutschlands Straßen haben es in sich - gerade im Winter. Denn obwohl in den dunklen Stunden eher wenige Fahrzeuge unterwegs sind, geschehen im Verhältnis zur hellen Tageszeit überproportional viele Unfälle. Gründe dafür gibt es viele: Einer der wichtigsten ist wohl, dass der Mensch an sich nicht wirklich dafür geeignet ist, in der Nacht ein Auto über die Straße zu steuern. «Einfach gesagt sind wir nachts jemand anderes als tagsüber», sagt Professor Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum der Universität Regensburg.
«Obwohl nur 20 Prozent der gesamten Fahrleistungen in der Nacht gefahren werden, geschehen nachts rund 40 Prozent der schweren Unfälle mit Personenschäden», sagt Rainer Hillgärtner, Sprecher des Auto Clubs Europa (ACE) in Stuttgart. Laut dem Statistischen Bundesamt starben im Jahr 2002 bei Unfällen bei Tageslicht 3958 Menschen im Straßenverkehr. In der Dunkelheit waren es 2484, hinzu kommen 400 Verkehrstote während der Dämmerung. Dem Deutschen Verkehrs-Sicherheitsrat (DVR) in Bonn zufolge verunglücken nachts besonders auf Landstraßen übermäßig viele Pkw-Fahrer tödlich.
Die unterschiedliche Länge der Nächte je nach Jahreszeit spiegelt sich ebenfalls in den Unfallstatistiken wieder. «Während in den Sommermonaten nur 12 Prozent aller Unfälle in der Dunkelheit geschehen, sind es im Winter bis zu 50 Prozent», so Hillgärtner.
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am nächtlichen Risiko hat das menschliche Auge. Laut dem DVR kommt es gerade bei Nachtfahrten an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Bereits geringste Sehprobleme machen sich daher in solchen Situationen bemerkbar. «Schon geringe Fehlsichtigkeit von einem Viertel bis einem halben Dioptrin wirkt sich in der Nacht stärker aus», sagt Georg Eckert, Sprecher des Berufsverbandes der Augenärzte (BVA) in Düsseldorf.
Auch ein besonderes Phänomen ist auf das Auge zurück zu führen: «Nachts wird auf Autobahnen schneller gefahren als am Tag», sagt Rainer Hessel, Geschäftsführer der Deutschen Verkehrswacht (DVW) in Meckenheim bei Bonn. Eine Ursache sei das geringere Verkehrsaufkommen. Laut Georg Eckert kommt dazu ein Seh-Problem: «Die Informationsfülle ist bei Dunkelheit für das Auge geringer.» Wenn am Straßenrand nicht viel zu erkennen ist, unterschätze das Auge die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit. Laut Rainer Hessel orientieren sich Autofahrer daher in der Nacht an den Rücklichtern anderer Fahrzeuge. «So kommt es dann eher zu Auffahrunfällen.»
Ergänzt werden die Sehprobleme von Schwierigkeiten, mit denen der menschliche Organismus ohnehin in der Nacht zu kämpfen hat. «Der Mensch unterliegt einer inneren Uhr», so Professor Zulley. «Diese Uhr bestimmt unsere Aufmerksamkeit und auch, wie viele Fehler wir machen.» Irgendwann stehe diese Uhr auf «Gute Nacht», dem Programm für Nachtruhe.
Bleibt der Mensch trotzdem wach, sinke die Leistung, die Fehlerhäufigkeit steige. Der Tiefpunkt ist laut Zulley während der «biologischen Geisterstunde» erreicht - morgens zwischen 3.00 und 4.00 Uhr. Zu dieser Zeit haben allerdings die nächtlichen Unfälle ihren Höhepunkt schon überschritten, so Rainer Hillgärtner vom ACE. «Die Unfallhäufigkeit in der Nacht erreicht ihre Spitze zwischen 24.00 und 2.00 Uhr.»
Wie gefährdet ein müder Fahrer ist, ist mittlerweile erwiesen. «Im Rahmen einer Studie in Bayern wurde ermittelt, dass 24 Prozent aller tödlichen Unfälle auf Autobahnen durch Einschlafen verursacht wurden», sagt Schlafforscher Zulley. «Nimmt man Übermüdung als Ursache dazu, kommt man auf 50 Prozent.» Und: Einschlafen am Steuer sei doppelt so gefährlich wie betrunken Auto zu fahren.
Dazu unternehmen Autofahrer wenig, um sich das Fahren in der Nacht zu erleichtern. So sind die Scheinwerfer des Autos laut Bernd Kulow vom DVR bekanntlich ein Hilfsmittel, das die Augen des Fahrers bei den Nachtfahrten unterstützt. Bei den jährlichen Lichttests werden jedoch regelmäßig bei etwa einem Drittel der geprüften Fahrzeug Mängel an der Beleuchtung festgestellt. «Die Tendenz ist derzeit leicht steigend», sagt Rainer Hessel.
Die Möglichkeiten, eine Nachtfahrt sicherer zu gestalten, beginnen schon bei vermeintlichen Kleinigkeiten. Dazu gehören laut Bernd Kulow neben gut funktionierenden und eingestellten Scheinwerfern auch saubere Scheiben. Rainer Hillgärtner weist darauf hin, dass das erlaubte Tempo auf den Straßen nicht unbedingt ausgenutzt werden sollte. «Grundsätzlich darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb des überschaubaren Bereichs angehalten werden kann.» Also in jenem Bereich, den die Scheinwerfer erhellen.
Wichtig ist laut Augenarzt Eckert, nicht aus falscher Eitelkeit auf eine Sehhilfe zu verzichten. Ein Beifahrer sollte zudem laut Jürgen Zulley die Fahrt nicht nutzen, um ein Nickerchen zu machen. «Schlafende Mitfahrer sind ein erhöhtes Risiko.» Ein Gespräch dagegen könnte den Fahrer wach halten. Ein weiterer Trick kann Kaugummi-Kauen sein, so Zulley: «So lange ich kaue, schlafe ich nicht.»