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Abc-Schützen Abc-Schützen: "Vertrauen Sie dem Lehrer"

31.08.2014, 14:54
In Sachsen-Anhalt beginnt in wenigen Tagen für 17 600 Jungen und Mädchen die Schulzeit. Die Zuckertüten versüßen den Start. Dass die anfängliche Freude der Abc-Schützen am Lernen dauerhaft wird, ist auch eine Herausforderung an die Lehrer und Eltern.
In Sachsen-Anhalt beginnt in wenigen Tagen für 17 600 Jungen und Mädchen die Schulzeit. Die Zuckertüten versüßen den Start. Dass die anfängliche Freude der Abc-Schützen am Lernen dauerhaft wird, ist auch eine Herausforderung an die Lehrer und Eltern. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Hurra, ich bin ein Schulkind! Wohl alle Abc-Schützen freuen sich auf den Unterricht. Sie sind jetzt in den Augen der Anderen nicht mehr die ganz Kleinen und sie lernen endlich das Lesen, Rechnen und Schreiben. Wie lässt sich die anfängliche Begeisterung erhalten? Wie weit sollten sich Eltern in den Schulalltag ihrer Kinder einmischen? Welche Rollen spielen Geduld und Vertrauen? Über solche und andere Fragen im Zusammenhang mit dem Schulanfang sprach Lutz Würbach mit dem Erziehungswissenschaftler Michael Ritter von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Muss ein Abc-Schütze seinen Namen schreiben und bis zehn zählen können?

Ritter: Das muss er nicht unbedingt. Aber wenn er es kann, ist es auch nicht schlimm.

Kommt nicht bei denen, die es können, Langeweile im Unterricht auf?

Ritter: Kinder sind von Geburt an unterschiedlich. Sie haben verschiedene Stärken und Schwächen, entwickeln sich in unterschiedlichem Tempo. Es ist die Aufgabe der Lehrer, den Unterricht so zu gestalten, dass alle Kinder etwas davon haben.

Mitunter gibt es ziemlich skeptische Eltern, wenn es um die Kompetenz von Lehrern geht.

Ritter: Natürlich gibt es solche und solche Lehrer. Das ist in anderen Berufsgruppen auch so. Aber grundsätzlich müssen die Eltern den Lehrern vertrauen. Das gilt auch dann, wenn Eltern sehen, dass heute viele Dinge anders laufen, als sie das aus ihrer eigenen Schulzeit kennen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Schule hat sich verändert - und das aus gutem Grund.

Wenn das Misstrauen nicht ohne weiteres weichen will?

Ritter. Dann sollten sich die Eltern fragen, warum sie skeptisch sind. Wenn sie glauben, die Antwort hat etwas mit der Schule beziehungsweise dem Lehrer zu tun, dann sollte unbedingt das Gespräch gesucht werden. Es ist doch so, die Lehrer erleben die Kinder anders als die Eltern. In einem anderen Umfeld, in anderen Situationen, sie machen andere Erfahrungen mit ihnen. Ein Austausch zwischen Schule und Elternhaus kann im Zweifelsfall Misstrauen abbauen. Natürlich sollten Lehrer auch von sich aus das Gespräch mit Eltern suchen und Rückmeldungen zum Lernverhalten der Schulanfänger geben. Das ist übrigens auch ein wichtiger Inhalt unserer Lehrerausbildung: Kommunikation.

Über den Umgang mit skeptischen Eltern lesen Sie auf Seite 2.

Und wenn Eltern trotz aller Kommunikation meinen, ihr Kind lerne in der Schule zu wenig?

Ritter: Eltern sollten bloß keine Alltagspädagogik betreiben. Es bringt gar nichts, wenn sie selbst Lehrer spielen wollen. Einerseits wird der zweite Unterricht zu Hause zu einer enormen Belastung für die Kinder, andererseits gerät das Kind zwischen zwei Autoritäten - Schule und Elternhaus -, die nicht miteinander harmonieren. Ich möchte es deutlich sagen: Es ist nicht Aufgabe der Eltern, den Schulerfolg ihrer Kinder zu sichern, er liegt vielmehr in der Verantwortung der Schule. Lehrer können das Lernverhalten professioneller einschätzen und Eltern bei wichtigen Entscheidungen beraten. Wenn Eltern ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen, ist das natürlich etwas anderes, das ist in Ordnung.

Aber ganz raus aus der Verantwortung sind Vater und Mutter nicht?

Ritter: Auf keinen Fall, womit wir wieder am Anfang wären. Natürlich muss ein Schulanfänger nicht das Abc können. Er sollte aber schon ein Gefühl für Sprache und Zahlen haben. Er muss nicht die Reihe von eins bis zehn aufsagen können, aber eine Vorstellung haben, dass zwei weniger als acht ist. An diesem Punkt sind die Eltern gefragt. Sie können mit ganz einfachen Dingen den Sohn oder die Tochter schon im Vorschulalter fördern, mit Mensch-ärgere-Dich-nicht zum Beispiel. Die Punkte auf dem Würfel erkennen, den Setzer die richtige Anzahl von Feldern vorsetzen, das ist spielerisches Lernen. Und das Setzen der Figuren ist zudem eine wunderbare motorische Übung für die spätere Handhabung von Stift und Füller.

