Zum Tod von Helmut Newton Zum Tod von Helmut Newton: Er liebte die Frauen und die Fotografie

Los Angeles/Berlin/dpa. - Er liebte die Frauen und machte dieAktfotografie zu einer weltweit anerkannten Kunstform imSpannungsfeld von Erotik und Dekadenz. Jetzt wurde der 83-Jährige aus Berlin stammende Helmut Newton Opfer seiner zweiten Leidenschaft. Erliebte auch schnelle und schnittige Autos. Die Nachricht von seinemtödlichen Autounfall traf die internationale Kunst- und Modewelt,traf auch Berlin wie ein Schock. Mit Newton verlor sie einen ihrergefragtesten, bestbezahlten und oft auch umstrittenen Fotografen.Besonders große Trauer herrscht in Newtons Vaterstadt Berlin, der ererst im Oktober sein Lebenswerk als unbefristete Dauerleihgabe fürein «Centrum Photographie» am Bahnhof Zoo überlassen hat.
Seine oft großformatigen, manche Zuschauer auch schockierenden underotischen Frauenfotografien werden von Museen in aller Welt gezeigt.Seine Bücher wurden Kult und erreichten Millionenauflagen. Für dieberühmte Serie «Big Nudes» lichtete Newton seine Models nackt und mitStöckelschuhen in Städten wie Nizza oder Paris ab. Das rief auchProtest hervor, wie zum Beispiel bei Feministinnen wie AliceSchwarzer, die manche Newton-Fotos als «sexistisch» brandmarkte.Newton hat das nie verstanden. Er stelle Frauen nur als starkePersönlichkeiten und nie als Opfer dar, betonte er. Auch seine FrauJune, die er 1948 heiratete und die später unter dem KünstlernamenAlice Springs selbst als Fotografin bekannt wurde, stand ihm Modell.
Karl Lagerfeld lobte, Newton habe die Modefotografie zum«erotischen Erlebnis» gemacht. In seiner Serie «Domestic Nudes»präsentierte er Nackte in häuslichen Szenen. Für «Girls of Berlin»kehrte der Fotograf in seine Geburtsstadt zurück. Seine Mode- undWerbeaufnahmen erschienen in Magazinen wie «Vogue», «Elle» oder«Playboy». Er porträtierte aber auch Persönlichkeiten wie KanzlerGerhard Schröder, den Schauspieler Anthony Hopkins und denModeschöpfer Pierre Cardin.
Newton wurde am 31. Oktober 1920 in Berlin als Sohn einesJüdischen Knopffabrikanten geboren. Sein Vater habe ihn gewarnt, erwürde in der Gosse enden, denn er habe nur Mädchen und Fotos im Kopf,erinnerte sich Newton in seiner 2002 erschienenen Autobiografie. Mit12 Jahren hatte er seine erste eigene Kamera. Der Berliner Funkturmwar sein erstes Foto. Im nahe gelegenen Halensee tummelte sich derjunge Helmut besonders gern, wo er seinen ganz großen Hobbysnachging, wie er später selber einmal sagte: dem Schwimmen und demBeobachten von Frauen.
In seiner Heimatstadt war ihm das bald nicht mehr möglich - 1938musste er mit seine Familie emigrieren. Seine Lebensstationen warendanach Australien (mit fünfjährigem Militärdienst), London, Paris,Monte Carlo und Los Angeles. In seinen letzten Lebensjahren jedochwandte er sich immer stärker seiner «alten Liebe Berlin» zu, der erschließlich auch sein gesamtes Archiv vermachte. Am 3. Juni 2004 wirddie Sammlung im wilhelminischen ehemaligen Landser-Casino am BahnhofZoo, inmitten einer Alkohol-, Drogen- und Stricherszene, eröffnet.Newton verbanden sentimentale Erinnerungen an dieses Gebäude. Als ihnseine Eltern am 5. Dezember 1938 am Bahnhof Zoo in den Zug setzten,galt sein letzter Blick dem alten, monumentalen Casino-Gebäude in derJebensstraße gegenüber.
Seit einer Herzattacke 1971 setzte sich der weltweit begehrteFotograf immer stärker mit Erinnerungsbildern an die Welt seinerKindheit und Jugend in Berlin auseinander. Von November 2000 bisJanuar 2001 zeigte die Berliner Neue Nationalgalerie zum 80.Geburtstag Newtons eine umfangreiche Retrospektive seiner Werke.
Im Oktober vergangenen Jahres verkündete Newton in Berlinschließlich nach jahrelangen Verhandlungen, er sei froh undglücklich, dass sein Archiv in seine Heimatstadt komme, «nicht nurdie Nackten, auch alle anderen». Und was ist mit den Negativen?«Solange wir beide leben, bleiben die Negative bei uns, wir brauchensie zum arbeiten. Wenn wir abgekratzt sind, geht alles nach Berlin.»Es sei seine Frau June gewesen, «die mich schon lange in RichtungBerlin geschubst hat, obwohl die Arme kein Wort Deutsch spricht».Newton hat Deutschland nach eigenen Worten nie vermisst, aber immerHeimweh nach Berlin gehabt.
Heute gibt es eine Newton-Bar am historischen Gendarmenmarktgegenüber dem Schinkelschen Schauspielhaus. Die schweren rotenClubsessel werden von den lebensgroßen Aktfotos Newtons an den Wändenumrahmt. Der Fotograf war oft in «seiner» Bar. Am Samstag war dieStimmung gedrückt. Der DJ am Abend wurde abgesagt. Aber die Bar bliebgeöffnet. Ganz im Sinne des lebensfrohen Fotografen, der so gerne inseinem geliebten Berlin war.