Fahrtraining Fahrtraining: Der Langsamste gewinnt
Halle/MZ. - Hier kann man lernen, wie sich ein Motorrad möglichst sicher fahren lässt. Das Du geht den Teilnehmern des Fahrsicherheits-Trainings leicht über die Lippen. Die meisten sind Urlauber im Robinson Club Cala Serena, wo das Duzen der Gäste zur Marken-Philosophie gehört.
Auf dem Clubgelände hilft Harley-Davidson vor allem so genannten Wiedereinsteigern auf die Sprünge. Das sind Menschen, die teilweise vor Jahrzehnten die Motorradfahrerlaubnis gemacht haben, aber seither nicht mehr gefahren sind. Majk Faust, ein ehemaliger Basketballprofi, ist der Chef dieser Academy. Eine zweite gibt es von April bis Oktober im Robinson Club Fleesensee (Mecklenburg). Die Academy, das ist auf Mallorca ganzjährig ein Asphaltplatz zwischen Tennisplätzen und der Rad-Mietstation des Clubs.
Claudius, mit 39 Jahren der Youngster unter den Teilnehmern, bringt es auf den Punkt, als er sich hier vorstellt: Er wolle die "Basics" lernen, gibt der deutsche Investmentbanker aus London sein Kursziel an. Der Mann für die Basics ist Holger. Er betreibt in Frankfurt am Main eine Fahrschule und arbeitet einen Teil des Jahres hier als Fahrsicherheits-Trainer. Das macht der 43-Jährige aber auch in Deutschland. Dort bringt er im ADAC-Fahrsicherheits-Zentrum Rhein-Main Leuten bei, wie man sich verhält, wenn man in Grenzbereiche der Fahrphysik gerät.
Die Herren in seinem Kurs suchen indes keinen Adrenalin-Stoß außer der Reihe, sondern Freiheit und Entspannung auf zwei Rädern. Die meisten der zehn Teilnehmer haben die 50 deutlich überschritten. Wie Jörg, der Pilot, der es mit 66 noch mal wissen will. Jahrelang ist er mit Phantom-Jägern weit jenseits der Schallgeschwindigkeit geflogen. Seine beiden Söhne haben den Luftwaffen-Oberst zu einer Motorradtour durch Kalifornien überredet, nächstes Jahr. Dafür trainiert er und probiert, welche Harley am besten zu ihm passt, denn hier stehen die neuesten Modelle. Walter I aus Hamburg - nicht zu verwechseln mit Walter II aus Schwarzach in Bayern - ist einfach zum Spaß hier. Seine Klienten haben den Steuerberater bang verabschiedet: Fahren Sie ja vorsichtig! Walter II hat jahrelang Autos eines Kölner Produzenten verkauft. Nun unterhält er eine Freie Werkstatt, macht lange Radtouren, taucht in aller Welt. Jetzt wird er Biker.
Damir, der Unternehmensberater, hat den Kurs von seiner Frau geschenkt bekommen und auch bei Norbert aus Remagen drängte Frau Ursula den Verkaufsdirektor einer Bausparkasse. Nun ist er 62 und will mit seiner Ursula als Sozia los- brettern. Die guckt zu, wie er sich hier anstellt. Als ihr Mann im Academy-Fragebogen auf die Position "Herzschrittmacher ja / nein?" trifft, macht er erleichtert sein Kreuz bei Nein. Dann hat Holger an diesem glutheißen Tag seinen ersten Auftritt als Moderator. Er gibt die ADAC-Marschrichtung vor. Erstens erklären, zweitens probieren, drittens analysieren, viertens trainieren, bis die Basics halbwegs sitzen. Sechs Stunden lang redet er sich in Hochform. Im Fernsehen würde er als Entertainer durchgehen. Die Arme und Hände stehen nie still beim Erklären. Und Zeit für Biker-Witze hat er auch, aber die sind nicht zitierfähig.
