Zum Tod von Melvin J. Lasky Zum Tod von Melvin J. Lasky: «Denn wir wollten Europa von den Miesniks befreien»
Halle/MZ. - Sollte die These stimmen, dass viel Feind viel Ehr' bedeutet, dann hätte der Publizist Melvin J. Lasky nicht nur ein Ehrenmann, sondern eine Truppe von Ehrenmännern in einer Person gewesen sein müssen; so war es aber nicht. Viel Feind bedeutet vor allem eine selbst verschuldete Anrüchigkeit, Ausgewogenheit in den politischen Dingen ist Bürgerpflicht.
Der Amerikaner in Berlin aber, der über 50 Jahre das ideologische Ost-West-Gleichgewicht zu stören suchte, zeigte zu viel Lust an der kämpferischen Seite des Intellekts. Als "Gangster" oder "Kalter Krieger" verschrien, zog Lasky viel Verachtung auf sich. In der DDR war er eine unerwünschte Persönlichkeit, in jenem West-Milieu auch, das bestens mit der Mauer und deren Repräsentanten leben konnte.
Noch nicht 30 Jahre alt, war Melvin J. Lasky bereits eine Legende. Ostberlin, August 1947: Der Erste deutsche Schriftstellerkongress tagt. Die Amerikaner suchen einen Delegierten. Steinbeck sitzt in Moskau, Hemingway auf Kuba, Orwell ist den Russen nicht zumutbar. Also Lasky, 27, US-Kulturoffizier und Korrespondent in Berlin-Zehlendorf. Ein Mann für alle Fälle. In der ersten Reihe der Kammerspiele sitzt die Sowjetmacht. Lasky redet über "Kulturelle Freiheit" und alles fängt sehr schön Amerika-kritisch an. Dann startet der Jüngling eine Attacke gegen die stalinistische Kultur-Repression, spricht von der Zensur und der Polizei dahinter, redet von verfolgten Künstlern und fragt, welche Erfahrungen Russland einzubringen habe in die Debatte um kulturelle Freiheit? Nach 30 Minuten tobt der Saal. Die Echt- war in die Theaterwelt gedrungen.
Lasky hatte sein Kampffeld gefunden. 1948 gründet er die politisch-kulturelle Zeitschrift "Der Monat", in den 50er Jahren das wohl wirkungsmächtigste deutsche Debatten-Magazin, das Totalitarismus-Kritiker wie die Philosophen Hannah Arendt und Ludwig Marcuse in den deutschen Gesichtskreis brachte. Dass das Blatt, neben einer Vielzahl von privaten Sponsoren zeitweise von der CIA finanziert worden ist, brachte es 1971 in der Lesergunst zu Fall. Lasky gründet in London mit dem "Encounter" ein erfolgreicheres Pendant.
Was zieht in die Arena des Kalten Krieges? Gute Frage, sagte Lasky 1998 im MZ-Gespräch, und erzählte von seiner Kindheit als Nachfahre ostjüdischer Einwanderer in New York. Dass er als 14-Jähriger den Klassenkampf studiert und mit einem Dutzend gleichaltriger Jungen aus der Bronx einen marxistischen Zirkel gegründet hatte. "Wir wollten Europa befreien von den Miesniks" - den Nazis also. Als die USA 1941 in den Krieg traten, war Lasky dagegen: Imperialismus pur! Dass die jüdischen Verwandten ermordet wurden, habe den Marxisten nicht interessiert. "Wir reagierten nicht wie Menschen, sondern wie ideologische Konstrukte." Irgendwann, sagte Lasky, "wurde mir Stalins Welt-Version zu doof."
Dabei blieb es. Als Historiker veröffentlichte Lasky Bücher über Utopie und Revolution sowie über die Sprache des Journalismus; aus der westdeutschen Öffentlichkeit war es bis Ende der 70er Jahre nicht wegzudenken. Im Sommer 1989 reiste Lasky erstmals frei - und nicht ohne Wehmut - durch die längst lethargische DDR, besuchte Naumburg und Halle, legte rote Rosen auf die Gräber von Goethe und Melanchthon nieder. Ein Amerikaner, der als Europäer in Deutschland lebte; ein Selbstdenker, der den Wert einer Idee an deren Praxis messen wollte. Am vergangenen Mittwoch ist Melvin J. Lasky 84-jährig in Berlin gestorben.