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Tarnen und Testen: Erlkönige vor Entdeckung schützen

Von Thomas Geiger 07.04.2009, 08:01

Arjeplog/dpa. - Sie sind die Stars der Autoszene: Nicht Supersportwagen oder Designstudien finden bei PS-Fans die größte Beachtung, sondern die «Erlkönige». Schließlich sind diese Prototypen die Vorboten neuer Modelle, die oft erst in zwei bis drei Jahren zu den Händlern kommen.

Kein Wunder also, dass da bei neugierigen Amateuren und den Fotografen von Fachpresse und Konkurrenz bisweilen der Jagdinstinkt erwacht. «Der natürliche Feind des Prototypen ist der PS-Paparazzi», sagt Peter Gyllenberg, der in Arjeplog (Schweden) ein Testcenter betreibt und jeden Winter für die Erlkönige Hof hält.

Warum die Hersteller so ein Geheimnis machen? «Weil wir nicht vorzeitig alle Trümpfe eines neuen Modells ausspielen wollen», sagt Cheftarner Ludwig Mann aus der Opel-Entwicklung in Rüsselsheim. Außerdem müsse man bisweilen auf den Abverkauf der aktuellen Generation Rücksicht nehmen und dürfe deshalb nicht zu früh von den Vorzügen des Nachfolgers sprechen, pflichtet ihm Falko Mayer bei, der bei Audi in Ingolstadt den Bau von Prototypen verantwortet.

Weil jedoch nicht alle Tests in den geheimen Entwicklungszentren absolviert werden können, müssen die Erlkönige spätestens zwei Jahre vor dem Serienstart auch in die freie Wildbahn - und schützen sich dort mit einem speziellen Tarnkleid. Dicke Folien, wie sie laut Opel-Entwickler Mann in Grün oder Blau auch die Polizei verwendet, sollen das Inkognito wahren. Nur mit den Aufklebern ist es aber nicht getan, sagt Michael Harder, der ein halbes Jahr vor der Premiere des neuen Opel Astra gerade die letzten Runden am Polarkreis dreht: Alle wichtigen Konturen werden mit Schaumstoffpolstern kaschiert, Fensterlinien unkenntlich gemacht und Scheinwerfer überklebt. Sogar die Spiegelkappen werden modifiziert und mit Bändern beklebt.

Vor allem bei Fahrzeugen mit auffälligen Karosseriemerkmalen greifen die Tarner in die Trickkiste, sagt Timo Göbel, der die Entwicklung des neuen BMW Z4 geleitet hat. «Um die Konkurrenz möglichst lange über den Wechsel vom Stoff- auf ein Metalldach im Unklaren zu lassen, haben wir besonders das Verdeck des Roadsters unkenntlich gemacht.» Dazu dienten Kunststoffplanken und bunte Folien.

Früher waren Tarnfolien einfach mattschwarz. Doch mit der wachsenden Leistungsfähigkeit elektronischer Bildbearbeitungsprogramme und der besseren Auflösung von Digitalkameras mussten sich die Entwickler immer mehr einfallen lassen. «So kamen wir auf das schwarz-weiß karierte Rautenmuster auf den aktuellen Prototypen», sagt Opel-Entwickler Harder, der seinen Astra deshalb «Streifenhörnchen» nennt. Bei BMW wurde dafür eigens eine Diplomarbeit ausgeschrieben. Das Ergebnis ist ein Muster, das an Hippie-Kunst im Drogenrausch erinnert: Prototypen wie der X1 sind über und über mit psychedelischen Kringeln beklebt.

Bei ihrer Arbeit mit den Erlkönigen sind Testfahrer oft nicht zu beneiden. Zwar fahren sie stets die neuesten Boliden. Doch zwingt sie die berufsmäßige Neugier ihrer Beobachter zu ausgesprochen unkommoden Arbeitszeiten. «Um die Gefahr der Enttarnung möglichst gering zu halten, gilt für Fahrten in freier Wildbahn oft ein striktes Nachtfahrgebot», sagt Audi-Entwickler Mayer. Wenn die Kollegen Feierabend machen, startet er zur nächsten Testfahrt.