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Wolfgang Maria Bauer Wolfgang Maria Bauer: Mann mit vielen Talenten

Von ANDREAS HILLGER 11.01.2011, 18:07

DESSAU/MZ. - An diesem Morgen trägt er ein extra weit geschnittenes Sport-Shirt mit einem Mannschafts-Maskottchen - wie immer, wenn er nach der Probe zu seiner sechsjährigen Tochter fährt. Doch auch ohne dieses Trikot würde der Gast in der Dessauer Kantine auffallen: Die scharfen Züge unter lässig weggestrichenen Locken, der Faltenwurf um die wachen Augen ... das ist ein Charakterkopf, der Blicke auf sich zieht. Und wenn man Wolfgang Maria Bauer einmal entdeckt hat, beginnt das Grübeln: Woher kennt man den nur?

Seitdem unlängst eine "Tatort"-Wiederholung im Fernsehen lief, wird der Regisseur von Aleksandr Ostrowskis Komödie "Tolles Geld" auch von Mitarbeitern des Anhaltischen Theaters gegrüßt, die in seiner Inszenierung keine Rolle spielen. Dabei war die Krimi-Episode eine eher beiläufige Station in der Karriere des Schauspielers Bauer. Den vorläufigen Zenit seiner Popularität hatte er 2008 erreicht, als er nach 34 Folgen den ZDF-Kommissar Viktor Siska beerdigte - eine Serien-Hauptfigur, wie sie irgendwann die öffentliche Wahrnehmung ihres Darstellers überlagert.

Dass Bauer die Trennung dennoch gut verkraftete, liegt an der Vielzahl seiner Talente: Er hat am Burgtheater Wien und am Münchner Gärtnerplatz ebenso gespielt wie am Schauspielhaus Zürich und bei den Salzburger Festspielen. Er hat mit Stücken wie "Der Zikadenzüchter" oder "In den Augen eines Fremden" diverse Autoren-Preise gewonnen. Und fünf Jahre war er als Oberspielleiter und Regisseur in Heidelberg zudem für Repertoire und Ensemble eines deutschen Stadttheaters verantwortlich.

In diese Institution ist er nun auf Zeit zurückgekehrt, um ein rund 140 Jahre altes Stück aus Russland zu inszenieren, das seiner Meinung nach gut zur ostdeutschen Gegenwart passt. In "Tolles Geld" - dessen Autor Ostrowski nicht mit dem gleichnamigen Verfasser des ideologieschweren Romans "Wie der Stahl gehärtet wurde" zu verwechseln ist - geht es um das schöne Leben auf Pump, um das Anspruchsdenken zwischen den Generationen und die Abgründe der Finanzwelt. "Den Reiz des Stückes", sagt Wolfgang Maria Bauer, "kann man nicht in Worte fassen." Denn obwohl die Story eher marginal sei, würde sie durch knallharten Dialoge "unfasslich modern". Und natürlich gerate dabei auch die Realität vor Ort in den Blick.

Die endet nicht vor den Türen des Theaters, sondern setzt sich dahinter in verschärfter Form fort. Wenn Bauer sagt, dass er es sich "leisten kann, die Gage entgegenzunehmen", dann spricht nicht die Arroganz des Stars - sondern das Wissen um die soziale Wirklichkeit des Schauspielerberufs.

Wenn er einen Gast aus Berlin nach Dessau hole, dann wäre das für diesen ein Nullsummenspiel: Nach Abzug seiner Fahrt-, Wohn- und Lebenskosten bliebe unter dem Strich nichts mehr übrig. Und darum macht der 47-Jährige angesichts der kulturpolitischen Debatten einen ungewöhnlichen Vorschlag: Die deutschen Intendanten müssten sich auf einen Katalog verständigen, der das Existenzminimum eines Hauses festschreibt. Wenn die Politik diese Forderungen unterschreite, dürfte sich niemand mehr finden, der zu solchen Konditionen arbeitet. Nur so könne man die Deutungshoheit zurückgewinnen, anstatt die Kräfte in Abwehrkämpfen gegen die Kürzungspläne zu verschleißen. Dass das eine Utopie ist, räumt Bauer ein.

Warum er sich dennoch für Dessau entschieden hat? Weil ihn die Herausforderung reizt. Wolfgang Maria Bauer, der vor seiner Schauspielausbildung Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft studierte, sucht das Gegengift zur Routine. Als er zum zehnten Mal eine Beerdigungsszene inszenierte und in einer Art Reflex schwarze Schirme bei der Requisite bestellte, hat er sich eine Regie-Pause verordnet. Auch heute weigert er sich, "den 23. Hamlet am Stadttheater zu machen". Aber Operette, Revue, Zirkus? Gern!

Für die Ruhrtriennale schreibt er gerade ein Auftragswerk, für den Deutschen Fußballbund wird der einstige A-Jugend-Spieler von 1860 München demnächst in Lateinamerika arbeiten - und in der Autoren-Nationalmannschaft kickt er neben Kollegen wie Moritz Rinke und Albert Ostermaier. Am Theater Bonn steht er in Ibsens "Hedda Gabler" derzeit auch wieder auf der Bühne - als Teamspieler, nicht als einsamer Star.

Wie bringt man all diese Begabungen unter einen Hut? Weist der Regisseur gelegentlich den Autor Bauer in die Schranken des Möglichen? Nein: "Wenn ich als Autor einen weißen Elefanten schreibe, dann will ich den auch haben." Und im übrigen würde er nie einen seiner eigenen Texte inszenieren wollen, sondern immer den fremden Blick auf das Eigene bevorzugen.

Dass eine solche Wahrnehmung den Schauspieler leicht auf das Klischee reduzieren kann, hat Bauer übrigens am eigenen Leib erfahren. Als man ihn für die "Siska"-Hauptrolle vorschlug, wurde die bei einem deutschen Fernseh-Kommissar nötige Seriosität in der ZDF-Redaktion angezweifelt: "Neben dem kann ja keiner bügeln." Dass man diesen Satz auch als Kompliment lesen kann, war den Bedenkenträgern wohl nicht bewusst.

Die Premiere von "Tolles Geld" findet am 21. Januar um 19.30 Uhr statt.