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Zeitgeschichte Zeitgeschichte: Wert und Würde des Rechtes

Von Michael Germann und Armin Höland 17.02.2012, 18:57

Halle (Saale)/MZ. - Vor 75 Jahren, am Morgen des 19. Februar 1937, lag der ehemalige Landgerichtsdirektor Friedrich Weißler tot in seiner Zelle im Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin. Blut und Wunden zeugten von tagelangen Misshandlungen.

Weißler war Jurist und hatte den Wert und die Würde des Rechtsstaates verinnerlicht. Schon sein Vater, Adolf Weißler, hatte ihm das vorgelebt: ein Rechtsanwalt und Notar, der auf die rechtswissenschaftliche Durchdringung seiner Tätigkeit Wert legte und nicht zuletzt wegen der guten Universitätsbibliothek aus dem schlesischen Königshütte nach Halle gezogen war. Die Familie Weißler pflegte jenen liberalen, bürgerlichen und musischen Lebensstil, von dem viele Gebäude dieser Zeit in Halle noch heute zeugen - wie auch das Haus am Universitätsring 6, in dem die Familie Adolf und Auguste Weißler mit ihren drei Söhnen Ernst, Otto und dem 1891 geborenen Friedrich ab 1909 wohnte.

Steile Karriere in der Republik

Wie sein Vater wählte Friedrich Weißler das Recht zum Beruf. Er studierte schnell und erfolgreich Jura an der Universität Halle-Wittenberg, ein Semester lang auch an der Universität Bonn, begann 1912 das Referendariat, wurde 1914 zum Doctor iuris "magna cum laude" promoviert und legte - nach seinem Kriegsfreiwilligendienst im Ersten Weltkrieg - 1919 die Große Juristische Staatsprüfung ab. Es folgte eine steile Laufbahn im Justizdienst der jungen Republik, bis hin zur Ernennung zum Landge-richtsdirektor.

Doch Friedrich Weißlers Wechsel auf den neuen Posten am Landgericht Magdeburg am 1. Dezember 1932 fiel schon in den Vorabend des Endes von Republik und Rechtsstaat. Nur wenige Monate später brach das Recht auch für Friedrich Weißler persönlich zusammen. Ein SA-Mann erschien verbotenerweise in Uniform vor Gericht, auf Antrag des Staatsanwalts verhängte Weißler dafür ein Ordnungsgeld. Ein Mob aus Mitgliedern des Stahlhelms, der NSDAP, der SS und der SA nahm das zum Anlass, den Richter aus seinem Dienstzimmer auf den Balkon des Gerichtsgebäudes zu zerren und zum "Gruß" der von ihnen gehissten Hakenkreuzflagge zu zwingen. Denn der Landgerichtsdirektor Dr. jur. Friedrich Weißler war nach Nazi-Kategorien ein Jude. Am 21. Juli 1933 wurde Friedrich Weißler unter Anwendung des inzwischen erlassenen "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", das "Nichtarier" und politisch "Unzuverlässige" vom Staatsdienst ausschloss, aus dem Justizdienst entlassen.

Das war selbst nach diesem nationalsozialistischen Gesetz eigentlich gar nicht möglich. Zwar half es gegen die rassistische Definition der "nicht arischen" Abstammung nichts, dass Friedrich Weißler - von Kind an - getauft war und der evangelischen Kirche angehörte. Aber Beamte, "die nicht arischer Abstammung" waren, konnten nach dem Gesetz nicht entlassen, sondern nur pensioniert werden, und auch dies nicht, wenn sie - wie Weißler - am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten. Daher wurden Zweifel an seiner Staatstreue wegen "politischer Betätigung" vorgeschoben, wozu er nie Anlass gegeben hatte. Weißler protestierte vergeblich. Der entlassene Landgerichtsdirektor fand eine Anstellung als juristischer Mitarbeiter bei der Bekennenden Kirche. Hier verbanden sich sein christlicher Glaube und sein Dienst am Recht.

Amt in der Bekennenden Kirche

Die Bekennende Kirche verstand sich als bekenntnistreue Opposition gegen die von Nationalsozialisten besetzten und gleichgeschalteten Kirchenleitungen, an deren Stelle sie ihre eigene, "Vorläufige Kirchenleitung" setzte. Hier entfaltete Weißler schnell seine professionellen Fähigkeiten als Jurist, verwaltete die Finanzen, leitete den Bürobetrieb und unterhielt den Kontakt zur Presse und zu den Kirchen im Ausland. Im Mai 1936 richtete die Vorläufige Kirchenleitung unter Mitwirkung von Friedrich Weißler eine Denkschrift an Hitler. Darin klagte sie die Verletzung von Recht und Ethos durch die nationalsozialistischen Machthaber an. Die Denkschrift sollte zunächst streng vertraulich bleiben. Aber im Juli 1936 erschien sie plötzlich in der ausländischen Presse. Der Verdacht fiel auf Friedrich Weißler. Anfang Oktober 1936 wurde er von der Gestapo verhaftet. Obwohl monatelange Verhöre keinen Beweis ergaben, dass die Veröffentlichung auf ihn zurückgegangen wäre, ließ die Gestapo ihn nicht frei. Stattdessen lieferte sie ihn ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Da dauerte es keine fünf Tage, bis Friedrich Weißler tot war. An seinem Grab auf dem Stahnsdorfer Friedhof findet am Sonntag, dem 75. Jahrestag seiner Ermordung, eine Gedenkfeier statt.

Die Autoren sind Professoren derJuristischen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.