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Die Entdeckung der Einfachheit: Der Kult um Hollandräder

Von Christoph Walter 24.07.2012, 07:18

Kelkheim/dpa. - Neben modernen Alu-Rädern wirken Hollandräder ziemlich überholt. Ihr Stahlrahmen wiegt schwer, die Ausstattung ist dürftig. Dennoch kommt der Modellklassiker offenbar nie aus der Mode. Aber was bewegt Menschen heute noch, ein Hollandrad zu fahren?

Die Landschaft muss nur platt genug sein, dann sieht man sie an jeder Ecke. Städte und Dörfer in der Nordhälfte Deutschlands sind voll davon. Die Rede ist von Hollandrädern. Sie trotzen jedem Techniktrend: In der Ära der Alu-Räder halten sich die Stahl-Velos wacker und werden auch im anbrechenden Karbon-Zeitalter nicht von der Bildfläche verschwinden. Aber wie lässt sich die scheinbar ewig währende Liebe zu den schweren Zweiradklassikern erklären - in einer Welt, in der sich alles immer schneller dreht?

Für Andreas Steinle, Trendforscher und Chef des Zukunftsinstituts im hessischen Kelkheim, liegt eine der Antworten auf diese Frage im besonderen Lebensgefühl, das Hollandräder vermitteln: «Sie stehen für die Genusskultur des Radfahrens.» Denn mit einem Hollandrad rast man nicht, damit rollt man. Bei 20 Kilogramm Gewicht und einer Schaltung mit maximal sieben Gängen bleibt dem Fahrer auch gar nichts anderes übrig. Und genau dieser Gegenpol zur dauergehetzten Gesellschaft macht im Moment den Reiz von Hollandrädern aus, glaubt Steinle.

«Entschleunigung ist derzeit ein riesiges Thema in vielen Lebensbereichen», erklärt der Forscher. Steinle fährt selbst ein Hollandrad. Sein erstes Exemplar kaufte er Anfang der 90er Jahre - nicht um sein damaliges Studentenleben in Berlin zu entschleunigen, sondern weil er «als sehr nostalgischer Mensch schon immer die alten Dinge geliebt» hat. Eine Leidenschaft, die Steinle mit vielen anderen Menschen teilt. Und die ihn wie viele andere dazu bewegt, heutzutage ein Hollandrad zu fahren.

Das Schöne an den klassischen Hollandrädern aus der aktuellen Produktpalette von Traditionsherstellern wie Gazelle, Batavus, Sparta oder Union ist, dass es sich dabei im Grunde genommen um fabrikneue Oldtimer handelt und nicht um modische Retro-Kopien. Details wie Beleuchtung, Bremsen und Schaltung sind zwar mit der Zeit gereift, doch an der ursprünglichen Form halten die Hersteller seit fast einem Jahrhundert fest.

Typisch für das Damenmodell ist der Doppelrohrrahmen aus Stahl mit geradem Unterrohr und gebogenem Oberrohr - der sogenannte Schwanenhals -, die Ausführungen für den Herren haben einen Diamantrahmen. Klassische Hollandräder verfügen zudem über einen geschlossenen Kettenkasten und Seitenverkleidungen am Hinterrad (Rockschoner), einen feudal gefederten Sattel, einen Gepäckträger mit Spanngummis und einen gebogenen Lenker.

Viel mehr brauchte ein Hollandrad nie und braucht es auch heute nicht. «Das Hollandrad ist die Quintessenz des Alltagsrads in der Fahrradkultur - einfach und funktional», erklärt Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad. «Konzept und Design des Hollandrads sind in sich stimmig und schlüssig. Insofern ist es ein nahezu perfektes Fahrrad.» Ein unkomplizierter Begleiter in einer komplizierten Welt. «Immer mehr Menschen nutzen für Kurzstrecken das Fahrrad und wollen dafür ein stinknormales Modell», sagt Stephan Schreyer vom Zweirad-Industrie-Verband. Diesem Wunsch wird ein Hollandrad natürlich gerecht wie kaum ein anderes.

Sicherlich sind Hollandräder altmodisch. Aber sie besitzen Tugenden, die Fans auch morgen noch schätzen werden - allen voran die kerzengerade Sitzhaltung: «Auf einem Hollandrad radelt man aufrecht durchs Leben», sagt Heiko Hass, Inhaber eines Fachgeschäfts in Berlin-Kreuzberg, das schon lange auf Hollandräder spezialisiert ist.

Praktische Details seien der tiefe Durchstieg der Damenmodelle, der das Aufsteigen erleichtert, sowie der Kettenkasten und die Rockschoner: «Die Schuhe bleiben sauber, die Hose klemmt nicht in der Kette ein. Man kann sich auf ein Hollandrad auch im Business-Anzug einfach draufsetzen und muss sich um sein Outfit keine Sorgen machen», betont Hass. Das hohe Gewicht ist fraglos ein Manko, wenn man bergauf strampeln oder das Rad durchs Treppenhaus schleppen muss, räumt er ein. «Einmal in Schwung gekommen, rollt ein Hollandrad dafür auf ebener Strecke fast wie von selbst.»

Für die Modellklassiker der niederländischen Traditionshersteller sind aktuell mindestens 500 Euro fällig. «Stimmt die Qualität», sagt Hass, «bleibt ein Hollandrad seinem Besitzer dafür bei guter Pflege locker 10 bis 20 Jahre treu.»