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Unfall für mehr Sicherheit Unfall für mehr Sicherheit: Crashtests sind gesetzlich vorgeschrieben

Von Thomas Geiger 06.08.2003, 13:28
Gleich wird der Maybach ausgeklinkt - beim so genannten Dachfalltest prallt das Fahrzeug aus einem halben Meter Höhe auf den Boden. Insgesamt wurden 24 Exemplare des teuren Luxusautos bei Crashtests aufgerieben. (Foto: dpa/DaimlerChrysler)
Gleich wird der Maybach ausgeklinkt - beim so genannten Dachfalltest prallt das Fahrzeug aus einem halben Meter Höhe auf den Boden. Insgesamt wurden 24 Exemplare des teuren Luxusautos bei Crashtests aufgerieben. (Foto: dpa/DaimlerChrysler) DaimlerChrysler

Alzenau/Rüsselsheim/dpa. - Autos werden immer sicherer: Vor allem Assistenzsysteme und elektronische Stabilitätsprogramme sorgen Experten zufolge dafür, dass es auf deutschen Straßen immer seltener kracht. Doch auch bei einem Unfall kommen die Autofahrer dank des Zusammenspiels extrem steifer Karosserien, deformierbarer Crashboxen, Airbags und Gurtsysteme immer häufiger mit dem Schrecken davon. Damit das funktioniert, müssen die Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer zunächst eine gewaltige Zerstörungswut an den Tag legen: Um alle Systeme aufeinander abzustimmen, sind Crashtests unverzichtbar.

Lange bevor die Serienproduktion beginnt, werden dabei millionenteure Prototypen im Dienst der Sicherheit mutwillig gegen Betonwände, verformbare Barrieren, virtuelle Laternenpfähle und andere Hindernisse katapultiert. Damit prüfen die Hersteller allerdings nicht nur, ob die Praxis des realen Unfalls hält, was die Theorie verspricht. Vielmehr erfüllen sie damit auch die Vorgaben des Gesetzgebers. Denn ohne eine bestimmte Anzahl genormter Crashtests wird neuen Fahrzeugen die Zulassung verweigert.

Mittlerweile werden zwar viele Karambolagen in der virtuellen Welt gefahren, sagt Versuchsleiter Joachim Franz von der Siemens Restraint Systems GmbH in Alzenau (Hessen). Doch auch der leistungsfähigste Computer könne den Ingenieuren lediglich den richtigen Weg weisen und die Zahl der zu untersuchenden Konstruktionsvarianten begrenzen. Hat man sich nach der Analyse von mehreren Dutzend Simulationen einmal zum Beispiel für eine Struktur am Vorderwagen entschieden, dann führe am realen Crashtest kein Weg vorbei.

Wann immer möglich, werden einzelne Komponenten zuerst in einem so genannten Schlittenversuch getestet. Dabei wird zum Beispiel nur der Airbag ausgelöst, nicht aber die Karosserie beschädigt. Spätestens aber, wenn alle Komponenten ihre Funktion unter Beweis gestellt haben, muss so manches Fahrzeug dran glauben. Mit einer mehr als 1000 PS starken Hydraulik werden sie dann etwa in Alzenau von einem Seilzug auf bis zu 125 Kilometer pro Stunde beschleunigt und gegen Hindernisse katapultiert. Und wenn der Krach berstender Scheiben verhallt ist und sich der Nebel der Airbagsprengsätze verzogen hat, wird der teure Schrott akribisch untersucht.

Wie groß der Aufwand der Sicherheitsexperten ist, belegt zum Beispiel der neue Jaguar XJ. Nach Angaben von Mark Johnson, der für das Sicherheitskonzept der Limousine verantwortlich zeichnet, wurde der Luxusliner im Lauf seiner Entwicklung mehr als 1000-mal virtuell an die Wand gefahren. Dafür haben die Briten mehr als 175 000 Stunden auf diversen Hochleistungsrechnern benötigt. Dennoch haben manche Simulationen, die in der Wirklichkeit nur wenige Sekundenbruchteile dauern, mehrere Tage in Anspruch genommen.

Dazu kamen noch einmal 156 Versuche auf dem Crashschlitten und 79 reale Totalschäden im Dienste der Sicherheit. Und dabei haben die Engländer noch kräftig gespart, weil es den XJ zwar als Rechts- oder als Linkslenker, aber nur mit wenigen Motoren und nur in einer Karosserievariante gibt. Auch laut Opel-Sprecher Manfred Daun in Rüsselsheim wiederholt sich die gesamte Prozedur, wenn sich zur Limousine ein Coupé oder ein Kombi gesellt, wenn unter die Haube ein Diesel kommt oder sich das Management für ein Cabrio entscheidet.

So addieren sich die Crashtests zum Beispiel bei Renault in Paris nach Angaben von Pressesprecher Martin Zimmermann auf bis zu 400 Großversuche im Jahr. Mitverantwortlich für den wachsenden Auftragsbestand der Crashzentren ist auch der Gesetzgeber. Denn wer sein Auto auf mehreren Märkten verkaufen möchte, muss auch verschiedene Unfallszenarien durchspielen. Insgesamt ergibt das nach Angaben von Saab für eine Baureihe allein 15 vorgeschriebene Tests.

Dabei trifft die professionelle Zerstörungswut alle Fahrzeugklassen gleichermaßen. Denn dem Gesetzgeber ist es vollkommen egal, ob ein für Millionenstückzahlen vorgesehener Kleinwagen oder ein exotischer Spitzensportler gecrasht wird. Deshalb musste zum Beispiel DaimlerChrysler bei der Entwicklung des Maybach nach eigenen Angaben 24 Exemplare der Luxuslimousine für die Sicherheit opfern.

Doch nicht nur die Hersteller nehmen die künstlichen Karambolagen vor: Auch Automobilclubs, Verbände und Fachzeitschriften wollen mit Crashtests die passive Sicherheitsausstattung objektiv bewerten. Das derzeit bedeutendste Prüfverfahren ist das European New Car Assessment Program (Euro-NCAP), das von Institutionen wie dem ADAC oder der Stiftung Warentest betrieben wird.

Dort müssen sich nach Angaben der Tester alle geprüften Neuwagen in drei unterschiedlichen Crash-Konfigurationen bewähren, bevor sie nach einem speziellen Punkteschema bis zu fünf Sterne für größtmögliche Insassensicherheit verliehen bekommen. Seit den ersten Versuchsreihen im Jahr 1997 hat der europäische Verband bereits mehr als 150 Autos getestet - doch die Zahl der Fünf-Sterne-Modelle ist gering: Bislang können sich damit lediglich Laguna, Mégane und Vel Satis von Renault, die C- und E-Klasse von Mercedes, der neue 9-3 von Saab, der Toyota Avensis sowie die vier Eurovans Citroen C8, Fiat Ulysse, Lancia Phedra und Peugeot 807 schmücken.

Karosserie im Härtetest: Obwohl die Hersteller viele Unfall-Abläufe am Computer simulieren können, geht an den Versuchen mit echten Fahrzeugen - hier BMWs Geländewagen X5 - kein Weg vorbei. (Foto: dpa/BMW)
Karosserie im Härtetest: Obwohl die Hersteller viele Unfall-Abläufe am Computer simulieren können, geht an den Versuchen mit echten Fahrzeugen - hier BMWs Geländewagen X5 - kein Weg vorbei. (Foto: dpa/BMW)
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