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Wolfgang Borchert Wolfgang Borchert: Die Stimme der Kriegskinder

Von Christof Bock 19.11.2007, 09:17

Hamburg/dpa. - Im kurzen Leben und schmalen Werk des Hamburger Schriftstellers taucht sehr viel Tragik auf, die eine lebensfrohe Natur überschattet. Trümmer, Hunger, Einsamkeit und Entfremdung: Borcherts Erzählungen und sein berühmtes Heimkehrerdrama «Draußen vor der Tür» gehören zu den eindringlichsten Schilderungen von Deutschland direkt nach dem Krieg. Am 20. November jährt sich zum 60. Mal sein Tod.

«Wolfgang Borchert war der erste Schriftsteller der jungen Generation, die die Nazis nicht gewählt hatte, aber in den Krieg ziehen musste; er war der Erste, der darüber geredet hat», schildert der Vorsitzende der Internationalen Wolfgang Borchert Gesellschaft, Prof. Hans-Gerd Winter. Vor dem frühen Tod durch Lungenentzündung schuf der Literat das Herzstück der sogenannten Trümmer-Literatur.

«Draußen vor der Tür» gehört zur Pflichtlektüre vieler Schulen, «nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Bulgarien», so Winter. Statistisch wird das in 40 Sprachen übersetzte Stück jeden Tag irgendwo auf der Welt gezeigt. Borchert erzählt hier die düstere Geschichte des Soldaten Beckmann, der mit zerlumptem Wehrmachtsmantel und Gasmaskenbrille in das zerbombte Hamburg heimkehrt und nicht mehr in das Leben zurückfindet. Die Entfremdung gipfelt in der Begegnung mit der Ehefrau: «"Beckmann" sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt.» Das Ende bleibt offen. Keiner weiß, ob Beckmann Freitod oder Neuanfang wählt. Der Text wird 1947 zunächst als Hörspiel inszeniert und erschüttert die Zuhörer. Viele Menschen finden sich darin wieder.

Warum ist dieses Werk noch heute so erfolgreich? «Borchert baute die Bezüge zum Faschismus nur sehr kurz ein», beschreibt Winter. Im Mittelpunkt steht das Kriegstrauma und die Schuld, die der Soldat auf sich geladen hat - und die er endlich loswerden will. Keiner möchte sie haben. Winter: «Es geht hier um sehr grundsätzliche Fragen, um eine existenzielle Situation, die sehr gut übertragbar ist.» Auch wenn der unmittelbare Kontext der zerbombten deutschen Städte verblasst sei, sei die Entwurzelung bis heute ein Thema, erläutert der Borchert-Experte, «besonders in unserer Migrationsgesellschaft».

Borchert schildert mit «Draußen vor der Tür» das Schicksal von Hunderttausenden - allerdings nicht sein eigenes. Das Haus seiner Eltern im gutbürgerlichen Hamburger Stadtteil Eppendorf war im Krieg den britischen Bomben entgangen. Das Theater ist ursprünglich seine wahre Leidenschaft. Nach nur zwei Monaten im Ensemble der Landesbühne Osthannover in Lüneburg - für ihn die glücklichsten Monate seines Lebens - muss er in den Krieg. Obwohl Borchert eher unpolitisch ist, bringen ihn Späße über Nazi-Größen schnell in die kalte Arrestzelle.

Die an der Ostfront erlittenen Gesundheitsschäden - Gelbsucht, Erfrierungen an den Füßen, die Amputation seines linken Mittelfingers und heftige Fieberanfälle - machen es Borchert unmöglich, nach Kriegsende wieder auf der Bühne zu stehen. Also verlegt er sich auf die Schriftstellerei, um überhaupt seine Eindrücke verarbeiten zu können. «Unter dieser Todesbedrohung ist eine Ernsthaftigkeit entstanden, die so nicht angelegt war», schildert Literaturwissenschaftler Winter. «Borchert war ein lebensfroher Mensch. Er verliebte sich schnell und hat eine Menge Frauengeschichten gehabt. Er hörte nie auf, Pläne zu machen.»

Der Autor, der zunächst vor allem Kabaretttexte und sogar eine Art Musical verfasst hat, schafft auf dem Krankenlager in kurzer Zeit ein Lyrik- und Prosawerk. Es sind realistische Schilderungen von Liebe und Überleben in einem von Hunger, Chaos und Kälte geplagten Leben. Die klare Sprache und die schönen Bilder fesseln bis heute auch Jugendliche. «Wer weiß? Wenn er heute noch lebte und über 80 wäre, würde er vielleicht ganz anders schreiben», meint Winter. Doch ähnlich wie der US-Schauspieler James Dean sei Borchert eben als gut aussehender junger Mann gestorben und in Erinnerung geblieben.

Teil dieses Mythos' um den Nachkriegs-Literaten ist die Aussage, dass er «Draußen vor der Tür» in nur acht Tagen schrieb. Literatur-Wissenschaftler zweifeln daran. Bleiben aber noch die tragischen Vorfälle rund um sein wichtigstes Bühnenstück: Der schon schwer kranke Borchert konnte wegen eines Stromausfalls die Urausstrahlung der Hörspielfassung von «Draußen vor der Tür» nicht verfolgen. Und nur einen Tag vor der Bühnen-Premiere in den Hamburger Kammerspielen starb der junge Mann - weit weg in einem Krankenbett in der Schweiz.