Wie Kinder ans Schreiben herangeführt werden können, lesen Sie auf Seite 3.

Vorlesen ist auch ein Tipp, den Pädagogen gerne geben.

Ritter: Studien belegen, dass Kinder besser lernen, wenn ihnen vorgelesen worden ist. Diesen positiven Effekt können Eltern ausbauen, wenn sie nicht nur vorlesen, sondern mit ihrem Kind auch über die Geschichte sprechen. Auf diese Weise sammeln die Jungen und Mädchen elementare Schrifterfahrungen. Sie bekommen ein Gefühl für Sprache. Sie bekommen auch ein Gefühl dafür, wie sie bestimmte Erlebnisse anderen mitteilen müssen, damit die das verstehen. Das ist ja eine komplexe Angelegenheit. Das Kind muss berücksichtigen, was sein Gegenüber womöglich schon wissen könnte, wie es anfängt und die Aussagen aneinander reiht. Das ist auch für Grundschüler eine intellektuelle Herausforderung. Und für Eltern eine gute Chance zur Förderung ihrer Tochter oder ihres Sohnes.

Vor dem Schreiben kommt also das Sprechen?

Ritter: Genau, die mündliche Sprache ist die Basis für die geschriebene. Wenn Eltern ihren Kindern etwas Gutes tun wollen, dann sprechen sie viel und gut mit ihnen. Und möglichst nicht nur über die aktuelle Situation. Sondern: Was habt ihr auf eurem Ausflug erlebt? Warum findest du das gut oder schlecht? Diese scheinbar banalen Fragen sind für jüngere Kinder komplexe Herausforderungen an ihr Sprachvermögen.

Wer sollte den Ranzen packen? Die Antwort erfahren Sie auf Seite 4.

Ein ganz anderes Thema: Wer packt den Ranzen des Abc-Schützen?

Ritter: Zunächst die Eltern - gemeinsam mit dem Kind.

Erziehung zur Bequemlichkeit?

Ritter: Nein, Schutz vor Überforderung. Der Schulbeginn ist ein tiefer Einschnitt für die Jungen und Mädchen. Ihr Tagesablauf hat eine völlig neu Struktur. Sie müssen stundenlang still sitzen, dem Lehrer folgen, den Wechsel von Pause und Unterricht verinnerlichen, den Schulweg meistern und dann auch noch den Überblick über den Inhalt des Ranzens behalten. Das beherrscht ein Sechs- oder Siebenjähriger beim besten Willen nicht von heute auf morgen. Eltern müssen Geduld haben.

Wann sollte er es können?

Ritter: Wie gesagt, jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich schnell. Bei manchen kann es bis zur zweiten Klasse dauern, bis sie ihren Ranzen allein packen können. Deshalb müssen Eltern aber keine Panik bekommen, das hat nichts mit der Intelligenz ihres Sohnes oder ihrer Tochter zu tun. Aber auch, wenn es länger dauert, braucht das Kind eine Botschaft, um eben nicht in Bequemlichkeit zu verfallen: Du, Kind, bist für deinen Ranzen verantwortlich. Ich, Elternteil, helfe dir lediglich.

Apropos helfen, sollten Schulanfänger möglichst zeitig Nachhilfe bekommen, wenn sie im Unterricht nicht mithalten?

Ritter: Das sehe ich, ehrlich gesagt, kritisch. Der Lehrer hat die Aufgabe, auf die individuelle Ausgangslage der Kinder zu achten. Eine mögliche Förderung ist Sache der Schule. Dafür gibt es in Sachsen-Anhalt an jeder Schule Förderpädagogen, die von allen Jungen und Mädchen in Anspruch genommen werden dürfen. Nein, eine von Eltern finanzierte Nachhilfe ist bei Erstklässlern nicht nötig.

Was einige Eltern aber vielleicht doch anders sehen.

Ritter: Das Problem der Eltern beginnt, wenn die Schüler Zensuren bekommen. Dann bricht bei einigen Vätern und Müttern die Noten-Panik aus: Es könne bei meinem Kind nicht fürs Gymnasium reichen!

Angenommen, mein Kind verliert die Lust an der Schule. Es fragt: Warum soll ich eigentlich lernen? Was antworte ich?

Ritter: Sagen Sie ihm bloß nicht, damit es einmal einen ordentlichen Beruf erlernen kann. Das ist für das Kind zu abstrakt, viel zu weit weg. Besser: Damit Du lesen und schreiben kannst. Wer das kann, ist nämlich dem Erwachsensein schon ein Stück näher gekommen. Und jedes Kind will ja möglichst schnell erwachsen sein.

Noch ein Motivationstipp?

Ritter: Kinder sollten möglichst oft gelobt werden. Aber das Lob muss ehrlich sein. Kinder merken schnell, ob eine Anerkennung einfach nur so dahergesagt ist. Wenn ja, hat das Lob für sie kein Gewicht. Und Eltern sollten nicht in erster Linie schauen, was ihr Kind gut oder schlecht gemacht hat, sondern, was es überhaupt getan hat. (mz)

Michael Ritter ist promovierter Erziehungswissenschaftler und Professor für Grundschuldidaktik/Deutsch.
Michael Ritter ist promovierter Erziehungswissenschaftler und Professor für Grundschuldidaktik/Deutsch.
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