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Chevrolet Camaro: Mythos mit Muskeln

14.10.2009, 07:19

Hamburg/dpa. - Was für deutsche Heißsporne am Lenkrad VW Scirocco, Ford Capri oder Opel Manta waren, sind für Amerikaner Ford Mustang, Dodge Challenger und Chevrolet Camaro.

Ohne Importeur auf die «German Autobahn»

Und während die Breitensportler bei uns irgendwann in der Versenkung verschwanden, haben die US-Hersteller ihren «Muscle Cars» die Treue gehalten. Mustang & Co. sind dabei längst kein US-Phänomen mehr. Weil auch diesseits des Atlantiks genügend Fans Cola trinken, Burger essen und vom «American Way of Drive» träumen, stehen die Sportler bei Spezialisten in Europa hoch im Kurs. Allerdings gab es sie bislang nur bei freien Importeuren. Chevrolet will das bald ändern: Nachdem der neue Camaro in den USA sensationell eingeschlagen hat, soll der Mythos mit Muskeln nächstes Jahr auch die «German Autobahn» stürmen.

Stark und schnell - aber leider nur geradeaus

Ohne aufwendige Anpassung könnte das allerdings schwer werden. Denn leider ist der Camaro im Guten wie im Schlechten ein durch und durch amerikanisches Auto. Auf der Geraden fährt er schnell und sportlich, weil schon der kleinste Motor 3,6 Liter Hubraum hat, auf 227 kW/304 PS kommt und die optionale Sechsstufen-Automatik das maximale Drehmoment von 370 Nm nicht komplett aufzehrt, bevor es an der Hinterachse ankommt. Mit dem Feingefühl eines Dampfhammers schnellt das Coupé deshalb in 6,3 Sekunden auf Tempo 100 und ist schon wenig später schneller, als zumindest in Amerika die Polizei erlaubt.

In Kurven macht jeder Passat Diesel mehr Spaß

Doch dummerweise geht selbst die längste Gerade einmal zu Ende. Und mit ihr das dynamische Fahrgefühl. Denn die Lenkung ist viel zu unbestimmt für einen scharfen Ritt auf der Ideallinie, das Fahrwerk stöhnt und ächzt auf Querfugen und stößt bei engen Kurvenradien schnell an seine Grenzen - jeder Passat Diesel macht da mehr Spaß. So gar nicht zu den üblichen Vorurteilen passen will dagegen der Verbrauch - nicht umsonst hat Chevrolet dem Camaro einen Direkteinspritzer spendiert. So ist der Wagen in der US-Norm mit 10,9 Litern zufrieden und im Land der Pick-ups fast schon ein Vorbild.

Lange Haube, breite Hüften, dicke Muskeln

Vorbildlich ist auch das Design, das den Camaro zum absoluten Blickfang macht. Nachdem die letzte Generation des Klassikers in die formale Belanglosigkeit abgedriftet war, hat sich General Motors gerade noch rechtzeitig an das Original von 1966 erinnert. Mit dem Blick zurück, aber ohne echte Retro-Elemente haben die Amerikaner dem knapp fünf Meter langen Coupé wieder den nötigen Charakter gegeben. Lange Haube, breite Hüften, böser Blick und dicke Muskeln - das zieht auch heute noch. Wo immer der Wagen auftaucht, weckt er deshalb die Neugier der Passanten.

Die Verarbeitung ist fragwürdig

Allzu genau anschauen sollten sie den neu aufgelegten Klassiker allerdings nicht. Denn die Verarbeitungsqualität ist höflich formuliert fragwürdig. Die Spaltmaße sind mal so eng, dass man um den Lack fürchten muss, und dann wieder so weit, dass man gelbe Autos auch als Briefkasten nutzen könnte. Und wenn der Kofferraum zufällt, zittern Heckschürze und Rücklichter wie Wackelpudding.

Innen schrecken graue Kunststoffwüsten

Leider ist es beim Interieur kaum besser: Dass die Kopffreiheit bescheiden ist und auf der Rückbank allenfalls Kinder kauern können, stört bei einem Sportwagen keinen. Doch graue Kunststoffwüsten, grünstichige Anzeigen und schlechtes Kunstleder würde man nicht einmal bei Playmobil durchgehen lassen. Dabei hätte der Innenraum durchaus das Zeug zum Schönheitssalon, weil das Cockpit ebenso wie die Zusatzinstrumente auf dem Mitteltunnel eine faszinierende Form haben, wie man sie seit den 70er Jahren nirgends mehr sehen konnte.

Der Preis ist heiß - zumindest auf dem Papier

Ein wenig relativiert wird die harsche Kritik freilich beim Blick auf den Preis: Gerade einmal 23 000 Dollar (umgerechnet rund 16 206 Euro) verlangen die Amerikaner für das Basismodell und nur 34 225 Dollar (etwa 24 116 Euro) für das Flaggschiff mit einem 6,2 Liter großen und 318 kW/426 PS starken V8-Motor. Für weniger Geld als man in den USA zum Beispiel für einen VW Passat zahlen muss, gibt es so die Leistungsdaten eines Porsche 911 - zumindest auf dem Papier. Das stimmt einen dann wieder versöhnlich. Doch die Erfahrung zeigt, dass sich solche Kampfpreise im Export kaum halten lassen, so dass der Camaro bei uns wohl je nach Motor und Ausstattung zwischen 32 000 und 45 000 Euro kosten dürfte - und bei solchen Preisen wird es um die Nachsicht der Kunden nicht sonderlich gut bestellt sein.

Fazit: Fesselndes Design ist zu wenig

So faszinierend der Camaro auch sein mag, und so viel Historie in diesem Modell auch mitfährt, ist ein fesselndes Design für dauerhaften Erfolg zu wenig. Legenden brauchen Liebe - sonst ist es mit dem Mythos schnell vorbei.