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BMW R 1200 RT BMW R 1200 RT: Mit dem Reisedampfer auf die Insel

Von Hans-Ulrich Köhler 04.07.2008, 14:29

Halle/MZ. - Nun sagt das Motorrad keinen Mucks.

KILOMETER 0 "Check EWS" blinkt mir stattdessen das Display entgegen - die elektronische Wegfahrsperre spielt verrückt. Die braucht eine intakte Ringantenne, ein federleichtes, rundes Teil, das das Zündschloss umschließt, wie ich gelernt habe. Der Service-Mann von BMW hat den Übeltäter verdächtig schnell (geht das Teil etwa öfter kaputt?) ausfindig gemacht, neu bestellt und tags darauf eingebaut. Das war es dann aber auch mit Macken für die nächsten 4 630 Kilometer von Halle bis an Mallorcas Ostküste - und zurück.

KILOMETER 513 Beim Autobahnkreuz Walldorf ist die Rheinebene erreicht, nun geht es auf der A 5 gen Süden. Nach reichlich vier Stunden Fahrt habe ich die 1200 RT bereits als Reisedampfer schätzen gelernt. Das liegt weniger an ihren 110 PS, die sie aus 1 200 Kubik Hubraum zieht, sondern vor allem an Fahrkomfort und Straßenlage. Die Autobahn ist frei an diesem Sonnabend. Ich kann die Tachonadel um die 160 km / h pendeln lassen. Mit stoischer Ruhe liegt die Fünf-Zentner-Maschine auf der Piste. Dafür sorgt die aufwendige Fahrwerkskonstruktion, deren beiden Hauptbestandteile BMW Paralever und Telelever nennt. Der sechste Gang lässt sich schon bei 90 einlegen. Der immer noch famose Durchzug reicht dem Tourenfahrer allzeit, 115 Nm Drehmoment stehen in der Liste. Bei konstant 120 rückt die Fünf-Liter-Verbrauchsgrenze nahe. Kräftig packt der Boxer zu, wenn man die Gänge voll ausfährt, die dann ziemlich rustikal einrasten.

KILOMETER 702 Deutschland verlasse ich mit einem Autobahnschnitt von 123 km / h. Das macht durstig: 6,3 Liter auf 100 km zeigt der Computer, als die Schweiz erreicht ist und es anfängt zu regnen. Da beruhigt das ABS, das die Kraft vorn wie hinten gleichmäßig verteilt, wenn man am Handbremshebel zieht. Nur einmal merke ich auf glatter Piste die hilfreiche Wirkung: Kräftiger Zug lässt den Hebel vibrieren, die Fuhre bleibt in der Spur, den hart bremsenden Vordermann halte ich mir von der Pelle. Der Druckpunkt der Bremse ist sehr fein dosierbar.

KILOMETER 1 199 Vor dreizehn Stunden fuhr die 1200 RT auf die Autobahn bei Halle, am Abend verlässt sie die Piste erstmals, 100 km südlich von Lyon in Valence. Fazit im Hotelzimmer: kein Brummschädel, kein Geräuschdruck auf den Ohren - vorzüglich die Bike-Verkleidung. Die Knie etwas steif, aber der Kniewinkel beim Sitzen ist sehr langstreckenfreundlich. Man hält es lange aus auf der ausufernden, straffen Sitzbank (höhenverstellbar). Geh-Pausen sind leicht mit den Tank-Pausen (Tankinhalt 27 Liter) aller drei Stunden verbindbar. Beruhigende Erkenntnis: Zwei schwere Gepäckrollen und volle Seitenkoffer haben in keiner Weise die Fahrstabilität bei hohem Tempo beeinträchtigt, nichts pendelt, schaukelt sich auf.

KILOMETER 1 552 Rechts grüßen die Ausläufer der Pyrenäen. Sturmböen packen Mann und Maschine mit unglaublicher Gewalt, ein Nerven raubender Kraftakt, das Motorrad auszubalancieren. Unsicher wird es nie. 130 möchte man da aber trotzdem nicht fahren. Da ist selbst der durchdachte Windschutz der RT machtlos. Das hohe, elektrisch stufenlos verstellbare Windschild leitet ansonsten Regenwasser und Gewittersturm wirksam um den Fahrer, sehr gut die üppige Verkleidung, kaum Winddruck.

KILOMETER 1 577 Die spanische Grenze. Der Autobahn-Marathon nähert sich dem Ende. Elektronik hat für vorbildliche Stabilität bei hohem Tempo gesorgt. Die elektronische Fahrwerkseinstellung (ESA) bietet dafür drei Optionen: Solo, Solo plus Gepäck, Sozius plus Gepäck. Entsprechend wird die Härte gesteuert. Aber man muss sehr aufmerksam in die Maschine horchen, um diese elektronischen Segnungen zu spüren. Zudem gibt es für Beschleunigungs-Grenzfälle auch eine Antischlupfregelung.

KILOMETER 1 725 Barcelona naht, Großstadtgewimmel. Den Weg hindurch macht das Navi-System "BMW Motorrad Navigaor III" leicht. Es ist sehr präzise, im Hellen gut ablesbar. Der Touch-Screen-Monitor lässt sich mit Handschuh-Händen bestens bedienen. Ich werde auch ohne Ansage in Barcelona punktgenau zum kleinsten Abzweig geführt. Sicher komme ich im Hafen am Pier der Mallorca-Fähre "Millenium Dos" an. Vier Stunden dauert die Seereise mit dem schnellen Katamaran.

KILOMETER 1 740 Die Fähre mit dem zweirädrigen Reisedampfer im Bauch erreicht Palma de Mallorca. Beim Rangieren unter Deck ist wieder Zeit zum Fluchen und Schwitzen: Wie schwer die Maschine doch ist. Fahren ganz easy, rangieren im Stand eine Qual. Plus Fahrer ist ein Gesamtgewicht von 440 Kilo zu dirigieren. Noch 55 Kilo wären zuladbar.

KILOMETER 1 817 Das Ziel ist erreicht, Cala Bona. Man freut sich über den Benzinpreis: 1,24 Euro. Die RT war trotz Tempo und Last genügsam - 5,7 Litern im Schnitt seit Halle, 5,1 Liter werden es auf der Insel. Hier locken Palma, Pollenca, Antraitx. Es geht quer durch das Kurven-Labyrinth des Trammuntana-Gebirges: Wie leicht sich darin die Maschine steuern lässt! Nur die zwei Dutzend Haarnadelkurven am Soller-Pass, die sind nicht ihr (mein?) Ding, da merke ich die Zentnerlast heftig. Knapp 1 000 Insel-Kilometer folgen: Zum südlichsten Punkt bei Ses Salines, zum nördlichsten auf der atemberaubenden Straße nach Kap Formentor. Dann ruft die Langstecken-Piste. Heimwärts nach Halle.

KILOMETER 4 625 Halle-Neustadt zeigt sich rechts, links geht die Sonne unter, vor mir endet nach den 1 200 Kilometern der Schlussetappe die A 143 bei Bennstedt. Hunderte tote Insekten auf dem Windschild, ein entspannter Fahrer. Noch fünf Kilometer. War da was mit einer Ringantenne? Die RT ist gelaufen wie eine Eins. Wenn sie doch bloß nicht so schwer wäre.