Tiere Tiere: Marder sind vor allem bei Autofahrern unbeliebt

Wiesbaden/dpa. - Am Morgen hatte er sie auseinem drei Monate alten VW Golf ausgebaut. An den ausgefransten Endenerkannte er gleich, wer da dem Turbolader die Luftzufuhrdurchgebissen hat: «Marderschäden haben wir im Schnitt jeden Tageinen. Ich würde sagen, dass das zunimmt. Sogar hier in derGroßstadt.» Groß ist Service-Leiter in einer WiesbadenerAutowerkstatt und hat so seine Erfahrungen: Beim Golf erwischt esregelmäßig die Unterdruckschläuche, bei Fiat-Modellen dagegen dieZündkabel. Warum? Groß zuckt mit den Achseln: «Vielleicht ist da einDuftstoff drin.»
Biss-Schäden durch Auto-Marder häufen sich jedes Frühjahr. 1978erstmals in der Schweiz festgestellt, haben sie seitdem um sichgegriffen. 2001 erreichten sie in der ADAC-Pannenstatistik ihrenvorläufigen Höhepunkt: Damals meldeten Deutschlands Werkstätten 17300 angeknabberte Zündkabel, Kühlwasserschläuche,Scheibenwaschanlagen und Achsmanschetten. Das sind zwar alles mehroder weniger Bagatellschäden - aber für viele Besitzer trotzdemärgerlich, weil die Reparaturkosten mit im Schnitt unter 200 Euromeist knapp unter der Selbstbeteiligung der meisten Kasko-Policenbleiben.
Für den neuen Unterdruckschlauch etwa wird Groß 140 bis 150 Euroberechnen. Marderschäden können aber auch erheblich teurer kommen:Groß hat schon gesehen, dass ganze Leitungsstränge der Motorsteuerungdurchgebissen waren. Da kann es fast ein Glücksfall sein, wenn derWagen nicht mehr anspringt. Bleibt ein Schaden dagegen zunächstunbemerkt, kann er sich erheblich auswachsen. Der ADAC warnt voraufgebissenen Manschetten, durch die Wasser ins Lenkgestängeeindringen oder Schmiermittel auslaufen kann: «Im Reparaturfall isthier mit hohen Folgekosten zu rechnen.» Ein vom Marderzahn angenagtesZündkerzenkabel kann sich sogar auf den Katalysator auswirken. SolcheFolgeschäden sind laut ADAC von keiner Versicherung gedeckt.
Der Urheber des ganzen Verdrusses ist kleiner als eine Katze, hatdunkelbraune Knopfaugen, ein erdfarbenes Fell mit weißer Zeichnung anBrust und Kehle sowie einen buschigen Schwanz. Der Steinmarder«Martes foina» gilt unter Biologen als Meister der Anpassung. Obst,Küchenabfälle, Mäuse, kleine Vögel - in punkto Nahrung ist derAllesfresser nicht wählerisch, und auch beim Lebensraum zeigt er sichflexibel. «Früher vorwiegend auf den dörflichen Siedlungsbereichbeschränkt, hat er sich mittlerweile selbst in Großstadtzentrenerfolgreich etabliert», schreibt der Bund für Umwelt- und NaturschutzDeutschland (Nabu).
Das bringt Konflikte mit einer anderen weit verbreiteten undmitunter reizbaren Spezies mit sich: «Tod den Mardern. Die Viechernerven tierisch», fordert ein Autobesitzer namens «Thor» in einemInternet-Forum. «Musste Zylinderkopfdichtung tauschen, da dasKühlwasser ausgelaufen ist. Rechnung: über 500 Euro», klagt «SyntaX».Auch BMW-Besitzer haben ihre Not mit den Gewohnheiten der Tiere: «Dieabsolute Härte ist die Besonderheit, dass der Marder jedes Mal genauauf den Fahrerscheibenwischer kackt und auf den Rand der Heckklappelullert und auch da noch mal das Letzte (im wahrsten Sinne desWortes) aus sich rausholt», lautet ein Eintrag.
Warum unter allen Tierarten ausgerechnet Marder eine soausgeprägte Motorleidenschaft entwickeln, haben Gießener Wildbiologenseit den 80er Jahren erforscht. Bis zu 80 Tiere tummelten sichzeitweise in ihren Gehegen. Fazit: Neugier und Jähzorn sind diewesentlichen Tatmotive. Den ersten Kontakt zum Auto findet derSteinmarder, wenn er nachts durch sein Revier streift und dort - jenach Lebensraum - auf den einen oder anderen parkenden Pkw stößt.
Stets auf der Suche nach einem Unterschlupf oder einemNahrungsdepot, schaut er sich das Objekt mal näher an -praktischerweise ist es ja von unten gut zugänglich. Angesichts dervielen Kabel und Leitungen zeigt sich dann ein spezifischerCharakterzug: Steinmarder prüfen unbekannte Gegenstände bevorzugt mitden Beißwerkzeugen. «Zuerst wird beschnuppert und dann mit den Zähnenertastet. Das ist ein typisches Steinmarder-Verhalten.»
Marderforscherin Beate Ludwig führt allerdings nur den kleinerenTeil der Schäden auf solches Erkundungsverhalten zurück. Hauptursachesind nach ihrer Erfahrung die Duftspuren, die der Marder am Autohinterlässt. Die Sache eskaliert, wenn das Auto irgendwann mal ineinem anderen Revier parkt und der dortige Marder den Konkurrentenwittert: «Wenn es nach einem Fremdmarder riecht, wird es kritisch.Das Revier ist seine Lebensgrundlage, und die verteidigt er bis aufsBlut.» Da er den Eindringling aber nicht persönlich stellen kann,kühlt er seinen Zorn an dem, was er unter der Motorhaube sovorfindet: «Die Aggression wird abreagiert.»
