1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Wolfgang Haak: Wolfgang Haak: Die Heimat des Windmüllers

Wolfgang Haak Wolfgang Haak: Die Heimat des Windmüllers

Von Christina Onnasch 21.04.2006, 17:12

Halle/MZ. - Hier liegt das 20. Jahrhundert wie ein ausgerollter Kuchenteig da, so unspektakulär scheint dieses Leben.

Es geht darin um die Lebensgeschichte des Artur H., der 1900 zur Welt kam und 1993 starb. Fast ein volles Jahrhundert-Leben also, das sich in fünf politischen Systemen im Mitteldeutschen ereignete: Naumburg und Umgebung, Großheringen, Weimar, Gutenberg im Saalkreis, Leuna-Werke und die Region um Zeitz.

Geschrieben hat es der 1954 in Genthin geborene Wolfgang Haak. Er lebt in Weimar und führt dort eine Doppelexistenz. Als Direktor des Musikgymnasiums Belvedere und Autor meist lyrischer Kurzprosa. Beide Bereiche seien gleichberechtigt. "Ich kann das voneinander trennen", sagt er.

Das Leben seines Großvaters dient Wolfgang Haak als Vorlage. Herausgekommen ist dabei weder eine Dokumentation, noch ein "Roman", wie der Untertitel behauptet. Vielmehr handelt es sich um einen literarisierten Lebensbericht. Das Faszinierende daran ist, dass es aus der Perspektive von unten erzählt ist und das Leben eines einfachen Mannes schildert, das nur im Mündlichen stattgefunden hat und nun verschriftlicht ist. Dabei ging es Haak um das Prototypische dieser Figur. "Geärgert habe ich mich über diejenigen, die eine Großvater-Geschichte darin sahen."

Grundton des Lebens

In dieser längst untergegangenen Welt wächst Artur mit fünf Schwestern auf. Alles ist in Ordnung, wenn "das Glöckchen über dem Mahlgang schellte" - und doch ist die Landidylle fern. Der Alltag ist knochenhart, und so entsteht der Grundton, in dem Arturs späteres Leben klingt: "Arbeiten war mein Lebensinhalt, so eine Art ständiger Befehl." Trotzdem bleibt die Windmühle von Tultewitz ein Sehnsuchtsort, den er lebenslang in sich trägt. In einem 1904 aufgenommenen Familienfoto ist er gespeichert.

Es ist ein Bild, das umso heller leuchtet, je unaufhaltsamer der Niedergang der Familie ist. Die Windmühle wirft nicht genug ab, der zunehmend vom Rheuma geplagte Vater versucht sich als Gastwirt und Vertreter für Registrierkassen - und verschwindet schließlich ganz. Die Mutter versorgt fortan die sechs Kinder allein und zerbricht daran.

All das lässt Haak seinen Artur H., der den Erzählfluss kaum bremsen kann, in einer bildkräftigen und zuweilen klischeelastigen Sprache berichten. Auch die Vor- und Rückblenden schaffen eine kunstvolle Einfachheit. Unterbrochen werden sie von Kapiteln, in denen der Enkel redet, um dem Großvater gleichzeitig ins Wort zu fallen und - aus anderer Perspektive - neue Facetten hinzuzufügen.

Eigentlich wollte Wolfgang Haak, der bis dahin "ein kleiner stiller Lehrer" war, wie er sagt, mit seinem Debüt "Die Windmühle" in die Literatur eintreten.

Der Mitteldeutsche Verlag plante, es herauszubringen. Im Wendejahr 1989 verschwand das Manuskript in der Verlagsschublade; der Beinahe-Autor machte Politik und gründete eine Familie. Nun ist das Buch mit dem veränderten Titel "Der Sohn des Windmüllers" erschienen.

Erstaunlich ist, dass sich Arturs Leben zwar inmitten der Kulturlandschaft Mitteldeutschlands ereignet, zugleich bleibt sie für ihn bedeutungslos. Entscheidend ist das praktisch Verwertbare - was Feld und Garten hergeben. Nur "ein Wirtschaftsraum", wie Haak sagt. Der Bildhauer und Maler Max Klinger, der über den Weinbergen bei Großjena sein Häuschen hat, bleibt ein ferner Mann. Artur grüßt ihn auf seinen Spaziergängen nur von weitem. Überhaupt erfährt er die Landschaft, in dem er sie fast täglich erläuft - von Trotha nach Gutenberg, von Großjena nach Naumburg.

Ein Unpolitischer

Aus dem Sohn des Windmüllers wird schließlich ein schlauer und knausriger Schlosser. Arturs Dasein bleibt ein Unpolitisches. Kaiser Wilhelm, Hitler, Ulbricht - sie alle sind weit weg. Als leistungs-, aber nicht klassenbewusster Arbeiter dreht er mit der gleichen Leidenschaft Granathülsen für den Krieg, wie er beim Aufbau der Leuna-Werke schuftet.