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Wurzeln in Slowenien Wurzeln in Slowenien: Peter Handke hat von jeher polarisiert

01.06.2006, 13:56

Hamburg/dpa. - Er hat nicht nur literarische, sondern auchbiografische Wurzeln im früheren Jugoslawien. Am 6. Dezember 1942wurde er in dem Kärntner Dorf Griffen geboren, das damals nochösterreichisch-slowenisch war. Der Büchner-Preisträger wurde vorallem wegen seiner pro-serbischen Haltung in der Debatte um dieKriegsschuld auf dem Balkan Zielscheibe massiver Kritik. dpaskizziert den Verlauf dieses Streits:

Juli 1991: Nach dem Abzug der jugoslawischen Bundesarmee ausSlowenien schreibt Handke in der «Süddeutschen Zeitung» unter demTitel «Abschied des Träumers vom Neunten Land» über seineErinnerungen und Reflexionen und erteilt der Loslösung der RepublikSlowenien aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien eine Absage.

Januar 1996: In einer Feuilleton-Sonderbeilage der «SüddeutschenZeitung» veröffentlicht Handke seine Streitschrift «Gerechtigkeit fürSerbien». Seine Erfahrungen einer Reportage-Reise durch Serbien imNovember 1995, kurz vor dem Friedensschluss auf dem Balkan, nimmt derAutor zum Anlass, die seiner Meinung nach einseitige und Hassschürende Berichterstattung westlicher Medien über den Konflikt imfrüheren Jugoslawien anzuprangern. Journalisten und Publizistenhätten sich von ihrem «Auslandshochsitz» genauso zu «argenKriegshunden gemacht wie jene im Kampfgebiet».

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnet Handkes Werk als«literarisch ohne Bedeutung und politisch töricht».

April/Mai 1996: Auch auf seiner Lesereise durch Europa gehen dieKritiker auf Handke los. Nach einem erregten Wortwechsel im WienerBurgtheater empfiehlt er einem Journalisten: «Sie können sich ihreLeichen in den Arsch schieben!» Nach einer Lesung im Drama-Theater inBelgrad sagt Handke: «Ich bin ein Liebhaber Jugoslawiens, und wennein Volk an Jugoslawien gehangen hat, dann waren es die Serben.»

März 1999: In einem Brief an die Weltöffentlichkeit, der in derBelgrader Zeitung «Politika» veröffentlicht wird, setzt sich Handkegegen die NATO-Luftangriffe auf Serbien ein. Ebenfalls im Märzrevidiert er seine im Februar im serbischen Staatsfernsehen gemachteAussage, das Leid der Serben könne über das der europäischen Judenwährend des Nationalsozialismus gestellt werden. Er habe sich bei demInterview auf Französisch «verhaspelt».

April 1999: Handke reist inmitten der NATO-Luftangriffe aufJugoslawien demonstrativ nach Serbien. Zugleich kündigt er an, dasPreisgeld für den 1973 erhaltenen Büchner-Preis an die DeutscheAkademie für Sprache und Dichtung zurückzugeben.

Mai 1999: Handke greift mit seinem Buch «Die Fahrt im Einbaum oderDas Stück zum Film vom Krieg» (Suhrkamp) erneut das Thema Balkankriegauf und erntet wiederum heftige Verrisse für seine literarischeDiagnose «Kriegsursache: Schlechte Nachbarschaft».

Juni 1999: Claus Peymann inszeniert das viel kritisierte Stück amWiener Burgtheater. Der Regisseur sagt später über den Autor: «DasSpätwerk Handkes gleicht einem moralisierenden Entwurf, obwohl er dasnicht hören mag.»

November 2002: In Paris wird das Filmporträt «Peter Handke. Derschwermütige Spieler» von Peter Hamm zum bevorstehenden 60.Geburtstag des Autors uraufgeführt. Hamm sagt über die schwierigeZusammenarbeit mit Handke: «Habe ich ihn Biografisches gefragt, hater die Antwort verweigert. Habe ich literarisch gefragt, kamBiografisches.»

März 2006: Handke hält beim Begräbnis des ehemaligenjugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic eine Rede. Er wird mitden Worten zitiert: «Die angebliche Welt weiß alles über Milosevic.Die angebliche Welt kennt die Wahrheit. Deswegen ist die angeblicheWelt heute hier abwesend.»

Mai 2006: Weil Handke beim Milosevic-Begräbnis sprach, nimmt dieComédie Francaise das Stück «Spiel vom Fragen oder Die Reise inssonore Land» vom Spielplan für 2007. Handke reagiert «angewidert».Der französischen Zeitung «Le Monde» sagt er: «Ich kenne die Wahrheitnicht, aber ich beobachte. Ich höre. Ich fühle. Ich erinnere mich.Ich hinterfrage. Warum schlägt man nicht meine Bücher auf, statt michanzuklagen?»

Mai 2006: Zur Debatte um die geplante Vergabe des Heine-Preisesentgegnet der Schriftsteller seinen Kritikern am 30. Mai in der«Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: «Ich habe nie eins der Massaker inden Jugoslawienkriegen 1991-95 geleugnet, oder abgeschwächt, oderverharmlost, oder gar gebilligt. Nirgendwo bei mir kann man lesen,ich hätte Slobodan Milosevic als "ein" oder "das Opfer" bezeichnet.»Er wünsche, dass alle seine «Aufzeichnungen, Erzählungen, Berichte,Stücke der letzten fünfzehn Jahre zu Jugoslawien Wort für Wortgelesen würden».