1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Auto
  6. >
  7. Reifen: Reifen: Auf Höchstleistung getrimmt

Reifen Reifen: Auf Höchstleistung getrimmt

25.11.2003, 10:39
Fast so teuer wie ein Kleinwagen: Ein Satz maßgeschneiderte Reifen für Sportwagen wie den Carrera GT schlägt mit mehreren Tausend Euro zu Buche. (Foto: dpa)
Fast so teuer wie ein Kleinwagen: Ein Satz maßgeschneiderte Reifen für Sportwagen wie den Carrera GT schlägt mit mehreren Tausend Euro zu Buche. (Foto: dpa) Porsche

Karlsruhe/Köln/dpa. - Mit Autofahrern ist es wie mit Leichtathleten: Wer mit ernsthaften Absichten zum 100-Meter-Lauf startet, der begnügt sich nicht mit beliebigen Turnschuhen, sondern greift selbstverständlich zu federleichten Spezialanfertigungen mit Spikes an der Sohle. Aus demselben Grund fahren auch ein VW Golf und ein Porsche 911 nicht auf den gleichen Reifen. Weil die Anforderungen verschieden sind, hat die Reifenindustrie für besonders sportliche Fahrzeuge seit je her spezielles «Schuhwerk» im Programm.

Auf die Spitze getrieben haben die Hersteller diese Entwicklung jetzt für die neuen Supersportwagen vom Schlage des Porsche Carrera GT, des Ferrari Enzo und des Mercedes SLR, die allesamt mit maßgeschneiderten Spezialreifen bestückt sind. Angesichts der hohen Leistung und der kleinen Stückzahlen verläuft der Entwicklungsprozess für solche Reifen ganz anders als bei konventionellen Aufträgen, sagt Michelin-Sprecher Jan Hennen in Karlsruhe. Sein Unternehmen liefert exklusiv die Reifen für den Porsche Carrera GT und wird auch den neuen Bugatti EB 16.4 bestücken.

Während die Reifenhersteller bei konventionellen Fahrzeugen erst sehr spät ein so genanntes Lastenheft mit strikten Leistungsvorgaben des Automobilherstellers erhalten, seien die Ingenieure bei sportlichen Projekten quasi schon bei der ersten Testfahrt dabei, um gemeinsam die Kriterien für Fahrwerk und Reifen festzulegen, sagt Hennen.

In aller Regel werden solche Reifen dann nach Angaben von Christian Fischer, Sprecher von Goodyear in Köln, deutlich breiter und bekommen einen viel niedrigeren Querschnitt. Weil sie außerdem sehr viel größeren Fliehkräften ausgesetzt sind, werden sie von zusätzlichen Abdecklagen besonders stramm in Form gehalten.

Am Ende eines solchen Entwicklungsprozesses steht dann etwa für den 450 kW/612 PS starken und mehr als 300 Stundenkilometer (km/h) schnellen Carrera GT laut Michelin-Sprecher Hennen eine ganz spezielle, in neuen Dimensionen gefertigte Version des High-Performance-Reifens Pilot Sport 2. Diese arbeitet erstmals mit zwei unterschiedlichen Gummimischungen auf der Lauffläche - für optimalen Grip bei trockener Fahrbahn und gefahrloses Handling auf nassen Pisten. Allerdings gibt es diesen Kunstgriff nicht zum Nulltarif. Während ein normaler Sportreifen noch für ein paar 100 Euro zu haben ist, wird ein Satz für den Carrera GT laut Hennen gleich einige 1000 Euro kosten.

Ebenfalls auf Reifen mit zwei Gesichtern fährt der neue Ferrari Enzo, der exklusiv von Formel-1-Partner Bridgestone bestückt wird. Damit der sportlichste aller Straßen-Ferraris auch jenseits von 350 km/h noch sicher auf der Straße haftet, wurde der «PotenzeRE 050 Scuderia» entwickelt, der laut Pressesprecher Cornelius Blanke mit einer asymmetrischen Profilgestaltung aufwartet: So gibt es außen spezielle Profilblöcke für eine hohe Seitensteifigkeit auch in schnellen Kurven, während innen speziell geformte Rinnen das Regenwasser ableiten und das Aquaplaning-Risiko minimieren sollen.

Zwar können die Reifenhersteller bei der Entwicklung ihrer sportlichen Top-Modelle stark von den Erfahrungen etwa in der Formel 1 profitieren, doch gehen die Anforderungen an die Serienreifen nach Angaben von Blanke noch weiter. Denn während Schumi & Co für jedes Wetter den richtigen Reifen in der Box haben, müssen die Pneus in der realen Welt bei Regen ebenso wie bei Trockenheit einen möglichst perfekten Kraftschluss garantieren. Und selbst wenn der Besitzer eines Supersportwagens nicht am Hungertuch nagen dürfte, will ihm die Industrie nicht alle 200 Kilometer einen Reifenwechsel zumuten – 30 000 Kilometer und mehr sollten die Gummis schon halten.

Einen ganz so großen Aufwand können sportlich orientierte «Otto-Normal-Fahrer» nicht treiben. Doch auch ihnen raten die der Reifenhersteller zu erhöhter Vor- und Umsicht. Zwar profitiert laut Jan Hennen auch der Besitzer eines Golf GTI beim Kauf seiner nächsten Reifen vom Wissensgewinn bei der Entwicklung der Hochleistungs-Gummis. Doch aus der Eigenverantwortung werde man damit nicht entlassen. Die regelmäßige Kontrolle des Luftdrucks müsse deshalb selbstverständlich sein. Und auch der kritische Blick auf die Profiltiefe sollte zur Gewohnheit werden.

Außerdem müsse sich jeder Autofahrer darüber im Klaren sein, dass etwa beim Parken am Bordstein wiederholt gequetschte Reifenflanken später zu gefährlichen Pannen führen könnten. Und wer es tatsächlich auf sportliche Höchstleistungen anlegt und etwa zu schnellen Runden auf dem Nürburgring startet, der sollte seine Leidenschaft lieber nach als vor dem nächsten Reifenwechsel ausleben.