Zum Abschluss hinterlässt er noch seine Duftmarke - undkontrolliert beim nächsten Mal besonders genau auf etwaigeFremdgerüche. «Mir haben schon viele Leute erzählt, dass Mardergezielt die Autos ablaufen», sagt Ludwig.
So erklärt sich, dass es oft nicht bei einem einzelnen Biss-Schaden bleibt: Beim Wiesbadener Golf-Fahrer Rolf S. beispielsweiseblinkte eines Tages das rote Lämpchen im Tacho. Als er anhielt, wardas Kühlwasser ausgelaufen. Eine Woche nach der Reparatur blinkte dasLämpchen wieder - und wieder blieb die Rechnung knapp unter derSelbstbeteiligung. «Ich hab mich kaputt geärgert», erzählt S.. Kurzdarauf durfte er sich wieder ärgern: «Derselbe Schlauch, dieselbeStelle.» Seit seinem Umzug hat er jedoch keinen Marderbesuch mehrbemerkt. «Es ist typisch, dass so etwas lokal auftritt», sagt Ludwig.
Die Wildbiologin kann auch erklären, warum solche Zwischenfälleerst seit Ende der 70er Jahre auftreten. Erstens war der Steinmarderfrüher wegen seines Fells fast ausgerottet; heute gibt es ihn dagegenwieder flächendeckend. Zweitens haben sich auch die Autos vermehrt,und zwar stärker als die Garagen: «Autos, die über Nacht amStraßenrand parkten, gab's ja in den 50er Jahren gar nicht», sagt dieBiologin. «Dritter Punkt: Die Autos sind mardergeeignet geworden.»Ihre Konstrukteure haben immer größere Motoren und immer mehrZusatzaggregate unter die Motorhaube gepackt: «Der Marder sucht jaeinen möglichst engen Unterschlupf.»
Findige Hersteller haben längst allerlei Abwehr-Geräte im Angebot:Manche funktionieren mit Ultraschalltönen, andere versetzenStromschläge. Außerdem gibt es Duftsprays mit so sprechenden Namenwie «Marderschreck». Mardergeschädigte propagieren Hausmittelchen wieHundehaare und Toilettensteine oder sogar noch rauere Methoden: «Mannehme ein Ei und tue ein gutes Gift rein. Marder mögen Eier sehrgerne. Bei gutem Gift liegt der Marder am nächsten Tag auf demRücken», heißt es in einem Internet-Forum. Allerdings riskiert mandamit Behördenärger: Steinmarder unterliegen dem Jagdrecht, wer ihnennachstellt, braucht einen Schein.
Andreas Groß hat einige Mittel ausprobiert. Seiner Mutter, derenWagen regelmäßig Besuch von Mardern bekam, baute er zuerst einenDuftspender ein: «Das ging vier Monate gut, dann waren wiederSchläuche kaputt.» Dann probierte er es mit einem Ultraschallgerät.Das half immerhin ein halbes Jahr. Dann gab ein Nachbar den Tipp,beim Parken Hasendraht unter den Motorraum zu legen. «Das war voranderthalb Jahren. Seitdem ist Ruhe.»
Auf solche Drahtgitter schwören viele Autofahrer. Angeblich setztder Marder seine Pfoten ungern auf Draht. Im Auftrag vonAutoherstellern und Zulieferern haben sich auch die Gießener Forschermit Fragen der Marder-Verteidigung befasst. Mit ihrer zentralenErkenntnis verrät Ludwig allerdings kein Geheimnis: «Eine Garage istdas Beste.» Als zweitbestes Mittel haben sich Hochspannungsgeräteerwiesen, die - wie ein Weidezaun - schmerzhafte Stromschlägeausteilen. Versandhändler verkaufen sie für etwas über 100 Euro.
Selbsteingebaute Vorrichtungen funktionierten jedoch oft nicht,sagt Ludwig: «Weil man dem Marder meist doch irgendwo ein Schlupflochlässt.» Abwehren lassen sich die Tiere nach Erfahrung der Biologinauch billiger. Wer nicht über regelmäßige Besuche zu klagen hat, isthöchstens gefährdet, wenn er sein Auto an einem fremden Platz überNacht parkt. «Da reicht es schon, etwas unter das Auto zu legen, wasder Marder nicht kennt.»
Ob Besen oder Hasendraht, ist nach ihren Forschungen egal. Abeiner gewissen Mindestgröße - die etwa bei den Abmessungen einerHauskatze liegt - geht der Marder auf Distanz: «Die sind sehrvorsichtig. Etwas Unbekanntes meiden sie erst einmal.» Ewig hält derEffekt jedoch nicht vor. Nach einiger Zeit siegt die Neugier:«Irgendwann traut er sich.»
Gefährdet sind dann vor allem Kabel, die quer durch den Motorraumverlaufen. Was sich eng an den Wänden hält, hat dagegen gute Chancen,den Bissen zu entgehen. Einen Marderbesuch muss man aber nichtunbedingt an zerfetzten Kabeln bemerken: Trockene Brotreste, Eier,tote Beutetiere oder einfach nur Fußspuren verraten, dass eins derTiere den jeweiligen Motorraum als Teil seines Reviers betrachtet. Insolchen Fällen empfiehlt Beate Ludwig eine Motorwäsche, um alleDuftspuren zu tilgen und keine Artgenossen zu provozieren.