Alle, die sich schon schwungvoll umhercruisen sehen, bremst Holger erst mal. Als erstes wird langsames Fahren geübt, das sei "der schwierigste Zustand beim Fahren". Zu schnell, zu schnell, brüllt Holger immer wieder über den Platz. Dann referiert er über Fahrphysik und Psychologie, über technische und individuelle Grenzen.
Und wieder los. Enge Kurven im Schritttempo. Kritisch blickt Holger auf so manche wackelige Fuhre. Dann erwischt es den Norbert. Der Bauspar-Experte fällt um, bei Schritttempo in der Kurve. Nichts passiert. "Das war kein Sturz", verteidigt ihn seine Ursula, "das war nur ein Umfaller", der einzige an diesem Tag. Denn langsam gewöhnen sich die Aspiranten an sechs Zentner Eisen. Holger reicht das noch nicht. "Schneckenrennen!", verkündet er. "Es gewinnt, wer zuletzt über die Ziellinie fährt!"
Nicht gefällt ihm, dass alle Fahrer krampfhaft auf den Lenker schauen. Er ruft die Harley-Lehrlinge zu sich, die greifen zu Handtüchern und Wasserflaschen - 45 Grad in der Sonne. "Weit nach vorn gucken! Ihr müsst mit dem Blick durch die Kurve fahren, das schafft Sicherheit und Eleganz!" Also: Üben, jetzt das mit dem weiten Blick. Den brauchen die Kursteilnehmer spätestens am Abend. Dann lockt die erste Ausfahrt mit Majk. Der 39-jährige Chef führt hier die Touren. Tags darauf geht er mit den Academy-Bikern auf eine 160 km-Schleife über die Sonneninsel. Schaffen das alle? Klar, sagt Holger, schließlich wollen die Teilnehmer für ihr vieles Geld auch Erfolg haben. Den müsse er garantieren. 599 Euro zahlt man für einen Drei-Tage-Kurs (ohne Übernachtung und Anreise), Ausrüstung, Sprit, Lehrstunden sind inklusive.
Holger bleibt unzufrieden. "Ihr müsstet mal eure Gesichter sehen! Wer die Zähne fletscht, ist verkrampft. Mund zu, entspannen!" Singen oder Kaufgummi kauen soll helfen. "Mit entspanntem Unterkiefer fährt man sicherer!" Jetzt also wird "der Unterkiefer" geübt, nur dann "könnt ihr mit der B-Note 10 beim Eiscafé einschwenken!"
Der Norbert schwenkt erst mal bei seiner Ursula ein, die ihm den Schweiß vom Gesicht wischt. Dann sitzt sie auf, mitfahren darf sie nicht. Holger hat auch hier Tipps: "Prüft aber vor dem Kauf eines Motorrades, ob die Arme der Sozia noch um euren Bauch reichen!" Behörden-Mann Michael wirft einen selbstkritischen Blick nach unten.
Holger predigt die Basics, führt Fahrfehler vor, dass einem der Atem stockt, zeigt dann, wie es richtig geht. Und weiter! Oberschenkel fest an den Tank - gut so Walter I! Mit dem Lenker in die Kurve drücken - noch beherzter, Damir! Enge Kurven immer mit der Hinterradbremse angehen - Jörg!
Kupplung schleifen lassen sei bei langsamen Kurven kein Übel, schreit der ADAC-Mann über den Platz und sorgt für neue Trainingsrunden. Lässt üben, wie man ohne Ruckeln Slalom fährt, wie man einem Hindernis ausweicht, ohne zu bremsen. Ab 70 km / h werde das auch für Könner schwierig. Dann lieber Bremsen, schärft Holger ein. "Und immer mit der Schlafmützigkeit der anderen rechnen!"
Nach drei Stunden werden die ersten übermütig. Sie bremsen zu hart, liegen zu schräg, geben zu viel Gas. Walter II schlägt Funken mit den Fußrasten, weil er gar zu schwungvoll "Ausweichen von Hindernissen" übt. Mehr Mut, ruft Holger indes dem Claudius zu, und aus der Ferne ist Ursula unüberhörbar: "Super, Norbert!"